Triggerwarnung: Sexueller Missbrauch
In Wie die Gorillas bestreiten drei Freundinnen den Weg des Erwachsenwerdens. Mit einem Auge fürs Detail und viel Humor erzählt Esther Becker von den Problemen der jungen Frauen – doch ist daran etwas wirklich neu?
Von Sophie-Marie Ahnefeld
Es gibt Dinge, die fast jede Frau erlebt, ohne sich bewusst zu sein, dass es vielen genauso ergeht. Weil diese Dinge unbedeutend scheinen und man noch nicht versteht, dass sie genau daran gekoppelt sind: ans Frausein. Irgendwann haben viele Mädchen, genau wie die Erzählerin in Esther Beckers Roman Wie die Gorillas, das erste Mal einen schlechtsitzenden Bikini getragen, sich das erste Mal beim Rasieren ins eigene Fleisch geschnitten und die Prozedur trotzdem nach wenigen Tagen wiederholt – es machen ja alle so. Und irgendwann wird wahrscheinlich auch ungefragt über ihre Körper geurteilt, was im schlimmsten Fall in physischen Grenzüberschreitungen endet.
In dem Debütroman der Dramatikerin und Performerin Esther Becker beginnt diese Erfahrung mit dem Besuch einer Augenklinik. Fremde Menschen fixieren die Ich-Erzählerin, um ihr Augentropfen einzuträufeln. Widerstand ist zwecklos und das Mädchen muss sich dem Eingriff fügen. Später in der Geschichte wird die junge Frau beinahe Opfer eines sexuellen Übergriffs. Aber eben nur fast. Stilistisch wird darüber in demselben Tonfall geplaudert wie über die Aufenthalte in der Augenklinik. Becker gelingt es in ihrem Roman, diese Momente des Frauwerdens und Frauseins mit sehr viel Feingefühl und Humor einzufangen und ihren Leser:innen das tröstende Gefühl zu geben, dass sie in diesen scheinbar unscheinbaren, doch schmerzlichen Augenblicken des Ringens um Identität nie allein waren.
Wer nichts wird, studiert Medienwissenschaft?Wie die Gorillas erzählt die Schicksale von drei Freundinnen, die gemeinsam in Wodka getunkte Tampons einführen, die sich die Haare halten, als eine von ihnen von der Pille danach kotzen muss und die zueinander halten, auch als sich ihre Wege nach dem Schulabschluss voneinander entfernen. Es ist die Geschichte vom Scheitern einer ehrgeizigen Schauspielschülerin, die sich schließlich für eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin entscheidet (»das sei der neue Taxischein«), vom Erfolg einer strebsamen Medizinstudentin, deren tiefreligiöse Eltern ihren Studienwusch nicht unterstützen und von der Orientierungslosigkeit der Ich-Erzählerin, von der man bis zum Ende nicht sicher sagen kann, ob sie sich mit ihrem Medienwissenschaftsstudium nun endlich auf dem richtigen Weg befindet. Aber was ist das schon, der richtige Weg?
Gerade diese Uneindeutigkeit, das bewusst inszenierte Chaos macht den Roman realistisch. Becker scheut auch nicht davor zurück, die körperlichen Veränderungen hin zu erwachsenen Frauen zu beschreiben: ihre Gewichtszunahme, die schlechte Haut und die sprießenden Pickel. Die Autorin entmystifiziert auf die Art diesen besonders in der Literatur zu oft beschönigten Abschnitt im Leben einer Frau. Die jungen Mädchen dürfen gehen, lachen und leben, wie sie sind und wie sie wollen und bei Becker bedeutet das eben: Wie die Gorillas. Der Roman lebt von seinen Anekdoten, an die man sich nach Beendigung der Lektüre erinnert, wie an Erzählungen
Besonders Beckers beherzte Entscheidung, ihre Geschichte ohne pseudopsychologische Moral zu erzählen, ist erfrischend. Wenn die Protagonistin gegen Ende des Romans einen Zusammenbruch erlebt, bleibt völlig offen, ob und wie sich die junge Frau wieder berappeln wird. Es gibt kein richtiges Happy End und das frustriert. Aber es ist auch realistisch.
Ein Roman, der seine eigene Blase nicht verlässtDer Roman ist aber vor allem in der Blase junger Feminist:innen, in der sich die Protagonistin befindet, realistisch. Und wenn man selbst nicht Teil dieser Blase ist, dann ist der Roman eine gute Möglichkeit, einen Einblick in diese zu erhalten. Aber Vorsicht: So repräsentativ die Gedanken und Erfahrungen der Ich-Erzählerin an manchen Stellen auch sind, so abgehoben und weltfremd scheinen sie dafür an anderen. Die Probleme der jungen Frauen scheinen banal, ihr Verhalten bisweilen arrogant. Der Auftritt der Erzählerin gegenüber ihrer Mutter, die mit geschlechtergerechter Sprache unvertraut ist, ist symptomatisch: »Es ist hoffnungslos«, bekundet die junge Frau, nachdem die Mutter sie als Student und nicht als Studentin bezeichnet hat. Und in diesem Moment gibt man wirklich alle Hoffnung für die junge Frau auf, wenn sie sich tatsächlich bereits durch solche Lappalien geschlagen gibt. Aber vielleicht ist selbst das wieder realistisch.
Nach 154 Seiten, die sich dank Beckers leichtem Schreibstil innerhalb eines Nachmittages lesen lassen – ist man zwischenzeitlich nicht zu genervt von der Egozentrik, dem Selbstmitleid der Erzählerin und von den immer gleichen Kapitelanfängen – bleibt vor allem die Lust daran, sich über die angesprochenen Themen wie Selbstfindung, Abtreibung, Eltern-Kind-Beziehung und natürlich Feminismus mit anderen auszutauschen und mit den eigenen Erfahrungen abzugleichen. Allerdings garantiert ein für viele Menschen bedeutsames Thema noch lange keinen guten Roman.
Becker gelingt es vielleicht nicht, etwas wirklich Neues zu schreiben. Doch dank ihres drastischen und unverblümten Erzählstiles lässt sie Bekanntes in einem neuen Licht erscheinen. Und jede Person, die den Prozess der weiblichen Sozialisation durchgemacht hat, wird sich in Beckers Erzählungen wiederfinden können. Wer allerdings mehr erwartet als Identifikation mit den Figuren und dessen Problemen, wird von dem Roman vielleicht ein wenig enttäuscht sein. Trotzdem vermag es Becker, ihre Leser:innenschaft zur Reflexion der eigenen Erfahrungen zu animieren. Wie die Gorillas wird einem dabei mit einem ermunternden Augenzwinkern zur Seite stehen.