Der Beginn eines germanistischen Studiums lässt angehende Studenten in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten: Im Falle der Linguistik und Mediävistik tauchen sie in Fachbereiche ein, deren Ausläufer sich kaum in die schulischen Lehrpläne erstreckt haben. Doch auch für den dritten Teilbereich der Deutschen Philologie, die Neuere deutsche Literaturwissenschaft, sollten mögliche Trugschlüsse frühzeitig von den Studienanfängern ausgeräumt werden.
Von Fabian Grumbrecht
Zu diesem Zweck bieten wissenschaftliche Verlage eine Vielzahl von Einführungsbänden an, welche einen Überblick über die akademische Analyse der Neueren deutschen Literatur in ihrer Entwicklung, ihren Facetten und Verfahrensweisen bieten sollen. Exemplarisch für eine solche Publikation ist Matthias Luserke-Jaquis Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Der Autor, welcher als Professor an der TU Darmstadt lehrt, nennt als Zielgruppe des Buches primär die »Studienanfänger«, während der Klappentext auf die Prägnanz und den basalen Charakter der gebotenen Informationen verweist. Demnach umfassen die fünf Hauptkapitel des Bandes jeweils Grundlagenwissen zum Fach allgemein, dem Interpretieren von Texten, der Literaturgeschichte, verschiedenen Methoden und dem Vorgehen innerhalb des Studiums.
Im Anschluss an einen Überblick über die fachgeschichtliche Entwicklung der Germanistik (vom 18. bis ins 20. Jahrhundert) erfolgt eine Abgrenzung der Neueren deutschen Literaturwissenschaft gegenüber der Linguistik, Mediävistik und Didaktik. Hierbei erläutert der Autor auch die kulturwissenschaftlichen Ansätze und wirft einen kurzen kritischen Blick auf den aktuellen Kontrast zwischen Text- bzw. Theoriefokussierung einerseits und pragmatischen Tendenzen der Germanistik andererseits. Positiv hervorzuheben ist das folgende Unterkapitel, welches signifikante Publikationen der Deutschen Philologie (wie z.B. die Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft) auflistet und kurz beschreibt. Für Lehramtsstudierende werden einige zusätzliche Literaturangaben gemacht.
Im Falle der Textinterpretation folgt nach einem Bezug auf grundlegende Konzepte (wie Text, Kontext, Produktion und Rezeption) eine knappe gebündelte Darstellung von Analysekategorien, die nach den drei Gattungen Prosa, Lyrik und Drama geordnet sind. Auf diese Weise liefert Luserke-Jaqui zwar eine zweckmäßige und klar gegliederte Übersicht, doch einige wichtige Kategorien wie die Fokalisierung im Falle der Prosa oder Charakterisierungstechniken für die Dramenanalyse wurden ausgelassen. Gewissermaßen als Ausgleich bietet der Band einen kleinen gattungsübergreifenden Glossar zu Begriffen aus den drei Bereichen »Ästhetik/Poetik«, »Rhetorik« und »Editorik« mit im Schnitt ca. 30 Termini. Die eigentlichen Erklärungen der Fachbegriffe erfolgen jedoch in alphabetischer Reihenfolge, ohne diese dreigliedrige Einteilung beizubehalten.
Es ist zu betonen, dass das Kapitel »Grundlagen der Literaturgeschichte« nicht auf die eigentlichen literaturgeschichtlichen Strömungen eingeht. Stattdessen wird dem Leser auf Basis von Leitfragen und Definitionen von allgemeinen Prinzipien (z.B. Kanonisierung) eine erste Annäherung an das Thema ermöglicht.
Ein tatsächlicher Überblick über verschiedene Ausprägungen liegt im Fall der literaturwissenschaftlichen Methoden (von Werkimmanenz bis hin zur Medienwissenschaft) vor, welcher ebenfalls zweckmäßig und nüchtern gehalten ist. Jeweils einer Methode ist ca. eine Seite gewidmet. Neben einer kurzen Erklärung der zentralen Charakteristika beinhaltet das Kapitel auch generalisierende Beispielfragen, die an einen zu analysierenden Text gerichtet werden können (z.B. »Wie gestalten sich Begehrens- und Machtdiskurse in einem Text?«). Hier ist auffällig, dass der Autor zwar den Poststrukturalismus behandelt, aber merkwürdigerweise nicht auf den Strukturalismus eingeht, obwohl gerade diese beiden Theorien im direkten Vergleich besonders effektiv darstellbar sind.
Die bislang betonte Funktionalität des Bandes kulminiert in dem finalen Kapitel, welches allgemeingültige Elemente des Studiums wie Formate (Protokolle, Vorträge, Hausarbeiten) und Recherche behandelt. Hierbei betont Luserke-Jaqui beispielsweise die Signifikanz von Eigenverantwortlichkeit im Studium, gibt ein paar persönliche Empfehlungen und erwähnt unter anderem Hansjürgen Blinns Informationshandbuch Deutsche Literaturwissenschaft als enorm hilfreiche weiterführende Informationsquelle.
Ihrem selbstproklamierten Anspruch als »Leitfaden« zu dienen wird die Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft gerecht. Dem angehenden Studenten wird ein variantenreicher Eindruck vom literaturwissenschaftlichen Studium vermittelt, während Fortgeschrittenen ein knapper Überblick über zentrale Gesichtspunkte der Themenfelder und Situierung des Fachs ermöglicht wird.
Die nicht vorhandenen Informationen forcieren auf implizite Weise quasi die vom Autor betonte Notwendigkeit des Selbststudiums: Für die eigentliche wissenschaftliche Arbeit an und mit Texten sollte man gleich auf etablierte gattungsspezifische Forschungsliteratur wie z.B. Einführung in die Erzähltheorie von Matias Martinez und Michael Scheffel, Manfred Pfisters Das Drama und Dieter Burdorffs Einführung in die Gedichtanalyse zurückgreifen. Luserke-Jaquis Einführungsband stellt zwar die Facetten der Neueren deutschen Literaturwissenschaft vor, doch die analytische Anwendung eben dieser wird nur oberflächlich beleuchtet.