Impressum Disclaimer Über Litlog Links
Spielfreudig

Die Zukunft von Deutschem und Jungem Theater in Göttingen nimmt zumindest inhaltlich Gestalt an: In dieser Woche gaben beide Häuser ihre Spielzeitplanung 13/14 bekannt. LitLog freut sich auf personelle Veränderungen am Jungen Theater ab Herbst und berichtet über die Highlights zwischen Faust und Frauennachttaxi.

Von Leonie Krutzinna

Theater um Theater. Immer wieder gab es in den letzten Monaten Diskussionen um die geplanten Neuerungen in der Organisationsstruktur von Deutschem und Jungem Theater, denn der im Sommer 2012 unterzeichnete Entschuldungshilfevertrag zwischen Stadt und Land sieht eine »Neuorganisation der Theaterlandschaft« in Göttingen vor. Derzeit werden mögliche Kooperationsmodelle hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit geprüft.

Gesicht, Profil, Persönlichkeit

Dabei steht die große Frage im Raum: Was heißt das auf Personalebene? Und ganz abgesehen von den strukturellen Veränderungen: Ohne Akteure bleiben Organisationsmodelle modellhaft und damit künstlich. Dabei geht es für die ZuschauerInnen ums Künstlerische, darum, welche Stücke gespielt werden, wer Regie führt und welche Dramaturgien die Theater repräsentieren. Dazu braucht es ein Gesicht, eins mit Profil und Persönlichkeit und nicht eine zwar im Etat vorgesehene, aber anonyme Position.

Nicht ein, sondern gleich drei nicht ganz neue Gesichter präsentierte in dieser Woche das Junge Theater. Damit ist die Nachfolge Andreas Dörings geklärt, der zum Ende der laufenden Spielzeit das Junge Theater verlässt und ans Schlosstheater Celle wechselt. Neuer Geschäftsführer wird Ernst Gottwald, der zuvor dem JT-Aufsichtsrat angehörte. Die künstlerische Leitung des JT wird Udo Eidinger, bislang Dramaturg am JT, gemeinsam mit Eva-Maria Baumeister übernehmen, die bereits Engagements am JT hatte und Gründerin des Hamburger Nachwuchstheaterfestivals Kaltstart ist. Es handelt sich dabei um eine Interimslösung, bis die Zusammenarbeit mit dem DT geklärt ist. Durch die internen Besetzungen konnte nun innerhalb kürzester Zeit ein Spielplan konzipiert werden.

Text, Wort, Gedanke

So lässt sich für die kommende Spielzeit endlich nicht mehr nur über Organisationformen spekulieren, sondern über Inhalte sprechen. Das Deutsche Theater fragt sich mit seiner Eröffnungsinszenierung »was die Welt im Innersten zusammenhält« und spielt den kompletten Faust auf der neuen Probebühne, der GVZ-Halle hinter dem Bahnhof. Auch wenn die Vertragskonditionen noch nicht bis ins Detail geklärt sind, man werde dort in jedem Fall spielen, »notfalls mit Kerzenlicht«. Fürs Theater braucht es nur »den Text, das Wort und den Gedanken«, so DT-Intendant Zurmühle.

Nichts anderes als der »Faust als Musical« sei nach Meinung des DT-Chefdramaturgen Lutz Keßler The Rocky Horror Picture Show, mit der das DT erneut nach Hair und der West Side Story eine Musicalproduktion umsetzt. An Goethes Faust dockt zudem Elfriede Jelineks Sekundärdrama FaustIn and Out an, das sich mit der Gretchenfigur auseinandersetzt und einen kritischen Blick auf das weit über den Tragödienstoff hinaus reichende konsumistische Frauenbild wirft.

Um eine der zentralsten Frauenfiguren Göttingens geht es in der kommenden Spielzeit gleich in beiden Theatern: Lou Andreas-Salomé. Sie wollte Nietzsche nicht heiraten, wurde von diesem, von Rilke und Freud gleichermaßen persönlich wie fachlich geschätzt und eröffnete die erste psychoanalytische Praxis in Göttingen. Das JT ehrt sie mit seiner Eröffnungsinszenierung, der Ibsen-Adaption Gespenster in Göttingen, in der die Autorin Daniela Dröscher dem Ibsen-Stoff fiktive Repliken Lou Andreas-Salomés einschreibt. Ein eigenes Stück über die Psychoanalytikerin verfasst auch Tine Rahel Völker für das DT, das dort am 21.12. uraufgeführt wird.

