Das Stück Soldaten – ein szenisch-musikalischer Einsatzbericht, eine Kooperation der werkgruppeǀ2 mit dem Deutschen Theater und dem Göttinger Knabenchor, wirft Fragen rund um den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland auf und gibt Anstöße, sich eingehender mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Von Lilo Ruther
Seit nunmehr 20 Jahren gibt es Auslandseinsätze der Bundeswehr. Nach wie vor sind sie politisch und militärisch höchst umstritten, und die Folgen sind schwerwiegend. Viele Soldaten kehren von ihrem Einsatz traumatisiert zurück, für manche gibt es keine Rückkehr. Die, die zurückkommen, fühlen sich nicht selten isoliert, allein gelassen mit ihrem Erlebten. Anfang des Jahres nahm sich der Tatort dieser Thematik an (Heimatfront, 23.01.11). Eine Ausnahme – nur selten werden Auslandseinsätze wirklich tiefergehend in der Öffentlichkeit analysiert. In Göttingen ist das jetzt anders: Mit dem Stück Soldaten – ein szenisch-musikalischer Einsatzbericht, eine Kooperation der werkgruppeǀ2 mit dem Deutschen Theater und dem Göttinger Knabenchor, werden Fragen rund um den »Einsatz« deutscher Soldaten im Ausland aufgegriffen und Anstöße gegeben, sich selbst eingehender mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Soldaten, was sind das eigentlich für Menschen? Was macht das mit einem Menschen, wenn er in den Krieg geht? Wie ist das, an der ›Front‹ im Kundus, in Somalia oder Kuwait zu sein? Wieso geht einer freiwillig in den Kriegsdienst? Das sind die Leitfragen, die die Theatermacher angetrieben haben. Die werkgruppeǀ2 ist ein freies Theaterensemble, das sich in seinen Produktionen mit zeitgenössischen Themen auseinandersetzt und seit 2009 ausschließlich dokumentarische Theaterstücke zu aktuellen gesellschaftlichen Themen entwickelt und aufführt. Beim Dokumentarischen Theater dienen authentische Quellen (Berichte, Reportagen, Dokumente, Urkunden, Interviews) als Vorlage für ein Stück. Die Produzenten verdichten das Material auf das Wesentliche und ordnen es neu an.
Feste Spielstätte des Ensembles werkgruppeǀ2 ist das Alte Magazin der Saline Luisenhall in Grone, wo auch aktuell Soldaten aufgeführt wird. In der Saline Luisenhall wird tagsüber noch Salz geschöpft. Das Gelände wirkt karg. In das Alte Magazin kommt von außen kein Licht herein, die Fenster sind zugeklebt oder verbrettert, was dem gesamten Raum etwas Abgeschlossenes, leicht Bedrückendes verleiht. Es gibt keine Bühne. Die Zuschauer sitzen in einem Kreis um einen Haufen aus Patronenhülsen herum. Die karge Atmosphäre der Saline, in der nur etwa 80 Zuschauer leicht fröstelnd Platz finden, lässt die Erzählungen noch eindringlicher wirken. Die Nähe zu den Schauspielern ist zuweilen sehr persönlich, fast sogar intim.
Ein Stück zwischen Heroisierung und VerzweiflungDie Regisseurin Julia Roesler hat zusammen mit ihrer Co-Autorin Isabelle Stolzenburg und der DT-Dramaturgin Anna Gerhards aus Interviews mit insgesamt 20 Bundeswehrsoldaten ein Stück mit fünf verdichteten Personen geformt. Die Schauspieler Andreas Jeßing, Nikolaus Kühn, Karl Miller, Leif Scheele und Martin Schnippa geben fünf Soldaten Körper und Stimme. Manche Figuren basieren auf dem Interviewmaterial einer realen Person, andere auf dem von zwei oder sogar drei. Der »Einsatzbericht« besteht größtenteils aus Erzählungen der Soldaten, in denen sie von ihren Erlebnissen im Kosovo, in Bosnien, Somalia, Afghanistan und dem Irak berichten und dabei abwechselnd mal aus der Ferne und mal aus der Nähe sprechen, wenn sie neben den Zuschauern und Zuschauerinnen im Kreis sitzen. Oft suchen sie den direkten Kontakt zu den Zuschauern, schauen ihnen direkt ins Gesicht.
Die fünf Erfahrungsberichte werden in kurzen Wechseln vorgetragen. Die einzelnen Erzählstränge scheinen sich miteinander zu vermischen, da die Soldaten von ähnlichen Erfahrungen berichten. Nur ihre Bewältigungsstrategien sind unterschiedliche. Allmählich vergisst man, und das ist sicher gewollt, dass die, die da neben einem sitzen, Schauspieler sind.
