Karel Poláčeks Männer im Abseits zeigt am Leben des Versagers Emanuel Habasko, wie zeitlos die Leidenschaft eines Fußballfans ist und wie Fußball in jeder Hinsicht ein ganzes Leben begleiten und beeinflussen kann.
Von Fenja Morrin
Emanuel Habasko ist ein 25-jähriger Versager aus dem Prag der Zwischenkriegsjahre. Zu Beginn des Romans ist er ein umtriebiger Arbeitsloser, der zusammen mit seinem Vater in einer kleinen Wohnung lebt und sich mit ihm ein einzelnes Bett und die Hausarbeit teilt. Zeichnet sich ihre Beziehung anfangs durch tägliches Streiten, Seitenhiebe und Vorwürfe aus, so wird ihr Zusammenleben im Verlauf – parallel zu Emanuels Erfolg – immer harmonischer.
AnpfiffEmanuels Leben wird vom Fußball bestimmt. Nicht, dass er selbst spielen würde. Es geht ihm allein um seine Identifikation mit dem Viktoria Žižkov, einem Underdog-Fußballclub. Das Ende von Emanuels Versagerleben ist zugleich der Beginn des Buchs. Nach einem Streit mit seinem Vater, der ihm kein Geld für das Fußballspiel geben möchte, mischt Emanuel sich unter die Zuschauer*innen. Dort gerät er schon nach kurzer Zeit in einen Streit mit dem dicken Herrn Natscheradetz, der statt der Viktoria die Slavia Sparta anfeuert. Dies droht in einer Handgreiflichkeit auszuarten, bis ein Polizist sie rechtzeitig auseinander- und auf ein Polizeirevier bringt. Da Emanuel die Kaution nicht bezahlen kann, zeigt Herr Natscheradetz Güte und legt ihm nicht nur das Geld aus, sondern bietet ihm einen Job in seinem Geschäft an. Von da an geht Emanuels Leben bergauf: Sein Vater respektiert ihn, er treibt sich nicht mehr mit Kleinkriminellen herum und durch seinen Beruf lernt er ein Mädchen namens Emilie kennen.
Ehe und FußballDie Charaktere des Buchs sind gleichzeitig dessen größte Stärke. Poláček stellt die Eheleute Natscheradetz mit viel Humor dar. Niemals sind sie sich einig, sei es bei der Kindererziehung, beim Führen des Geschäfts oder bei Besuchen der Verwandten. Die Streitgespräche geben schöne Dialoge, die trotz ihres Witzes das Eheleben der damaligen Zeit authentisch skizzieren. Als Frau Natscheradetz zum Beispiel fragt, ob Emanuel den Kindern nicht ein Märchen von den damaligen Fußballclubs erzählen könnte, schaukelt sich die Situation fast augenblicklich hoch.
»Jetzt«, sagte Herr Natscheradetz streng, »jetzt gibt es keine Kinderchen, jetzt gibt es keine Märchen, jetzt haben wir eine Geschäftskonferenz«.
»No selbstverständlich! Du musst immer Kontra geben, und wenn ich weiß sage, sagst du schwarz! Zuerst kommst du, und die übrigen sind bei dir nichts – «.
Da es in Emanuels Natur liegt, sich einzumischen, leidet auch er unter der Uneinigkeit der Eheleute. Er sagt zu Frau Natscheradetz, während ihres Streits mit seinem Chef:
Das ist so seine Art, er macht Ihnen, gnädige Frau, alles zufleiß, ich an Ihrer Stelle würde mir das nicht gefallen lassen, wenn die Frau im Haus nichts zu sagen hat, da hört alles auf.
Sodass es nicht verwunderlich ist, wenn ihm daraufhin mehrmals von Frau oder Herrn Natscheradetz gekündigt wird. Eine bezaubernde Szene ergibt sich an einem Tag, an dem die Slavia Sparta haushoch gegen die Viktoria gewinnt. Auf einen Schlag ist Herr Natscheradetz ein liebevoller Ehemann; er führt seine Frau in einem neuen Kleid in ein schönes Restaurant aus, macht ihr Komplimente und die plötzliche Harmonie – nur durch den Fußball bedingt – ist eine erfrischende Leseabwechslung. Nach der seitenlangen Komik und der den Roman durchziehenden Ironie sorgt diese Szene nahezu für rührende Tiefe.
Viktoria als Erziehung und ReligionAuch das Leben von Emanuel Senior, dem Vater der Hauptfigur, wird beleuchtet. Er bringt seinem Sohn mit dem Viktoria Žižkov-Fußballclub eine Art zweite Religion nahe. Und obwohl er dem Sohn anfangs kein Geld für das Fußballspiel gibt, verlangt er doch Berichterstattung über jenes Spiel.
Die traurige Geschichte von Emilie oder Emmi hätte ein Gegenstück zum ironisch-lustigen Ton des Buchs sein können, doch auch hier wird Karel Poláček nie wirklich ernst. Emilie leidet und lebt mit ihrer Mutter unter dem Kontrollzwang und den Gewaltausbrüchen ihres Vaters. Doch das Buch geht darauf nicht mehr als oberflächlich ein. Emilie öffnet sich dem jungen Herrn Habasko eines Tages auf ihrem Nachhauseweg von der Arbeit. Und obwohl sie ihn vor ihrem Vater verstecken muss, reden die beiden fast jeden Tag auf dem Weg über Fußball. Emanuel erklärt Emilie jeden Spielzug, die Geschichte jedes einzelnen Fußballclubs und jedes Spielers. Er erklärt ihr Fußball bis in jedes kleinste Detail und zeigt seine Freundin dann gerne bei Fußballspielen in der Öffentlichkeit vor.
