Gewinnmaximierung, Krisenmanagement, Empowerment. Führungskompetenzen wurden Ravn, Chef einer dänischen IT-Firma, nicht in die Wiege gelegt. Das Junge Theater in Göttingen zeigt mit Lars von Triers Komödie Der Boss vom Ganzen eine Parodie auf die moderne Arbeitswelt. Das Ensemble spielt in der Inszenierung des Intendanten Andreas Döring mit Macht und Verantwortung – und zeigt trotz aller Komik: Die Stechuhr steht auf fünf vor zwölf.
Von Lilly Günthner
In einem holzgetäfelten Büroraum steht ein Mann in Anzug, er verhandelt mit einem lockeren Typen in Jeans und Turnschuhen. Das Interieur ist für einen Büroraum schon beinahe gemütlich: Neben Empfangstresen, Kopierern und Arbeitsplätzen steht ein Sofa, dahinter Zimmerpflanzen. Auch Ravn, der lockere Typ – von Dirk Böther gespielt – und Chef der dänischen IT-Firma, deren Räumlichkeiten im 70er Jahre Flair so gar nicht zur schnelllebigen IT-Branche passen wollen, wirkt wie ein lieber Kerl. Doch halt! Wie sich schnell herausstellen wird, steckt hinter der Fassade der netten Firma weitaus mehr. Die dargestellten Büroräumlichkeiten in der von Andreas Döring inszenierten Komödie Der Boss vom Ganzen werden im Stück selbst gewissermaßen zur Bühne für ein abgekartetes Machtspiel. Im Zuge der Enthüllung der Machenschaften in der Firma werden die absurd-komischen Seiten der modernen Arbeitswelt karikiert und gleichzeitig Schauspiel und das Theater parodiert.
Doch zurück zum Geschehen. Der Chef Ravn spielt seinen MitarbeiterInnen seit Jahren vor, lediglich ein höherer Angestellter zu sein und hat zu diesem Zweck einen ominösen Boss vom Ganzen erfunden, der angeblich von Amerika aus die Belange der Firma regelt. So kann Ravn unliebsame Entscheidungen durchboxen und gleichzeitig den kumpelhaft netten und allseits beliebten Kollegen mimen. Doch als er beschließt, die Firma zu verkaufen, gerät er mit seinem Versteckspiel in die Bredouille: Der isländische Interessent Finnur, gespielt von Jan Reinartz, will ausschließlich mit dem ›richtigen‹ Chef aus Amerika verhandeln. So wird kurzerhand der Schauspieler Kristoffer, Gintas Jocius, engagiert, um die Rolle des großen Bosses zu übernehmen und den Verkauf der Firma schnell abzuwickeln.
Persiflierte Künstler, skrupellose ArbeitsweltDie ohnehin schon verworrene Lage in der Firma wird mit Kristoffers Eintreffen völlig konfus; ein Schauspieler scheint hier gerade noch gefehlt zu haben. Hinzu kommt, dass Kristoffer seinen Auftrag in erster Linie als künstlerische Herausforderung versteht und im »Boss« eine große Rolle wittert. Mit seinen komischen Bemühungen, sich in die Rolle einzufühlen und den witzigen Szenen, in denen es zu allerlei Missverständnissen zwischen den MitarbeiterInnen und ihrem vermeintlichen Chef kommt, wird ein bestimmter Typus des Schauspielers karikiert: Kristoffer ist eine realitätsferne und abgehobene Künstlerfigur, die sich dem absurden Dramatiker Gambini verschrieben hat und fern ihrer Rolle kaum etwas wahrnimmt. Mit seinem schauspielerischen Auftrag gerät er jedoch mitten hinein in die internen Konflikte und Beziehungen unter den Angestellten und durchschaut nach und nach die Machenschaften, die Ravn im Namen des großen Bosses betreibt.
Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.
All diese Machenschaften laufen in der Firma unter dem Deckmantel von Teamwork und sozialer Verantwortung. Der Boss vom Ganzen stärkt als gemeinsamer Sündenbock die Solidarität unter den MitarbeiterInnen noch. Dass sie eigentlich Leidtragende der Ausbeutung durch Ravn sind, ist den »Fünf Alten« nicht bewusst. Die ZuschauerInnen sehen in den auf die eine oder andere Weise geschädigten Gestalten auf der Bühne aber schnell ausgebrannte Opfer der Arbeitswelt.
Bei aller Komik und vielem Lachen im Zuschauerraum kann Kristoffers Zweifel nur zu gut nachvollzogen werden. Je tiefer er in die Gefilde der Firma eintaucht, desto stärker beginnt er mit der Figur des Boss vom Ganzen zu hadern. Anstatt seinen künstlerischen Auftrag schnell über die Bühne zu bringen, verstrickt er sich persönlich in die Konflikte und beginnt, seine Rolle zu hinterfragen. In seinem Zweifel wird der bisweilen eher leise anklingende moralische Unterton lauter. Denn bei aller Komik steckt doch eigentlich bitterer Ernst unter der vermeintlich seichten Oberfläche. Die Inszenierung lädt zum Lachen ein – im Nachhall aber bleibt auch der kritische Unterton deutlich spürbar.