Eine systematische Beschreibung der deutschen Rechtschreibung mit einer didaktischen Perspektive zu verbinden – das ist der Anspruch, den Jakob Ossner mit seinem Studienbuch Orthographie. System und Didaktik, erschienen bei UTB, erfüllen möchte. Ob ihm das gelingt, weiß Michelle Rodzis.
Von Michelle Rodzis
2010, vier Jahre nach dem Inkrafttreten der letzten Rechtschreibreform, erschien bei UTB in der Reihe »StandartWissen Lehramt« das 298 Seiten umfassende Studienbuch Orthographie. System und Didaktik des Pädagogen und Deutschdidaktikers Jakob Ossner. Proklamiertes Ziel des Werks, das sich an Lehramtsstudierende, Referendare und tätige Lehrer richtet, ist es, eine »systematische Beschreibung [der deutschen Rechtschreibung] mit einer didaktischen Perspektive zu verbinden« (S. 11). Dabei orientiert sich Ossner nicht ausschließlich am amtlichen Regelwerk der deutschen Orthographie, sondern hinterfragt auch deren normative Vorgaben kritisch. Ausgangspunkt für die Analyse der deutschen Rechtschreibung ist dabei eine phonologisch-morphologische Betrachtung des Deutschen, an die sich eine didaktische Darstellung des jeweiligen Themenkomplexes anschließt. Ossner lässt dabei jedes Unterkapitel mit mehreren Fragen schließen, die sich auf das zuvor Gelesene beziehen, wobei er dem Leser Lösungen in einem separaten Kapitel am Ende des Buches präsentiert.
Nach einer Einführung in den Aufbau seines Buches beleuchtet Ossner zunächst verschiedene Schriftsysteme hinsichtlich ihrer Graphem-Phonem-Beziehung, um daraufhin sowohl die Geschichte der deutschen Orthographie als auch ihre Didaktik kurz zu skizzieren. An die Betrachtungen des historischen Kontexts schließt sich die systematische Darstellung der deutschen Rechtschreibung an, die sich einerseits am amtlichen Regelwerk der Orthographie orientiert, andererseits aber auch das Schriftsystem und die Pragmatik der Rechtschreibung in den Blick nimmt. Der Aufbau des Hauptteils ist klar und stringent und orientiert sich dabei an den im Titel genannten Schlagworten. Zunächst erfolgt jeweils eine umfangreiche Darstellung der linguistischen Systematik eines orthographischen Themas. Analog zum amtlichen Regelwerk beginnt Ossner dabei mit der Darstellung des Zusammenhangs von Graphie und Phonemen im Deutschen. Dieser wird plausibel über Silbenstrukturen eingeführt, was sich allerdings für Leser, die im Bereich Phonologie wenig versiert sind, als sehr voraussetzungsreich und anspruchsvoll erweisen kann. Verweise auf ausführlichere Darstellungen ermöglichen jedoch ein zügiges Aufarbeiten von Lücken. Auch die weiteren Erklärungen zur Systematik der deutschen Orthographie, die mit den Themen Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Interpunktion, Worttrennung und Fremdwortschreibung die großen Felder der Orthographie umfassen, sind profund und sie beleuchten die Normen des amtlichen Regelwerks kritisch.
Der Didaktikteil, der der systematischen Darstellung eines Bereichs der Orthographie jeweils nachgestellt ist, gliedert sich immer in die Unterkapitel »Der curriculare Schulstoff«, »Problemlösung«, »Prozeduren« und »Metakognitives Wissen: Fehler und Fehlersensibilität«. Ossner illustriert hierbei das zuvor Postulierte an Beispielen aus der Praxis, indem z.B. Rechtschreibfehler von SchülerInnen exemplarisch diagnostiziert oder Vorschläge zur sicheren Schreibung von Fremdwörtern gemacht werden. Inwiefern diese praxisorientierten Überlegungen jedoch konkret für Lehrkräfte umsetzbar sind, ist zuweilen zweifelhaft und muss im Einzelfall geprüft werden. Ossner präsentiert zwar keine zusammenhängende Didaktik der deutschen Orthographie, zeigt aber auf, dass sowohl eine systematische Beschreibung als auch eine didaktische Vermittlung der deutschen Rechtschreibung möglich ist. Leser, die explizit nach einer systematisch gestützten Didaktik suchen, werden dagegen im Vorwort auf die zweibändige Didaktik der deutschen Sprache verwiesen, die 2003 bei UTB publiziert wurde und an der Ossner mitgewirkt hat.
Der Fragekomplex am Ende eines jeden Unterkapitels ermöglicht dem Leser eine Kontrolle und erneute Vergegenwärtigung des Gelesenen. Aufgrund des geringen Seitenumfangs und der für Einführungen typischen Kürze sind die Fragen meist auf drei beschränkt, weisen jedoch in der Regel dem Kapitel angemessene und abwechslungsreiche Aufgabentypen auf. Allerdings treten auch hier wiederholt Fehler auf, was den zuvor gewonnenen negativen Eindruck eines eher flüchtigen Lektorats verstärkt.
Insgesamt zeichnet Orthographie. System und Didaktik ein ambivalentes Bild. Es zeigt Zusammenhänge des sprachlichen Systems des Deutschen und der Orthographie auf, könnte sich aber gerade für Quereinsteiger in das Lehramt Deutsch oder Studienanfänger, die bisher nur wenig Kontakt mit Linguistik hatten, als zu voraussetzungsreich entpuppen. (Daher sei an dieser Stelle T. Alan Halls Standardwerk Phonologie. Eine Einführung empfohlen, das alle nötigen Kenntnisse im Gebiet Phonologie ausführlich vermittelt.) Während Ossner einerseits linguistisch genau arbeitet, fallen andererseits Fehler ins Auge, die Fragen zur Präzision in der Abfassung aufwerfen. Ähnliches lässt sich im didaktischen Teil des Buches feststellen: Ossners Ausführungen und Beispiele haben durchaus Stärken, überzeugen allerdings hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit nicht immer. Der Leser darf trotz des Titels keine (ausführliche) Orthographiedidaktik erwarten, was wegen der Formulierung des Klappentextes, der eine »dezidiert praxisorientierten Perspektive« verspricht, irreführend sein kann. Ossner gibt zum Teil gute Anregungen für Übungen mit SchülerInnen in verschiedenen Altersstufen; wem das aber nicht ausreicht, der sollte sich nach anderen Werken zum Thema umschauen.