Auf diese Erziehung seiner Freundin und dem damit einhergehenden Mansplaining, wie man heutzutage sagen würde, geht Poláček allerdings nicht ein. Vor allem mag dies am historischen Kontext liegen; im Roman überwiegen männliche Hauptcharaktere und repräsentiert wird insgesamt eine klassische Rollenverteilung, wodurch die Frauen bis auf wenige Ausnahmen beim Putzen, Kochen oder Einkaufen gezeigt werden. Im Fall von Emmi ist das eine Näherei, in der sie und ihre Kolleginnen in aufgeregtes Quietschen verfallen, als Emanuel zum ersten Mal den Raum betritt.
Die Komödie eines LeidendenEs ist äußerst bedauernswert, dass Männer im Abseits oder Muži v ofsajdu, wie es im tschechischen Original heißt, in Deutschland so unbekannt ist. Karel Poláček war nicht nur einer der bedeutendsten Schriftsteller in Tschechien, ebenso hat er ein beachtliches wie trauriges Leben hinter sich: Nach seinen Kämpfen im ersten Weltkrieg und seiner Gefangennahme blieb ihm ein kurzer Lebensabschnitt, den er mit der Arbeit als Journalist und Autor verbrachte. Zu der Zeit veröffentlichte er fast zwanzig Werke unter anderem Männer im Abseits aus dem Jahr 1931. Am Anfang der Kriegsjahre wurde ihm wegen seiner jüdischen Herkunft gekündigt und 1943 wurde er ins KZ Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später starb Poláček in Gleiwitz, einem Außenlager von Auschwitz.
Auch aus sporthistorischen Gründen ist das Buch bemerkenswert. Während es verfasst wurde, zählte die Tschechoslowakei zu den Fußballgroßmächten der Welt.
In den 1920er und 1930er Jahren liegen die Zuschauerzahlen fast immer im fünfstelligen Bereich.
Kein Sport war damals so beliebt wie Fußball, sagt der Sporthistoriker Stefan Zwicker in einem Radiointerview. Auch, weil nach dem ersten Weltkrieg der Acht-Stunden-Tag eingeführt worden war und somit die Arbeiterschicht Freizeit und damit Zugang zum Sport bekommen habe.
EntscheidungsspielObwohl die Spielernamen, Spielaufstellungen und -ergebnisse anfangs sehr verwirrend sind, lohnt sich der Roman gerade wegen zahlreicher Ausführungen über die einzelnen Spiele. Auch, wenn man mit Fußball nichts zu tun hat, sind diese Passagen so spektakulär und mit einer Leidenschaft und Hingabe geschrieben, die ihresgleichen suchen: »›Klicpera gibt geschickt an Meduna weiter, dieser schießt aber das Leder zurück. Was spielst nach rückwärts? Dort ist das Tor der Slavia! Aha! Klicpera hat wieder an Meduna gegeben, der läuft ins Loch, hurraaah – hopp auf, Burschen, zerlegt sie wie den Schreibtisch des Heiligen Lukas!‹«
So kommt es, dass man innerlich mit der Viktoria mitfiebert, wenn sie gut spielt oder Emanuels tiefe Trauer versteht, wenn nicht. Ein Tor der Slavia ist für Emanuel schon zu viel des Schlechten: »[Er] beobachtet dieses Tun mit wachsendem Missfallen. Sein Herz, das eines Žižkover, war sowieso voller Trauer, denn nach seinem Dafürhalten war der Ball zu halten, und übrigens hätte der Schiedsrichter pfeifen müssen, denn Junek stand abseits.« Bei diesen Spielen kommt es nicht selten vor, dass die leidenschaftlichen Schilderungen dessen, was sich auf dem Spielfeld ereignet, durch Emanuel unterbrochen werden, der lieber Streit mit wildfremden Fans beginnt und nur durch glückliche Zufälle davon abgebracht werden kann, sich zu prügeln.
Auch für eine nicht fußballbegeisterte Leser*innenschaft bietet das Buch sehr viel. Implizit wird ein realistisches Bild von den vielfältigen Geschichten der Menschen in Prag entworfen, auch wenn der Humor der Authentizität der Figuren übergeordnet scheint. Gerade deswegen lohnt es sich nach der Tiefe zu suchen, die in den ironischen Dialogen und Erzählungen auf den ersten Blick nicht durchscheint. Denn das Leben der einfachen Leute mit ihren verschiedenen Religionen und Berufsständen, in unterschiedlichen Stadtteilen mit den jeweiligen Fußballclubs, wird überraschend gut aufgezeigt und als sehr konfliktträchtig offenbart. Die allgegenwärtige Komik und die überzeichneten Charaktere wirken zwar nicht unbedingt realistisch, aber dafür unglaublich unterhaltsam, auch für die, die das Buch ohne ausgefeilte Analyse würdigen wollen. Und für einen Blick hinter den Text lohnt es sich speziell bei diesem Werk, einmal aus der fußballfreien Komfortzone zu treten.