»Nicht erschlossenes Gebiet, politisch ruhig, Löhne, die gegen Null tendieren. « Zwielichtig. Skrupellos. Abgeklärt. Ulrich Peltzers neuer Roman Das bessere Leben spielt größtenteils in der Wirtschafts- und Finanzbranche, ist aber trotzdem kein Wirtschaftsroman. Es ist viel eher ein Gesellschaftsroman über eine Gesellschaft, die wir nicht wirklich durchblicken und die dennoch unsere eigene ist, die, in der wir leben. Ein wenig erschreckend ist das schon!
Von Laura Retmann
Es sind locker 150 Seiten notwendig, um sich in den etwas unkonventionellen, fast schon sperrigen Schreibstil einzufinden, der Das bessere Leben so besonders macht. Halbe und abgehackte Sätze, Gedankensprünge und abrupte Unterbrechungen lassen den Roman fast wie einen inneren Monolog erscheinen, erlebte Rede auf ihrem Höhepunkt. Ulrich Peltzer erfasst mit diesem Stil die verwirrende Undurchdringlichkeit und Vielschichtigkeit unserer modernen Welt und führt uns damit unsere eigene Ahnungslosigkeit vor Augen.
Zwei Männer, zwei LebenIm Kern hat der Roman zwei Protagonisten. Zum einen ist da der Sales Manager Jochen Brockmann. Aufgewachsen am Rhein, Anfang 50, Raucher, der nach einer Jugend als anarchistischer Kiffer nun für eine italienische Maschinenbaufirma durch die halbe Welt fliegt −Business Class−, gern in exzellenten Hotels logiert, teure Maßanzüge trägt und für das Unternehmen die großen Verträge an Land zieht. Zumindest war das einmal so. Inzwischen steht die Firma schlecht da, Investitionen bleiben aus, Brockmanns Job wackelt.
Um die beiden Hauptcharaktere spinnt sich ein weites Netz aus Bekannten, Verwandten, Geschäftspartnern und ehemaligen Freunden, die allerdings nicht zwangsläufig mit der Handlung des Romans zusammenhängen. Sie tauchen auf, verschwinden wieder. Wer später nochmal eine Rolle spielen wird und wer nicht, weiß die Leserin nicht, ist auch nicht wichtig. Man darf einen kurzen Blick in diese verschiedenen Leben werfen, erfährt hier und da biografische Details aus der Vergangenheit und wird dann wieder herausgerissen, hinein in einen anderen Handlungsstrang. Unter anderem erscheint da Angelika Volkhaart, die in ihrer Jugend ohne gültiges Visum von der DDR bis nach Tadschikistan reiste und jetzt für eine Reederei in Amsterdam arbeitet. Sylvester Lee Fleming, alter Bekannter und kurze Affäre, empfiehlt ihr ein Restaurant, in dem sie Brockmann kennenlernt und sich in ihn verliebt. Ein anderes Beispiel ist Brockmanns Exfrau, die früher in der Punk-Szene in London unterwegs war und inzwischen auf einem alten Bauernhof lebt und meditiert. Die gemeinsame Tochter hält in Mailand Vorträge über Renaissance-Kunst und besucht mit ihrem Vater eine Ausstellung, in der Brockmann von dem Massaker bei der Studenten-Demonstration 1970 erfährt, an der auch Flemming teilnahm. Kreise schließen sich. Ohne Grund, ohne irgendwelche Folgen für die Handlung. Das kurze Gefühl von der kleinen Welt, in der jeder jeden um fünf Ecken kennt.
Auch Brockmann und Flemming begegnen sich irgendwann in einem Hotel, gehen essen, unterhalten sich. Nach zwei Tagen verläuft sich die Bekanntschaft wieder. Einfach so.
Dabei inszeniert Ulrich Peltzer, der Psychologie und Philosophie in Berlin studiert hat, seine Charaktere eindrucksvoll und rund. Keine Figur wirkt wie ein Stereotyp, ein Klischee. Sie alle haben eine ganz individuelle Art zu denken und ihre ganz eigene Perspektive auf die Welt, die immer dann hervortritt, wenn sich die Gedanken aus dem konkreten Handlungsverlauf lösen und sich, teils über mehrere Seiten hinweg, in Tagträumen und Erinnerungen verlieren, bis sie ganz plötzlich wieder im Hier und Jetzt auftauchen. »Es gab keine Erklärung, keine jedenfalls, die einleuchtend gewesen wäre. Missgelaunte Elben, die nach dem Einschlafen auf seiner Brust Platz nahmen und ihm den Atem raubten, obwohl sie nicht den geringsten Grund dazu hatten, alles in allem. Vielleicht die Wirkung eines Fehlers, den er begangen haben könnte, vor dreißig oder vierzig Jahren, etwas Unentschuldbares, das auf diese Weise abzugelten sei, träumend.«
Ohne Kommentar, ohne MoralDazu kommen kleine Details −eine Zigarette, deren Asche auf den Tisch fällt, eine unbedeutende Armbewegung, das plötzliche Wahrnehmen einer alltäglichen Geräuschkulisse, ohne dass es irgendeine Bedeutung hätte−, die zusammengenommen eine eindrucksvolle Bildlichkeit erzeugen.
Das bessere Leben bringt Wirtschaft, Politik, Liebe, und Kunst in ihrer ganzen Komplexität zusammen, ohne dass der Autor dabei eine Position bezieht. Er kommentiert nicht. Er belehrt nicht. Er verurteilt nicht. Obwohl im Zentrum des Buches Geschäftsleute stehen, deren Hauptantriebsfeder das Geld ist, werden sie nicht Abscheu erregend skizziert. Sie schüren keinen Hass. Was sie tun, ist ganz natürlich, wie jeder andere Beruf. Die Ästhetik steht im Vordergrund, nicht die Moral. Ein Einblick in eine vollkommen selbstverständlich kapitalistische Welt. Unsere Welt!