Die fünfte Ausgabe der Reihe »Was ist eigentlich Kunst?« geht an den Start! Dieses Mal plaudert Prof. Dr. Carsten-Peter Warncke, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Göttingen, aus dem Nähkästchen und verrät unter anderem, wie man Studierenden Kunst am besten vermittelt, warum Kunst ein Verabredungsbegriff ist, und welche Tipps er absoluten Kunst-Laien geben kann.
Von Verena Zimmermann
Verena Zimmermann: Wie sind Sie zu Ihrem Beruf als Professor für Kunstgeschichte gekommen?
Prof. Dr. Carsten-Peter Warncke: Ich habe mich schon immer für Kunst interessiert – schon damals im Kunstunterricht in der Schule. Damals stand zwar eher die praktische Ausübung der Kunst im Vordergrund, aber trotzdem hat man z.B. durch Museenbesuche schon mitbekommen, was alles hinter der Kunst steckt.
V. Z.: Und was gefällt Ihnen heute am Besten an Ihrem Beruf?
C.-P. W.: Dass mein Interessengegenstand gleichzeitig mein Beruf ist. Übertrieben könnte man sogar sagen: Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht!
V. Z.: Was ist besonders wichtig, wenn man Kunst vermittelt?
V. Z.: Inwiefern hat sich denn Ihr Blick auf die Kunst im Laufe Ihrer Tätigkeit als Professor für Kunstgeschichte verändert?
C.-P. W.: Der hat sich eigentlich ständig verändert. Dadurch, dass man an Kunstkenntnissen dazu gewinnt, ist das Geschmacksurteil nie stabil. Dinge, die man früher nicht begreifen konnte, findet man heute vielleicht besonders schön und umgekehrt findet man Dinge, die man früher für etwas Besonderes gehalten hat, vielleicht heute nicht mehr so einzigartig.
V. Z.: Wenn Geschmack so wankelmütig ist, wie schaut denn dann Ihre persönliche Kunstsammlung aus?
C.-P. W.: Der Kunsthistoriker als Sammler von Kunst ist eigentlich zunehmend geschwunden. Das liegt einfach daran, dass man sich in seinem Beruf ständig mit Spitzenkunstwerken beschäftigt. Dadurch ist man irgendwann gewöhnt an hohe Qualität. Da wir Kunsthistoriker aber keine Millionen verdienen, können wir uns das einfach nicht leisten, deshalb habe ich auch aufgehört zu sammeln.
V. Z.: Was ist denn eigentlich für Sie Kunst?
C.-P. W.: Lexikalisch betrachtet kommt Kunst von Können. Kunst ist etwas, das mit Wissen, Übung, Wahrnehmung und Intuition zu tun hat und nicht unbedingt eine praktische Funktion erfüllt. Sie ist also etwas ohne Zweckbindung. Als Basisdefinition passt diese Beschreibung sicher, aber dieses Fundament ist natürlich einem ständigen Wandel unterzogen. Wir haben schon viel darüber gesprochen, dass der Kunstbegriff dem historischen Wandel unterworfen ist.
V. Z.: Könnten Sie allen Kunstinteressierten vielleicht einen kurzen Crashkurs darüber geben, inwiefern sich der Kunstbegriff im Lauf der Zeit verändert hat?
C.-P. W.: Die Auffassung, was eigentlich Kunst ist und auch wer eigentlich Künstler ist, hat sich im Laufe der Geschichte sehr stark verändert: In der Antike und dem Mittelalter wurden bildende Künstler noch als reine Handwerker betrachtet und wenig geschätzt. Die bildenden Künste gehörten noch nicht einmal zu den so genannten freien Künsten, also den Künsten, die für freie Menschen gedacht waren, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis lebten. Erst in der Renaissance wurden die bildenden Künste den freien Künsten gleichgestellt. In dieser Epoche wurde der gelehrte Künstler, an den intellektuelle Anforderungen gestellt wurden, zum Ideal erhoben. Die Moderne veränderte dann wieder vieles: Das traditionelle Bild eines Künstlers mit professioneller Ausbildung, der bestimmten Normen und Gesetzgebungen folgte, war plötzlich keine zwingende Voraussetzung mehr, um als Künstler anerkannt zu werden. Daher stammt auch das Bild des verkannten Genies, wie z.B. van Gogh, der nie eine professionelle Kunstschule besucht hat. Heute lösen sich die traditionellen Kunstgattungen durch neue Entwicklungen wie Videokunst immer mehr auf und es gibt viele Grenzüberschreitungen zwischen Architektur, Bildern und Plastiken. Es gilt: Was als Kunstwerk anerkannt wird, wird als Kunstwerk anerkannt. Das klingt vielleicht pleonastisch, aber es ist so! Fachleute übernehmen die Meinungsführerschaft und entscheiden, was denn nun eigentlich Kunst ist. Kunst ist heute also mehr oder weniger ein Verabredungsbegriff, auf den man sich geeinigt hat. Zwischen Fachleuten und dem allgemeinen Publikum kommt es aber immer wieder zu Streitigkeiten, was die einen und die andern nun für Kunst halten.
V. Z.: Haben Sie abschließend noch einen Tipp für absolute Kunst-Laien, wie sie sich am besten Kunst nähern könnten?
C.-P. W.: Ja: Man sollte immer von dem ausgehen, was einem intuitiv gefällt. Im Anschluss daran sollte man ergründen, warum einem eigentlich dieses spezielle Kunstwerk gefällt und was das Besondere an ihm ist. In dieser reflexiven Phase sollte man dann noch mehr Wissen über das Kunstwerk erwerben, um zu verstehen, warum es so geworden ist, wie es nun mal ist. So kann man sein Urteil langsam ausdifferenzieren. Dafür braucht man kein Kunststudium, sondern kann seine Kenntnisse auch erstmal einfach über das Internet erwerben.
Mehr aus der Reihe »Was ist eigentlich Kunst?« von Verena Zimmermann: Die Glosse Kunstbetriebeschaden und die Interviews mit dem Göttinger Künstler Georg Hoppenstedt, der Kunstgeschichte-Studentin Tanja Swaczina und zwei Nachwuchskünstlern aus dem Kinderkunstklub.