Mit dem Kunsthaus hat Göttingen nun ein Ausstellungshaus für internationale, zeitgenössische Kunst. Seit der Eröffnung am 4. Juni läuft die Ausstellung You are the Weather der Künstlerin Roni Horn. Ein Bericht aus den neuen Ausstellungsräumen.
Von Anna-Lena Brunecker und Hanna Sellheim
In der Düsteren Straße wirkt das Kunsthaus, als sei ein Raumschiff gelandet. Die graue Betonfassade sticht neben den verzogenen Holz-Altbauten hervor, insbesondere direkt neben dem 700 Jahre alten Gebäude, in dem das Günter-Grass-Archiv untergebracht ist. Über die architektonische Ästhetik des Baus mögen die Meinungen auseinandergehen – doch mit dem Kunsthaus hat Göttingen nun endlich auch ein Ausstellungshaus für internationale, zeitgenössische Kunst, wobei der Fokus auf Papierarbeiten liegt.
Am 4. Juni 2021 öffnete der neue Kunst-Ort seine Türen. Seit über zehn Jahren ist die Idee eines Göttinger Kunsthauses im Gespräch, die Eröffnung wurde – auch wegen der Corona-Pandemie – mehrmals verschoben. Direktor ist Gerhard Steidl, der auch den gleichnamigen Verlag führt. Das Kunsthaus soll Mittelpunkt des »Kunstquartiers« rund um die Düstere Straße werden. Das Projekt ist durchaus umstritten, auch wegen seiner Kosten.
Kunsthaus für alle»Das Kunsthaus ist kein Museum«, betont die Gründungskuratorin Ute Eskildsen. Hier werde keine Kunst gesammelt, sondern ausgestellt. Dabei sei die Kunstvermittlung, auch durch Workshops und andere Formate, eine wichtige Aufgabe des Kunsthauses, erzählt Dorle Meyer, Geschäftsleiterin des Kunsthauses. Es richte sich somit an alle – auch gerade an Menschen, die sich noch nicht tiefergehend mit Kunst auskennen. Der Eintritt ist wegen des Sponsorings durch Sartorius frei, außerdem ist das Kunsthaus am Kulturticket beteiligt, wodurch es für Studierende Rabatt auf Führungen gibt.
Roni Horn sei prädestiniert dazu, das Kunsthaus mit ihrer Ausstellung zu eröffnen, sagt Kuratorin Eskildsen, da die Materialauswahl ihrer Arbeit die Konzeption des Hauses, »works on paper«, ideal erfülle. Sie sei in besonderer Weise durch Literatur inspiriert – passend für ein Museum, das in enger Verbindung zu einem Verlag steht. Das Grundinteresse von Horns Arbeit sei die Diversität, das Denken von Unterschieden, die Veränderung von Zuschreibungen.
Dies zeigt sich auch in der Ausstellung: Gerade das zeichnerische Werk Horns hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Sie arbeitet collagenartig, kombiniert Schrift und Bild, um intermediale Effekte zu erzeugen. In der Serie Hack Wit erhalten zusammengesetzte Sprichwörter in den neuen Kombinationen geradezu poetische Qualität; in Dog’s Chorus lösen sich die textlichen Elemente so radikal auf, dass die Leserlichkeit der visuellen Wirkkraft durch Form und Farbe unterliegt. Die Serie Island Drawings nutzt die Landkarte Islands, die neu zusammengesetzt oder mit Buchseiten und Konfetti-artigen Schnipseln durchbrochen wird. Die Kartografie mit all ihren Implikationen wird künstlerisch nutzbar gemacht und subvertiert.
Hinter der FassadeDer Fokus auf Papierarbeiten bedingt laut Eskildsen auch die massive Fassade des Gebäudes: Denn diesen würden große Fenster und viel Licht konservatorisch eher schaden. Meyer ergänzt, dass sich das Gebäude zudem durchaus im Stadtbild als neues abheben solle, sich aber darin gleichzeitig zahlreiche Anleihen bei der umgebenden Architektur fänden, wie etwa die nach oben hinten breiter werdenden Etagen. Zudem erinnere der horizontale Putz der Fassade an die Struktur von Papierseiten und sei so wiederum ein Verweis auf das Konzept des Hauses.
Die nächste im Kunsthaus geplante Ausstellung wird unter dem Namen Modell Tier laufen und Kunstwerke verschiedener Künstler:innen vereinen, die sich mit der Beziehung von Mensch und Tier auseinandersetzen. Dabei wurde auch die Uni Göttingen konsultiert. Auch mit den Göttinger Theatern und dem Literarischen Zentrum wird das Kunsthaus kooperieren, ebenso soll es Lehrveranstaltungen in Zusammenarbeit vor allem mit der Göttinger Kunstgeschichte geben. Das Kunsthaus scheint also auf einem guten Weg zu sein, sich als eine weitere Göttinger Kulturinstitution zu etablieren. Und vielleicht wird auch der Betonklotz in der Düsteren Straße den Göttinger:innen schon bald ans Herz wachsen.