Triggerwarnung: Sexualisierte Gewalt, psychische Krankheit, Rassismus
Queenie, der Debütroman von Candice Carty-Williams, thematisiert sensible Aspekte wie Misshandlung, Rassismus und mentale Gesundheit. In humorvollem Ton erzählt die junge Queenie von ihrem Leben in London und ihren alltäglichen Problemen, die alles andere als lustig sind.
Von Emily Lüter
Queenie ist 25 Jahre alt, glücklich liiert und hat ihren Traumjob bei einer Londoner Zeitschrift gefunden. Von außen betrachtet hat sie all das erreicht, was sie sich für ihr junges Alter vorgenommen hatte – bis ihr Leben in all seine Einzelteile zerfällt. Candice Carty-Williams hat mit ihrem Debütroman Queenie eine humorvolle und doch herzzerreißende Geschichte über eine junge Frau geschaffen, die unter dem Druck des ständigen Rassismus und ihrer traumatischen Kindheitserfahrungen zerbricht. Ausgezeichnet als Book of the Year bei den British Book Awards, scheut sich der Roman nicht vor kontroversen Themen wie sexualisierter Gewalt und mentaler Gesundheit.
Die Geschichte, die sich wie ein Anti-Bildungsroman liest, wird aus Queenies Perspektive geschildert. Ihr unverwechselbar trockener Humor bildet einen erleichternden Kontrast zu den erschütternden Ereignissen, die ihr Leben aus den Fugen geraten lassen. Nach der schmerzhaften Trennung von ihrem Partner Tom muss Queenie sich mit ihren Verlustängsten und selbstzerstörerischen Tendenzen auseinandersetzen. In einer Folge von katastrophalen Dates, die sie physisch wie emotional verletzen, droht sie nicht nur ihren hart erkämpften Job zu verlieren, sondern auch sich selbst. Zunehmend schlimme Angststörungen lassen alte Traumata erwachen, die Queenie verdrängt geglaubt hat. Mit Hilfe ihrer jamaikanischen Großeltern und ihrer besten Freundinnen klammert sie sich an ein Leben, das Queenie längst nicht mehr unter Kontrolle hat.
Eine geraubte IdentitätNicht selten lässt der Roman seine Leser:innen ungläubig den Kopf schütteln ob des unverfrorenen Rassismus, der für Queenie alltäglich ist. Sei es die Fetischisierung ihrer Hautfarbe auf Dates oder durch Fremde auf öffentlicher Straße, sei es die Aussage ihres Arbeitskollegen, dass nicht ›Black‹, sondern ›All Lives Matter‹ – der konstante Zwang, sich zu rechtfertigen, zu verteidigen und zu schützen, belastet die Protagonistin so sehr, dass sie beginnt, den ihr entgegengebrachten Hass zu internalisieren. Mehr und mehr verliert sie den Respekt vor ihrem Körper, der sie als Zielscheibe für Rassismus markiert.
Das Gefühl der Isolation und die permanente – mal mehr mal weniger unterschwellige – Diskriminierung schleichen sich auch in Queenies Zuhause ein. Ihre Nachbarschaft, die ihr stets ein Gefühl von Sicherheit gegeben und in der sie sich nicht deplatziert gefühlt hat, ist wie viele Londoner Stadtteile der Gentrifizierung zum Opfer gefallen. Wo einst Einzelwarenhändler jamaikanische Backwaren angeboten, kündigen leuchtende Reklame-Schilder nun die Neueröffnung moderner Bars und Kettenrestaurants an. Queenie fühlt sich zunehmend verdrängt aus einer Welt, die anders aussieht als sie, und die diese Andersheit nicht akzeptiert:
Ein kontroverser RomanWann war dieses Viertel, das ich so gut gekannt hatte wie kein anderes, der einzige Ort, an dem ich je das Gefühl gehabt hatte, ich selbst sein zu können, der Platz, wo so viele aussahen wie ich und redeten wie meine Familie, wann war dieses Brixton verschwunden? Wann hatte man ihm seine Identität geraubt?
Vor allem in den sozialen Medien wurde die graphische Darstellung von sexualisierten Übergriffen im Roman kontrovers diskutiert. Queenie beschreibt detailliert ihre Begegnungen mit Männern, denen sie willentlich ihren Körper als Sexobjekt überlässt. In ihrem Drang zur Selbstzerstörung begibt sie sich nun bewusst in Situationen, in denen ihre Hautfarbe fetischisiert wird und ihre Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit als menschliches Subjekt verneint wird. Queenies Verhalten und ihre Einstellung gegenüber Beziehungen sowie zu ihrem eigenen Körper ist hochgradig toxisch und als Leser:in nur schwer zu verarbeiten. Als sie sich auf die übergriffigen Annäherungen eines Arbeitskollegen einlässt und passiv auf die Toilette ziehen lässt, versucht sie, eine psychische Distanz zu der Situation aufzubauen.
»Und hättest du gedacht, dass es auf einer Bürotoilette passieren würde?«, fragte ich in der Hoffnung, mit Humor würde ich Distanz zu dem bekommen, was sich da gerade ereignete. Wenn ich es nicht wollte, warum ließ ich es dann zu? Sicher wollte ich es, oder?
Die Frage, inwiefern Queenie bei dieser Begegnung deutlich Zustimmung ausdrückt, ist zweifelhaft und verdeutlicht, wie schwierig die Aufarbeitung solch sensibler Themen wie sexualisierter Gewalt ist. Der Roman knüpft damit an die Diskussion um Einvernehmen an, die durch die #metoo-Bewegung an gesellschaftlicher Aufmerksamkeit gewann. Dass die Grenze zwischen Zustimmung und sexualisierter Gewalt noch immer umstritten ist, zeigte 2018 nicht zuletzt die Diskussion um einen Gesetzesentwurf in Schweden, nach dem gegenseitiges Einvernehmen klar ausgedrückt werden muss. Sexualisierte Gewalt ist vor allem juristisch und gesellschaftlich in Grauzonen verortet, die der Roman an einigen Stellen differenziert aufgreift.
Die direkte und ungefilterte Beschreibung von Queenies erduldeter Misshandlung, verstärkt durch die autodiegetische Erzählung, ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist die Repräsentation toxischer Verhaltensweisen und durch Trauma bedingter Selbstzerstörung in literarischen Texten wichtig, damit die Schilderung von Gewalterfahrungen für Frauen nicht länger ein Tabu ist. Auf der anderen Seite wird die Geschichte aus Queenies Sicht erzählt und ihr humorvoller Ton verharmlost ihre Erlebnisse, indem er emotionale Distanz schafft. Es existiert keine Erzählinstanz, die Queenies Entscheidungen und Gefühle reflektiert – die Leser:innen hören lediglich Queenies Stimme, die ihre Ex-Beziehung so zusammenfasst: »Wir hatten einander wehgetan, aber das machten Paare eben, oder? Sich gegenseitig wehtun.«
Ein schwieriger Balance-Akt
Candice Carty-Williams hat mit ihrem Debüt Queenie einen kontroversen Roman geschaffen, der sich nicht vor der erschütternden Darstellung von körperlichem und emotionalem Missbrauch scheut. Queenies toxische Einstellung sich selbst und ihren Beziehungen zu anderen Menschen gegenüber stellt für viele Leser:innen eine schwierige Lektüre dar, verstärkt noch durch die emotionale Nähe, die die autodiegetische Erzählung erzeugt. Trotzdem steht der Roman für eine Enttabuisierung sensibler Themen ein und bildet somit eine wichtige Stimme in der Literaturwelt.