Mit ihrem zweiten Gedichtband falsche freunde schreibt Uljana Wolf ein Wörterbuch der unkonventionellen Art: Aus deutschen und englischen Wörtern im orthographisch oder phonetisch gleichen Mantel entwickelt sie Prosagedichte, die sich im Dazwischen, im unbestimmten inbetween der Sprachen bewegen.
Von Katharina Knüppel
»sei ein kind, lieber freund, und höre, was du hier nicht siehst.« Diese Zeile aus einer von Uljana Wolfs neuesten Prosaminiaturen könnte als Leseanweisung über dem gesamten Gedichtband falsche freunde stehen. Neugierig wie ein Kind und verschmitzt wie das Lächeln ihrer Schöpferin auf dem Goldstich der legendären Bella Triste 17 kommen die Einträge dieses DICHTionary daher und formen ein lyrisches Wörterbuch für false friends, cognates und andere Verwandte. Mit Aberwitz spielt die 1979 in Berlin geborene und mittlerweile in New York lebende Autorin mit der doppelten Kodierung deutscher und englischer Wörter, unter deren orthographisch oder phonetisch gleichem Mantel sich ganz unterschiedliche Bedeutungen verbergen.
»elf« und »enkel« verschmelzen zu einem »knubbelfinger mit knarzenden knöcheln, so sähe das wort kobold aus, käme es als finger auf die erde, oder unter.« Zwischen »gift« und »glut« scheint am Weihnachtsabend zarte Liebe auf: »verlegenheiten gab es, hülle und fülle, verbrennen konnte man sich, den weg einschlagen, der die schleife macht, das buch, das bild, kaum heiße ware, doch viel rauch.« Die Bluesikone Bessie Smith sang »When I eat his donut, all I leave is a hole.« Bei Uljana Wolf klingt das so: »du not go. or i’ll go nuts.« Auch der berühmte rheinische Mythos der Lorelei wird hier in einen Popsong verkehrt, wenn die zu umschiffenden Riffe plötzlich nicht mehr aus Stein, sondern aus Rock erscheinen.
Das lyrische Ich dieser Prosagedichte ist ein unzuverlässiger Erzähler, der dem Leser den Kopf ver-rückt, seine Erwartungen in Stolperfallen lockt – doch geht man ihm äußerst vergnügt ins Netz, so leichtfüßig tänzeln die Gedichte zwischen den Sprachen und Signifikanten. Das ist »vielleicht nicht (immer) sinnig, aber ohne märchen wäre lange sense«. Vor allem ist es selten albern, sondern fast immer elegant und klug. In ihrer ebenfalls sehr klugen Poetik-Vorlesung über das Prosagedicht (Box Office. Münchner Reden zur Poesie, Stiftung Lyrik Kabinett, München, 2009) offenbart Uljana Wolf ihre Leidenschaft für sprachliche Uneindeutigkeiten: »Daran blieb ich hängen, an den Dickichten, die keine Pfade sind, wo Wald nicht Stamm an Stamm, Zeile für Zeile lesbar ist«, sagt sie über amerikanische Prosagedichte – derer sie einige gemeinsam mit Steffen Popp übersetzt hat (Christian Hawkey: Reisen in Ziegengeschwindigkeit). Das Prosagedicht als utopischer Nichtort, als Foucault’sche Heterotopie scheint ihr die adäquate Ausdrucksform für das brüchig gewordene Verhältnis von Repräsentation und Wirklichkeit. Dass sie diesen Balanceakt ebenso beherrscht wie ihre amerikanischen Dichterkollegen bewies sie schon mit ihrem ersten bei kookbooks erschienenen Band kochanie, ich habe brot gekauft, der ihr 2006 den Huchel Preis bescherte.
Das subversive Potential ihrer poetischen Ausweichmanöver offenbart sich auch in den anderen Zyklen des neuen Bandes. Werden mit den falschen freunden Sprachkonventionen unterlaufen, sind es in SUBSISTERS traditionelle Geschlechterrollen. Durch die Gegenüberstellung einer »Originalfassung« und einer »Originalfassung mit Untertitel« der Gedichte dieses zweiten Teils verwandelt Uljana Wolf mittels kleinster Verschiebungen stereotyp gehorsame Hollywoodfrauchen der 40er Jahre in wortgewandte, selbstbestimmte Heldinnen, die sich blitzschnell jeder Rollenfestlegung entziehen – als hätte man Cindy Shermans Untitled Film Stills eine Stimme gegeben. Ein ganz anderes Alphabet als das fröhliche DICHTionnary verbirgt sich hinter den ALIEN-Gedichten des dritten Teils – hier nimmt sich Wolf das wörtliche Über-Setzen von Flüchtlingen und Einwanderern nach Amerika vor, die um 1900 auf den »wassern dritter klasse« einer vermeintlich besseren Zukunft entgegensegelten: »die toten lagen unvergraben unter uns. Wer lebte, legte nur in seinen träumen ab. wir waren bereits diese träneninsel. unsere augen, seither, bei jeder ankunft, rot und leer.« Ellis Island heißt diese Träneninsel und die Prosaminiaturen dieses düsteren Kapitels arbeiten das perfide Alphabet der amerikanischen Inspektoren ab, mit dem sie Krankheiten und Auffälligkeiten der Einwanderer abkürzten und Ihnen auf die Körper schrieben.
In ALIEN II setzt Uljana Wolf das Spiel mit den Grenzkontrollen fort. Die mit Lücken durchsetzten Gedichte – vor den Eingriffen der Dichterhand noch Regierungstexte und Anleitungen aus der Sicherheitstechnik für Flughäfenkontrollen – repräsentieren unsere durchleuchtete Existenz im Zeitalter biometrischer Ausweise, »liquid life« in neun Bildern: »Der eigene sensible Bereich kann ohne Hotels Gäste haben.« Hier ist das böse Märchen vom gläsernen Menschen bitterzüngige Wahrheit geworden. Wie gern blättert man da zurück ins fröhliche erste Kapitel, wo Reise und Abschied noch so viel süßer klangen: »nie will ich fahren aus deiner haut, nie ziehen ab, aus, von dannen, zurück, oder, zum abschied, den hut.«
[…] Katharina Knüppel, litlog.de, 3.12.2010 […]
Liebe Frau Knüppel;
würden Sie mir bitte Ihre Emailadresse schicken, damit ich Ihnen eine Korrespondenz schicken kann?
Herzlichen Dank und schönen Gruss,
Patrice Pavis