Wird Göttingen mit Teddybären, DemenzpatientInnen und Midlife-Crisis-Cowboys wieder Filmstadt? Das Göttinger FilmnetzWerk knüpft mit seiner Arbeit an die filmische Tradition des Leinestädtchens an. LitLog-Autor Andre Groß hat sich den Episodenfilm Where to go des Göttinger Filmemachers Christian Ewald angesehen.
Von Andre Groß
Wohin führen die Lebenswege in der beschaulichen Universitätsstadt Göttingen? Der Filmemacher Christian Ewald zeigt in seinem Episodenfilm Where to go die wegweisenden Stationen und Wendepunkte, die das Leben eines jeden Menschen in neue Bahnen lenken. Das Besondere: Der Ort des Geschehens ist die einst florierende Filmstadt Göttingen. Allerdings bietet das Leinestädtchen nicht viel mehr als den Handlungsspielraum für die Protagonisten, die allesamt vor einschlägigen Entscheidungen stehen.
Über die Verheißungen von Aufbrauch und Neuanfang hat man sich in der Kulturgeschichte schon zur Genüge ausgelassen. Ewald bedient sich nun in seinem Film einer altbekannten Vorlage, dem Gedicht Stufen von Hermann Hesse. Und ähnlich wie bei Hesse, ist auch Where to go ein Plädoyer für das Leben.
Dement ausgebüchstDa ist die junge Krankenpflegerin Hanna, die zu Beginn des Films mit dem Zug in Göttingen eintrifft. Sie hat es wörtlich genommen mit Hesse und wagt, noch von Trennungsschmerz geplagt, den Schritt in einen neuen Lebensabschnitt. Dass das nicht immer ganz einfach ist, erfährt sie direkt beim ersten Besuch ihrer neuen Arbeitsstelle. Eine der zahlreichen DemenzpatientInnen startet gerade einen Ausbüchsversuch und kann vom Pfleger nur mit letzter Mühe und einer kleinen Notlüge, dass der Bus heute angeblich auf der anderen Seite fahre, von einer Rückkehr überzeugt werden. Das Leben ist nun mal, was man daraus macht.
Bei Johannes, einem mottoradfahrenden Mittvierziger sieht das Ganze schon anders aus. Ihm steht der große Schritt noch bevor. Ein Roadtrip – am besten durch Afrika oder die USA. Einfach mal alles hinter sich lassen; wäre da bloß nicht die blöde Flugangst. Midlife-Crisis at its best. Die Vorbereitungen sind zwar soweit getroffen, doch hätte er vielleicht auch seine langjährige Freundin in den großen Plan einweihen sollen. Man ahnt es bereits: Die Beziehung überlebt das längst überfällige Gespräch nicht.
Kostbar ausgesetztJohannes Freund, Familienvater Andreas, hat seine Ambitionen auf große Veränderung bereits vor geraumer Zeit ganz tief unter dem Eigenheim begraben. Eine schwangere Frau, ein bereits vorhandenes Kind und sein durchschnittlicher Job lassen nicht viel Platz für Träumereien. Und außerdem sei er ja auch absolut zufrieden, versichert er seinem Kumpel Johannes beim Joggen. Das Erschlaffen, vor dem Hesse warnt, hat längst das Endstadium erreicht:
»Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen«
Als jedoch die Schätzung eines vererbten Teddybären die stolze Summe von 35.000 € ergibt, gerät Andreas’ Welt ins Wanken. Schön, dass das Leben im jungen Alter noch viel einfachere Lösungen parat hat. Und so löst Andreas’ kleiner Sohn Ludger das Problem schließlich auf eigene Faust, indem er den Teddy kurzerhand mit der Bitte um Mitnahme an der nächstbesten Straßenecke aussetzt.
Where to go stellt seinen Protagonisten die vermeintlich wichtigen Fragen des Lebens. Und genau wie das Leben nicht immer nur aufregend und spannend sein kann, so ist es auch der Film nicht durchweg und wirkt teilweise etwas zu konstruiert. Vergleicht man das mit dem Gigantismus aktueller amerikanischer Produktionen, wirkt er aber angenehm zurückhaltend und trotz der durchaus ernsthaften Thematik nie zu bedeutungsschwer. Wer sich damit arrangieren kann und »seine« Stadt schon immer einmal auf der Kinoleinwand betrachten wollte, der macht mit Where to go nichts verkehrt, beziehungsweise alles richtig.