Drei Sänger des Göttinger Knabenchores bereichern die Aufführung zwischen einzelnen Erzählpassagen musikalisch. Der Kontrast von ›Knaben‹ und ›Soldaten‹ ist inszenatorisch sehr gelungen: Durch den klanglich betörend lieblichen, vom dargebotenen Liedgut her (z.B. »Hundert Mann und ein Befehl«) zugleich aber heroisierenden Gesang der Knaben, in den die Soldaten teilweise auch einsteigen, steigert sich die bedrückende Stimmung, und der Zuschauerin ist zum Weinen zumute. Doch dann wird die trübe Stimmung gebrochen, sie wird wieder aus ihren trüben Gedanken gerissen; denn nun fangen die Soldaten an zu feiern, reichen Bier herum und tanzen mit den Damen.
Soldaten im AuslandseinsatzDie Texte, die die Schauspieler sprechen, bieten einen vielschichtigen Einblick in die Lebenswelten der Soldaten. Am Anfang steht bei fast allen die gleiche Motivation: Abenteuerlust, Neugier und die sportliche Herausforderung. Vom Wunsch, Verantwortung zu übernehmen und »vor Ort etwas Gutes tun zu wollen«, ist genauso die Rede wie von materiellen Beweggründen. Sie sind bereit, »das Äußerste zu tun«, darin eingeschlossen: das Spiel mit dem eigenen Leben. Doch der Alltag der Soldaten im Einsatz ist hart, geprägt von Nachrichtensperren, permanenter Angst, extremen Situationen und extremen Gefühlen. Hinzu kommt die Enttäuschung, von der einheimischen Bevölkerung nicht willkommen geheißen zu werden. Erschütternd ist, wie beiläufig immer wieder vom Töten gesprochen wird: »Das gehört halt auch dazu.«
Viele stellen sich selbst als Opfer dar, möchten ernst genommen werden, beklagen sich über fehlende gesellschaftliche Anerkennung und rechtfertigen sich für falsche Entscheidungen im Einsatz und letztendlich auch dafür, den Beruf des Soldaten gewählt zu haben, bei dem der Tod ein ständiger Begleiter ist.
Einmal Soldat, immer SoldatEinige der Soldaten sind durch den andauernden Adrenalinausstoß im Einsatz zu »Einsatzjunkies« geworden. Sie sind süchtig nach Einsätzen und fühlen sich nur noch im Einsatz lebendig. Wieder andere erzählen von den »Momenten, wo man sich scheinbar vom Leben verabschiedet hat«. So kommt es nicht überraschend, dass sie sich nach der Rückkehr aus dem Einsatz in der Normalität des »friedlichen« Alltags nicht mehr zurechtfinden. Viele leiden an dem, was Psychologen eine ›Posttraumatische Belastungsstörung‹ (PTBS) nennen. Sie erzählen von Depressionen, Alkoholsucht, Schlaflosigkeit und Alpträumen. Einige bleiben auch im normalen Leben gewaltbereit und sagen von sich selbst, dass die Gefahr besteht, dass sie Amok laufen: »Wir sind Kampfsoldaten, die kann keiner zurückhalten.«
Schockierende EinblickeDieses so ganz andere Theaterprojekt überzeugt durch seinen Authentizitätsanspruch und die umfassende Darstellung, ohne dabei politisch Stellung zu beziehen. Die Soldaten, die sich für einen Auslandsaufenthalt entschieden haben, sprechen für sich selbst und werden nicht für eine politische Aussage instrumentalisiert. Die Einblicke, die man dabei gewinnt, sind schockierend, und sie zeigen, dass die gesellschaftspolitische Debatte über Auslandseinsätze nicht ohne Blick auf die geführt werden kann, die diese Einsätze am eigenen Leib erfahren und aushalten müssen. Diese Debatte ist längst noch nicht abgeschlossen – das ist vielleicht das Politikum dieser Aufführung.
Das Stück endet bezeichnenderweise mit der Aussage eines Soldaten: »Irgendjemand muss die [die Auslandseinsätze] ja auch machen, kann sich ja nicht jeder drücken.« Gerade wenn man sich dieser Aussage nicht so gerne anschließen mag, erst recht nicht nach all dem, was man als Zuschauer erfahren hat, erreicht sie doch ihr Ziel, nachdenklich darüber zu machen, ob und in welchem Ausmaß Auslandseinsätze überhaupt notwendig sind.
Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es im September zwei zusätzliche Termine (12. September, 10:30h und 13. September, 11:30h) und eine Wiederaufnahme im November.