Neues vom enfant terrible der amerikanischen Literatur: In Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man sind nun weitere, auf Deutsch bisher unveröffentlichte Stories aus der berühmt-berüchtigten Kolumne von Charles Bukowski erschienen. Und die sind, wie nicht anders zu erwarten war, typisch Bukowski: Obszön, hemmungslos, leidenschaftlich.
Von Jonas Knostmann
Los Angeles in den späten 60er-Jahren. Ein erfolgloser Schriftsteller, Säufer und Briefsortierer bekommt vom Herausgeber der Underground-Zeitung OPEN CITY das Angebot für eine wöchentliche Kolumne. Was ihm zunächst als wenig attraktiv erscheint, entpuppt sich nach kurzer Zeit als genau das, was sich Charles Bukowski immer gewünscht hatte:
Dann, eines Tages, […], hockte ich mich hin und tippte die Überschrift: NOTES OF A DIRTY OLD MAN, machte ´ne Dose Bier auf, und das Schreiben erledigte sich von selbst. Nichts von dem verkrampften Gedrechsel, das gefragt ist, wenn man was für Atlantic Monthly schreibt; aber auch kein 08/15-Journalistengewäsch. Ich saß einfach am Fenster, kippte mein Bier und ließ die Sachen kommen wie sie kamen.
Und das taten sie. Bukowskis Geschichten wurden in mehreren US-amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften bis in die 80er-Jahre hinein gedruckt, eine Auswahl schon 1969 als Aufzeichnungen eines Außenseiters veröffentlicht. David Stephen Calonne hat nun eine Sammlung von weiteren Stories aus dieser Zeit zusammengestellt und unter dem Titel Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man herausgegeben. Entstanden ist dabei eine Mischung aus kurzen Geschichten, Essays und Gedankensplittern rund um den misanthropischen Einzelgänger Bukowski und seine Alter Egos, die den Leser provozieren, anekeln, zum Nachdenken anregen oder auch schon mal sprachlos dasitzen lassen.
Selbstreflexion bei vollkommener GleichgültigkeitUnverkennbar dabei sind wieder einmal die zahllosen autobiographischen Bezüge, die Bukowski in seinen Geschichten unterbringt: Sei es das Schicksal eines 13-jährigen Jungen, der sich nicht erklären kann, womit er seine Rabeneltern verdient hat, die immer wiederkehrenden Streit- und Eifersuchtsszenen mit seinen Frauen und nicht zu vergessen die zahllosen Saufgelage – Wein, Whiskey, das Sechserpack Bier, in so ziemlich jeder seiner Stories spielt der Alkohol in irgendeiner Form eine Rolle. Und so wundert es nicht, zwischendurch auch mal auf nachdenkliche Passagen zu stoßen:
Ich freue mich oft, wenn mir was Schlimmes passiert. Das hat weniger mit Masochismus zu tun, als mit dem Gefühl, dass eine Schuld beglichen wird; passieren muss es, und wenn es dann passiert, freut man sich heimlich – vielleicht, weil man denkt, jetzt geht es wieder aufwärts???
Letztlich wird trotzdem der Eindruck erweckt, dass diese Anflüge der Selbstreflexion sich genauso schnell wieder in Luft auflösen, wie sie gekommen sind: »Wenn du alles bedacht hast, hast du zu viel bedacht.« Ändern kann man ja doch nichts.
Allerlei Abartigkeiten…Der Stil, den Bukowski in seinen Notes prägt, mag gewöhnungsbedürftig sein. Tabus scheinen für den Autor nicht existent, die Sprache ist rau, Beschreibungen strotzen nur so vor unverhohlener Realität und immer wieder findet sich der Leser mit abschreckenden
Eine andere Szene beschreibt das Verhältnis der Inhaberin eines Reisbüros mit einem ihrer Kunden. Nach einem Verkaufsgespräch kommt es zum Sex zwischen den beiden und der zunächst harmlos wirkende Mann wird äußerst brutal, schlägt auf die Frau ein bis diese in Tränen ausbricht. Nach dem detailliert beschriebenen Akt weiß dieser auf ihr »Ich liebe dich, Harry« nur »Was? Das war keine Liebe. Das war primitiver Sexscheiß, […]« zu erwidern. Die Tatsache, dass diese Szenen für den Protagonisten in den meisten Fällen jedoch nicht aufregender zu sein scheinen, als zum Briefkasten zu gehen oder das Geschirr zu spülen, verstört.
…die fesselnLässt man sich auf die Geschichten des Dirty Old Man ein und legt das Buch nach ein paar Stories nicht gleich wieder angeekelt zur Seite, gelingt es durchaus das Besondere, das Aufregende, und sogar das Schöne an diesen Texten zu entdecken. Der unkomplizierte Sprachstil und die nie auf der Stelle stehende Handlung der einzelnen Geschichten sind zu fesselnd, um nicht weiterzulesen. Und es ist dann eben doch nicht alles rau und derb und primitiv, was dem Leser hier vorgelegt wird. Man muss nicht lange graben, um die Tiefe in vielen von Bukowskis Passagen freizulegen.
Was nach dem Zuklappen des Buches bleibt, ist zum einen eine gewisse Faszination von dem, was man da gerade gelesen hat. Zum anderen stellt sich schließlich noch einmal die Frage nach dem autobiographischen Gehalt. Irgendwie möchte man wissen, wieviel von alldem echt ist und was in welchem Umfang überspitzt dargestellt wird. Aber eigentlich ist das gar nicht so wichtig. Zutrauen würde man Charles Bukowski so ziemlich alles.