Frauennachttaxi, Toiletten, Spielhallen, Sauna

Einen Göttingenbezug möchte man am JT nicht erzwingen, aber sich um ihn bemühen, denn die Geschichten »liegen auf der Straße« wie Udo Eidinger meint. Um die Verschränkung von Theater und Lebenswelt, Spiel und Realität geht es deshalb im Frauchennachttaxi, das mit Elementen von Hörspiel und Performance einen Perspektivwechsel auf die scheinbar gewohnte Umgebung ermöglicht.

Auch am DT hat man sich entschieden, unkonventionelle Spielorte zu besuchen: »Toiletten, Schwimmbäder, Spielhallen, Sauna, …«. Die Schauspieler Karl Miller und Michael Meichßner stellen mit ihrer monatlich stattfindenden The 45 Minute Show ein Konzept zwischen »überdrehtem Privattreffen« und »amüsanter Anarchie« vor, »ohne Drehbuch, ohne Probe«.

Teamwork ist sowohl am DT als auch explizit am JT gewollt und bereits dingfest gemacht. Nicht nur die künstlerische Leitung durch Eidinger und Baumeister wird dieser Spielzeitmaxime gerecht. In Wer glaubst Du was? kooperiert das JT mit dem Figurentheaterkollektiv Wolter und Kollegen! aus Halle. Ebenso Edgar und Annabel, ein inhaltlich an die Trueman Show angelehntes Stück, das Konzert, Wort-, Sprach-, Spiel- und Kompositionsstück zugleich ist, wird durch das Kollektiv Prinzip Gonzo am JT inszeniert.

Das Spektrum der Inszenierungen reicht von Klassikern wie Schillers Jungfrau von Orleans am DT über Romanadaptionen wie Dürrenmatts Das Versprechen (ebenfalls DT) oder Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe am JT. Anlässlich der Händel-Festspiele wird es am JT zudem erstmals ein Opernprojekt geben, das Intendantin Baumeister gemeinsam mit ihrer freien Künstlergruppe Kidnap someone and make him happy inszeniert. Gemäß der Tradition des Hauses wird diese Entführung wohl weniger im barocken Händel-Zeitalter münden, sondern im »jungen« experimentierfreudigen Sinn das Theater und die Sprache mit Musik, Schwingung und Klang konfrontieren.

Die Göttinger Theater bleiben also spielfreudig. Das honorieren ihnen schon jetzt die Besucherstatistiken. Das DT kann mit einer Auslastung von insgesamt 75,86% mit einer Rekordspielzeit rechnen, auch das JT schreibt trotz massiver Einsparmaßnahmen durch die Stadt schwarze Zahlen.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 10. Mai 2013
 Historischer Bühnenprospekt via wikimedia commons
 Teilen via Facebook und Twitter
 Artikel als druckbares PDF laden
 RSS oder Atom abonnieren
 Keine Kommentare
Ähnliche Artikel
  • Schillers schweres ErbeSchillers schweres Erbe Sozialneid, Businesswelt und keine Räuber. Schillers Sturm und Drang-Stück im JT
  • Wenn der Furor braustWenn der Furor braust Menschenhass als literarisches Motiv im Fokus einer Litlog-Textreihe.
  • Noch lauter, bitte!Noch lauter, bitte! Struwwelpeter als Musical: Schrill. Laut. Gut. Mitreißend, aber etwas zu zahm. Von Vera Kostial.
  • AlltagsenthobenAlltagsenthoben Der DAAD förderte eine interkulturelle Summerschool im estnischen Sääritsa.
  • Groß, größer, Faust!Groß, größer, Faust! Das DT bringt Goethes Faust in einer monumentalen Inszenierung auf die Bühne.
Keine Kommentare
Kommentar schreiben

Worum geht es?
Über Litlog
Mitmachen?