Das DT bringt Richard O’Briens The Rocky Horror Show auf die Bühne und vermischt den Glamour der Gothic Opera mit Elementen des Steampunk. Das Ergebnis ist eine eigenständige Inszenierung, die das Publikum begeistert.
Von Rashid Ben Dhiab
1973 hob Richard O’Brien The Rocky Horror Show, eine Hommage an die großen Klassiker des Horror- und Science-Fiction-Films in Form eines Musicals, aus der Taufe. Das Stück wurde zu seinen Anfangszeiten eher verhalten aufgenommen und konnte auch als Verfilmung 1975 keine großen Besuchermassen in die Kinos locken. Doch jene, die Gefallen an O’Briens ungewöhnlicher Schöpfung fanden, taten dies umso begeisterter und enthusiastischer, indem sie sich verkleideten, mitsangen und aktiv an den Aufführungen teilnahmen.
Heute, vierzig Jahre später, dürfte sie zweifelsohne zu den beliebtesten Musicals weltweit zählen und hat einen regelrechten Kult um sich bilden können. Noch immer kann man The Rocky Horror Show auf diversen Spielplänen finden, so auch auf dem des Deutschen Theaters in Göttingen, wo seit dem 26. Oktober 2013 das frisch verlobte Paar, bestehend aus Brad Majors und Janet Weiss, durch eine Reifenpanne in die Fänge des promiskuitiven Wissenschaftlers Dr. Frank’N’Furter geraten und eine Nacht voller Schrecken und sexueller Verwirrungen erleben. Altgedienten Gästen des bestrapsten Hedonisten vom Planeten Transsexual dürften allerdings einige optische Eigenheiten in der Inszenierung von Michaela Dicu auffallen.
O’Brien meets Jules VerneAls Brad und Janet aus einem Unwetter zu einem Schloss fliehen, erscheint dessen Fassade noch so, wie der Kenner sie erwartet: dunkle Steine und hohe Fenster. Doch sobald die Unglücklichen von Butler Riff-Raff eingelassen werden, rotiert das Bühnenbild und enthüllt eine verwinkelte Mischung aus viktorianischem Herrenhaus und Fabrikanlage, die Assoziationen zum Inneren der Nautilus aus Jules Vernes Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer wachruft. Messingrohre, Drähte und Zifferblätter ziehen sich nicht nur durch das Innere des Schlosses, sondern auch durch seine Bewohner und die Transilvanians, Frank’N’Furters außerirdische Gäste, die sich ständig in der Nähe des Geschehens aufhalten und wie zum Leben erwachte Komponenten ihrer Umgebung wirken.
Premiere:
26.10.2013
Die schönste Kulisse nützt jedoch nichts, wenn der Kern eines Stücks, die Darsteller, nicht entsprechende Leistungen abliefern. Gerade im Hinblick auf den fast schon legendären Tim Curry, der Dr. Frank’N’Furter sowohl in der Uraufführung als auch in der Verfilmung verkörperte, muss man befürchten, dass ihm nur schwer gleichzukommen ist. Die Sorge zeigt sich aber, zumindest teilweise, als unbegründet.
Süße Transvestiten und spinnenbeinige ButlerBenjamin Krüger tritt souverän in Currys High Heels. Zwar ist er weniger androgyn und stimmlich eine Nuance zu glatt, spielt jedoch mit solchem Engagement, dass dies kaum ins Gewicht fällt. Seine Auftritte geraten dadurch nicht weniger spektakulär, wenn er, mit goldenen Teufelsflügeln geschmückt, in einem Metallgestell auf die Bühne sinkt und sich seinen frisch angekommenen Gästen als »Sweet Transvestite« vorstellt.
Generell kann die gesamte Besetzung sowohl darstellerisch als auch gesangstechnisch überzeugen, wobei, in Hinsicht auf letzteren Punkt, ganz besonders Sarah Schermuly in der Rolle des Groupies Columbia hervorsticht. Ihr soulig-kraftvolles Organ schmeichelt dem Gehörgang wie Honig einem wunden Hals, sodass man fast ein wenig betrübt ob ihrer seltenen und kurzen Gesangsanteile sein möchte.
Publikumsliebling und heimlicher Star des Stücks ist jedoch ganz eindeutig Karl Miller. Seine Darstellung des zwielichtigen Butlers Riff-Raff reicht mühelos an jene Richard O’Briens heran. Elegant wie eine Spinne tobt der schlaksige Engländer behände durch das verschachtelte Bühnenbild und gibt mit verzerrtem Mienenspiel und grimmigen Seitenhieben samt britischem Akzent den skurril-schaurigen Schlossdiener, der seinem Meister nicht so treu ergeben ist, wie er alle zunächst glauben machen will. Keine Überraschung also, dass er auch die Zuschauer zu Höchstleistungen antreibt.
Schnelles Getatsche auf bebenden RängenEs ist der erste von vielen Höhenpunkten, wenn Riff-Raff und Konsorten auf der Bühne zum »Time Warp« laden. Im Zuschauerraum springen Menschen auf, tanzen auf ihren Plätzen und stampfen mit den Füßen, bis die Woge der Begeisterung die oberen Ränge spürbar erzittern lässt. Nach jedem Song brandet neuerlicher Applaus, begleitet von Jubelrufen, auf. Manche der Lieder erklingen sogar in einer leicht variierten Version, so z.B. »Touch-a, Touch-a, Touch-a, Touch me«, welches nun deutlich schneller und poppiger ist und die Zuschauer noch besser mitreißt.
Ein kleiner Wermutstropfen und Anstoß zur Verwirrung für Kenner dürfte allerdings das Fehlen von »Sword of Damocles« und »Eddie’s Teddy« sein. Angesichts der ansonsten wirklich liebevollen Interpretation von O’Briens Stück allerdings ein leicht verzeihbares Vergehen. Denn The Rocky Horror Show soll in erster Linie eines: Spaß machen.
Und wenn nach knapp zwei Stunden das Klatschen nicht mehr aufhören will und das Theater während der zwei Zugaben in einen noch größeren Begeisterungssturm gerät als während des eigentlichen Stücks, dann ist dieses Ziel absolut erreicht worden und es bleibt nur mit den Worten Dr. Frank’N’Furters zu sagen: »Give yourself over to absolute pleasure.«