L I E B E. Über kaum ein anderes Thema wurde und wird wohl so viel geschrieben. Hanser-Verleger Jo Lendle kann sich nun mit seinem neuesten Buch Was wir Liebe nennen in die lange Liste der Autoren von Liebesromanen einreihen. Elisa Meyer hat es für LitLog gelesen und die Lesung des Autors im Literarischen Zentrum besucht.
Von Elisa Meyer
Keiner seiner vier vorangegangenen Romane beschäftigte sich mit der Liebe. Jedoch haben sie alle eines gemeinsam: sie beschäftigen sich mit Aufbrüchen und Veränderungen, wie Lendle bei seiner Lesung in Göttingen selbst zusammenfasst. Am 18. Dezember kamen trotz des Weihnachtsstresses viele Fans, Freunde und auch Familie des Schriftstellers und Bloggers ins Literarische Zentrum und ließen sich von seinen Zukunftsplänen in der Verlagsarbeit erzählen. Lendles Verbindung zu Göttingen ist weitreichender als man zunächst vermutet. Der gebürtige Osnabrücker drückte in Göttingen die Schulbank bevor er in Hildesheim und Montreal studierte.
Zauberei mit SpracheDie Beziehung zwischen den Städten Osnabrück und Montreal spiegelt sich auch in seinem Buch wieder: Der Protagonist Lambert, ein nicht sonderlich leidenschaftlicher Zauberer, reist von Osnabrück nach Montreal, um dort bei einem Zauberer-Treffen aufzutreten. Diese Reise hält einiges an Überraschungen für ihn bereit. Humorvoll und mit interessantem Nebenwissen gespickt, versteht Lendle es, den Leser an die Geschichte zu binden.
Was wir Liebe nennen, ist anfangs nur ein Zittern. Ein Schauer, den wir kaum bemerken, der uns nicht frieren lässt, aber daran erinnert, beizeiten nach etwas zu suchen, das uns wärmt.
Diese warmen Worte über die Liebe leiten den Roman ein. Lendles hypotaktischer Stil streicht die vielen kleinen Details, mit denen er gekonnt spielt, brillant heraus. Die Verbildlichung dessen, was er als Liebe zu definieren versucht, gelingt ihm durch kleine Metaphern und Vergleiche, wodurch der Leser das Gefühl des Dabeiseins erhält.
Witzige Gedanken des Protagonisten zeigen die humorvolle Ader des Autors. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen bleibt Lambert seinem trockenen Humor treu: Ob er sich nach einer Notlandung auf seinem Weg nach Kanada Gedanken über ortsansässige Busunternehmen macht oder über die Platzierung von Händen, der Leser wird konsequent zum Schmunzeln gebracht. Angekommen in Kanada, lernt er durch ein unvorhergesehenes Ereignis eine Frau kennen, die ihn verzaubert. Fe ist Biologin und holt am Flughafen Wildpferde ab, welche genauso bedeutend für Handlung und Sujet sind wie seine Zauberkünste.
Zeitloses SujetJo Lendle schafft es mit diesem Buch, alle Altersklassen anzusprechen. Das wurde besonders bei der Lesung deutlich. Nicht nur Studierende und Senioren, auch alle Altersklassen dazwischen waren vertreten. Der neue Verleger des Hanser Verlages schreibt seine Bücher täglich eine Stunde bevor er zur Arbeit geht. Doch von vermeintlichem Stress kann nicht die Rede sein. Er vergleicht das Schreiben mit Joggen oder einem Spaziergang, also als eine Art Entspannungsübung.
Ein wenig autobiographisch scheint dieses Buch schon zu sein. So sagt Lendle, er habe als Kind einen Zauberkasten gehabt und mag die Idee hinter dem Zaubern, »das große Versprechen, das oft missglückt«. Die Idee für Was wir Liebe nennen kam ihm bereits beim Schreiben des vorherigen Buches. So sei es immer, sagt er.
Das türkisblaue Cover wird von zwei Seepferdchen verziert. Der Zusammenhang zum Buch wird im 10. Kapitel gegeben: Der Mensch verfügt über ein Organ im Gehirn, das aussieht wie ein Seepferdchen und dieses Organ spielt beim Verlieben eine wichtige Rolle. Es ist verantwortlich für Erinnerungen und gibt Verliebten das Gefühl von Vertrautheit und des Sich-bereits-Kennens. Diese im Roman vorkommenden Bilder weisen eine versteckte Botschaft auf, die so raffiniert ist, das nur wenige Leser dahinter kommen werden. Das Seepferdchen steht nämlich auch für die Pferde, die eine entscheidende Rolle spielen. Pferde bringen Freiheit zum Ausdruck. Gerade in diesem Buch, wo es nicht um gezähmte Huftiere, sondern um Wildpferde geht, ist die Symbolkraft besonders eindrücklich. Die Freiheit spiegelt sich auch in Lamberts Person wieder. Er fühlt sich frei in Montreal, frei, das zu tun, was er will. Frei zu lieben.
Diese Botschaft versteckt sich jedoch nicht nur hinter den Seepferdchen und ihrer Bedeutung. Lendle zeigt in seinem Roman Paarkonzepte auf, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Ein wenig versteckt und weniger leicht zu deuten, bieten sie eine ideale Grundlage zum Nachdenken über das Phänomen Liebe. Denn die Paarkonzepte zeigen nicht nur die verschiedenen Beziehungs-Konstellationen der heutigen Zeit, sondern auch die unterschiedlichen Formen der Liebe auf: Die zwischen Frau und Mann, Sohn und Vater, Mutter und Tochter, Frau und bestem Freund. Deutlich wird: Liebe besteht aus Erinnerung und Vertrauen und aus (Wahl)freiheit. Und sie ist nicht auf ihre romantische Bedeutung reduzierbar.
Ein zeitlos geschriebenes Buch, das alle anspricht und es schafft, dass jeder Leser sich in Lambert hineinversetzen kann und man sich ein Stück weit in ihm wiedererkennt – sei das aufgrund seiner Art zu lieben, seiner Flugangst, seines Abenteuerwillens oder seiner Art, Entscheidungen zu treffen. Lendle hat mit seinem neuesten Werk einen Grundstein zum Überlegen und Grübeln über die Vorstellung von Zweisamkeit geliefert. Ein Liebesroman, der, ohne schnulzig zu sein, beste Unterhaltung für kalte, kuschelige Wintertage auf der Couch bietet.