Sie ist hundertmal mehr als ein It-Girl: Die vielschichtige Persönlichkeit der Autorin, Theaterfrau, Schauspielerin und Übersetzerin Ruth Landshoff-Yorck wird nun in zwei neuen Bücher wieder lebendig: eine Sammlung feuilletonistischer Texte und eine Biografie. Sabrina Wagner hat sie mit Begeisterung für Litlog gelesen.
Von Sabrina Wagner
Sie hat sie alle gekannt. Die Anerkennung jedes Karriere-Coaches wäre ihr heute sicher: Sie war eine Virtuosin des Networkings. Das Personenregister ihrer Biografie führt das Who is Who der deutschen und teils internationalen Literatur-, Kultur- und Geistesgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Darunter die Familien Mann und Mendelssohn, Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Max Frisch, Gertrude Stein, Ernst Toller, die Maler Otto Dix, Oskar Kokoschka und Max Liebermann, ebenso Größen des Showbiz wie Charlie Chaplin, Marlene Dietrich und Friedrich Wilhelm Murnau. Aber wer kennt die Frau, von der all die Netzfäden ausgehen: Ruth Landshoff-Yorck? Nie gehört? Das sollen nun zwei neue Bücher ändern.
Am 11. Januar 1904 wurde Ruth Levy in Schöneberg, dem damals noch eigenständigen Vorort Berlins, als Tochter des Ingenieurs Edmund Levy und seiner Frau Else Bertha geboren. Die Familie war Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin und pflegte darüber hinaus ein weit verzweigtes Beziehungsnetz von teils einflussreichen Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten. Im Garten ihres Onkels – kein geringerer als der Verleger Samuel Fischer – traf Ruth als Kind Autoren wie Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, die, wie sie später erzählte, gelegentlich für eine Partie Krocket zu haben waren.
In den frühen Zwanziger Jahren ist Ruth, die schon als Teenager den Geburtsnamen ihrer Mutter, Levy, gegen den Namen Landshoff getauscht hat, eine Berühmtheit in der Berliner Künstler- und Intellektuellenszene. Warum? Sie gehört einfach dazu, ist »Begleiterin, Freundin, Muse«. Sie ist schön, selbstbewusst, kokett. Ihre Androgynität inszeniert sie als moderne Unkonventionalität und wird zur Stil-Ikone. In Journalen und Magazinen posiert sie mit Pagenschnitt und Smoking. Männer wie Frauen verfallen ihr gleichermaßen. So manche Affären werden ihr bis heute angedichtet, von zahlreichen berichtete sie selbst offenherzig. Einige davon hat sie in ihren autobiografischen Skizzen Klatsch, Ruhm und kleine Feuer (1963 erschienen bei Kiepenheuer und Witsch) verewigt. Mit dem 26 Jahre älteren Schriftsteller Karl Gustav Vollmoeller lebte sie zusammen, mit dem bekennend schwulen Musiker Francesco von Mendelssohn verband sie eine jahrelange, wohl nicht immer platonische Freundschaft, ähnliches gilt für »Mopsa«, eigentlich Dorothea, die Tochter des Dramatikers Carl Sternheim. 1930 heiratete sie Friedrich-Heinrich Graf Yorck von Wartenburg, die Scheidung folgte 1937.
Ab 1920 nimmt Ruth Landshoff für ein Jahr Schauspielunterricht und erhält die Rolle der Annie in Friedrich Wilhelm Murnaus berühmtem Vampirfilm Nosferatu. Dem folgen einige kleinere Rollen am Theater. Doch, so stellt ihr Biograf fest, für die Schauspielerei fehlte es ihr »an Talent und Beharrlichkeit«. Sie selbst wird Ähnliches später in ihren Erinnerungen einräumen, aber auf eines legt sie da wert: Sie höchst persönlich habe die große Marlene Dietrich – die sie wohl bei einem Besuch der Dreharbeiten zum Blauen Engel traf – entdeckt.
Ja, Ruth Landshoff-Yorck war eitel, geltungsbedürftig, vielleicht sogar ein wenig größenwahnsinnig. Doch ebenso liebenswürdig sieht Blubacher sie: »Sie war unbescheiden und snobistisch, ja sogar rechthaberisch, sie besaß aber auch Herzenswärme, konnte charmant sein und amüsant, voller Humor und außerordentlich begeisterungsfähig.« Und sie besaß eine gute Beobachtungsgabe und eine »flotte Schreibe«, das Talent, unterhaltsam und ironisch zugespitzt über die Welt um sie herum zu schreiben.
Die glamouröse AutorinIm Berliner Aviva Verlag ist nun eine Sammlung ihrer Feuilletons aus den Zwanziger und frühen Dreißiger Jahren erschienen. Das Bändchen – herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Walter Fähnders – trägt den Titel ihres ersten Zeitungsbeitrags aus dem Jahr 1927: Das Mädchen mit wenig PS. Im Text heißt es: »Sehr wenige begreifen, daß ein Mädchen mit wenig PS viel schneller vorwärts kommen will als alle Jungen mit Mercedes oder 8-Zylinder-Bugattis.« Damit ist das zentrale Thema der meisten der versammelten Artikel, Reportagen, Kolumnen und Kommentare umrissen: der Wandel überkommener Geschlechterrollen. Daneben handeln die meist kurzen Skizzen von Literatur, vom Reisen – vorzugsweise in die europäischen Metropolen –, vom Nachtleben und der Kulturindustrie. Erschienen sind sie u.a. in der Berliner Volks-Zeitung und in Zeitschriften wie Tempo, Dame oder der deutschen Vogue. Auf dem ersten Höhepunkt ihrer publizistischen Tätigkeit erschien 1930 auch Landshoffs Debütroman: Die Vielen und der Eine. Ab 1933 aber war für Ruth Landshoff-Yorck das Publizieren in Deutschland nicht mehr möglich. Es folgten unstete Reisejahre zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz. In dieser Zeit entstanden mehrere Gedichtbände und das Manuskript zu mindestens einem weiteren Roman.
1937 beginnt mit der Emigration in die USA ein neuer Lebensabschnitt. Schnell ist Ruth, die nach der Scheidung das angelsächsisch klingende Yorck im Namen behält, auch in New York bestens vernetzt. Als »Countess Yorck« gewinnt sie an Bekanntheit in der amerikanischen Gesellschaft, als R.L. Yorck oder Ruth L. Yorck macht sie sich bald einen Namen als Radiosprecherin und Autorin. Sie schreibt nun überwiegend auf Englisch, die Stoffe werden politischer. Außerdem übersetzt sie Texte u.a. von Carson McCullers und Louis Aragon ins Deutsche und solche von Berthold Brecht und Paul Celan ins Englische. Nach Deutschland kehrt sie nur noch auf ausgedehnten Reisen zurück. In ihren letzten Lebensjahren schließlich erfindet sie sich noch einmal neu und avanciert zu einer einflussreichen Figur der New Yorker Off-Theater-Szene. 1966 stirbt sie während eines Theaterbesuchs in New York an Herzversagen.
Was aber bleibt von dieser Meisterin der Selbstinszenierung? Im Aviva-Verlag erscheint seit 2001 ihr Werk – und das ist ein Gewinn. Teils sind es Neuauflagen bereits publizierter Texte, teils Erstveröffentlichungen aus dem Nachlass. Von außerordentlicher literarischer Qualität sind ihre Romane nicht, aber ebenso wie die publizistischen Kurztexte von großem und klugem Unterhaltungswert. Vor allem sind sie ergiebige Zeugnisse einer Zeit, die noch heute kaum an Faszination verloren hat: die schillernden Zwanziger Jahre der intellektuellen und künstlerischen Bohème. Genauso aber spiegeln sie die Zeitläufte seit den Dreißiger Jahren: Verfolgung, Exil, Heimatverlust, Krieg und der Tod von Freunden und Familienangehörigen. Blubachers Biografie macht gerade dieses Repräsentative sichtbar, indem sie – äußerst kenntnisreich, zuweilen etwas detailversessen – weit über das Einzelleben hinaus reicht und anhand des weit verzweigten Netzwerkes nahezu panoramatisch das intellektuelle Leben eines halben Jahrhunderts abbildet.