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New York, New York

Zwischen brachialer Hip-Hop-Ästhetik, krasser Nekrophilie, lethargischem Blues und Literaturbetrieb – Underground-Veteran Carl Weissner legt mit Manhattan Muffdiver ein grooviges New York-Panorama vor und begibt sich dabei auf die Spuren der Beatniks. Ein Aufschrei aus dem Hotel am Abgrund.

Von Malte Gerloff

»Das neue New York ist natürlich das alte New York: Eine Totenstadt. Nie etwas anderes gewesen…« Eine Totenstadt, die in Hip-Hop-Loops daher groovt und den »Mutterficker« brennen lässt. So zumindest kommt es daher im Panorama von Underground-Veteran Carl Weissner, welches sich zwischen brachialer Hip-Hop-Ästhetik, krasser Nekrophilie, lethargischem Blues und Literaturbetrieb verortet. Und dabei so roh bleibt wie gute Carpaccio, die mit allerhand schleimigem Gallert serviert wird, damit der formal-ästhetische Zugriff der Beat Generation, auf dessen Spuren und in dessen Tradition sich der Erzähler immer wieder inszeniert, gewahrt bleibt, um so die Eindrücke des amerikanischen Alptraums im gegenwärtlichen New York umreißen zu können. Das Motto gibt Weissner dabei selber mittels eines Zitats vor: »If you can’t stand blood stay out of the butcher shop.« Oder frei nach Artaud: »Alles Schreiben ist Sauerei.«

Die Stadt hat ihn schon mal fertiggemacht, und jetzt tut sie es wieder. Sie ist die überdrehteste Star-Wars-Metropole auf Erden (und mit dem Fritz-Lang-Begriff Moloch nicht zu fassen, Allen Ginsberg.) Sie ist von überirdischer Indifferenz und idiotisch teuer. Ein Suchtmittel. Ein Gift. Und er will das Gift.

Und dieses Gift besteht aus Dreck. Dem Dreck, dem Weissner seine Poesie abringt, wie er es einst in seinen Übersetzungen von Charles Bukowski, Allen Ginsberg und William S. Burroughs getan hat. So dass sich jedem Leser die Frage aufzwängt, ob es sich nur um einen lauen Aufguss des Alt-Bekannten handelt, oder ob der Autor es geschafft hat, der Spurensuche etwas Kreatives abzugewinnen. Es kann hier vorweggenommen werden, es wird nicht nur in der Vergangenheit geschwelgt, sondern es entsteht auch oder gerade bei dieser Spurensuche nach den Überbleibseln der Lost Generation Neues.

Trieb der Bebop und der wilde Jazz die Beatniks um, so ist es heute eine andere Art von Musik, die den Takt vorgibt. Sie ist genauso wie der Jazz, den der Rechtsschreibe Duden von 1968 noch als »Negermusik« definiert und damit eine rassistisch-gefärbte Ablehnung dieser Musik nicht hätte deutlicher ausdrücken können, eine Musik, die von der bürgerlichen, weißen Gesellschaft abstoßend aufgenommen wird: Gangsta Rap. Aber der Jazz trieb die Beatniks nicht nur an, sie versuchten auch den Flow, das Gefühl und die Melodie des Jazz’ in ihre Texte zu integrieren und so ihre Stoffe anzureichern und zu verdichten. Und auch bei Weissner fungiert die Musik als mehr, ist nicht nur Soundtrack, der wahllos nur die Bilder untermalen soll. Sie ist der Taktgeber der poetischen Vision des Romans, der diesen Takt versucht aufzunehmen.

Im Taxi hat jemand ein Paperback vergessen. Es ist von Chandra K., die in Gangsta-Rap-Videos mitgewirkt hat: ‚Ich war noch minderjährig und er hat verlangt, daß ich ihn beim Sex ‚Daddy’ nenne, weil ihn das wild macht … Es gab nichts besseres als hier Sex zu haben. Als er kurz vor dem Orgasmus war, schrie ich: ‚Fick mich Daddy! Er verdrehte die Augen und spritzte mich voll.’

Mit diesem Zitat macht er das, was er mit mehreren Zeilen seines Romans macht, er schleudert es durch den Loop, die kunstvolle Wiederholung. »Es gab nichts besseres als hier Sex zu haben.«

»Nein! Ich wette er hat sie provoziert. Er nervt doch ständig welche. Provozieren ist sein Business!« Neben der dauernden Provokation bestimmt eine beißende Kritik am Literaturbetrieb den Roman, die nicht nur beim Dissen von Autoren, in diesem Fall trifft es Denis Johnson und Don DeLillo, verharrt, sondern er nimmt sich auch all die konservativen Schriftsteller vor, die für die ewige Wiederkehr des ewiggleichen Einheitsbreis stehen: »Seit der Erfindung der Keilschrift gibt es weltweit ganze zwölf Plots. Warum der 68.458te sein der Enkidu und wie-heißt-er-noch variiert.«

Neben dieser Wendung gegen die unkreative Reproduktion belässt der Autor seine Kritik nicht nur an der Oberfläche des Expliziten, sondern sie bezieht sich auch auf die Form des Romans, der im Gewand eines E-Mail-Romans daherkommt, die aber letztlich nur eine Variation des literarisch gängigen Briefromans darstellt. Der entstammt bekanntlich einer humanistisch bildungsbürgerlichen Tradition, mit welcher der Autor gekonnt komplett bricht, indem er einerseits die Stilmittel der harten Schnitte, der Montage, des Cut up und des Zitats sowie der Chiffre verwendet, und andererseits die unbedingte, gnadenlose, hartgesottene Haltung beibehält. Und dabei wirkt der Rap eben auch als Strukturierungsmodell. So werden die Hip-Hop-Sounds mit knallharten Gruftie-Tönen gemixt, so dass eben dieser kraftvolle Klang herauskommt: »Deiner Nachtigall kannst du sagen, daß kein Fick auf der Welt 130 Baltz-Töne wert ist. Das wußte schon Al Capone. Und der hat gern gesungen.«

Buch-Info


Carl Weissner
Manhattan Muffdiver
Wien: Milena 2010
180 Seiten, 17,90 €

 
 

Doch neben diesen kraftvollen Passagen klingen auch immer wieder andere Töne durch, so werden die Chancen, dass sich im Politischen etwas ändert, mit einem Lächeln davon gewischt: »Kurz und gut, die Lage ist hoffnungslos.« Weil es die meisten in unserer Generation nicht bringen. Dennoch wird der Kampf von Carl Weissner aufgenommen, um zu verändern, was nicht zu ändern ist. Und zwar mit einem kräftigen Tritt in die Klöten. Mit Schwung und Springerstiefeln. Doch hält er diese Haltung nicht immer durch, so nimmt er die harsche DeLillo-Kritik ein paar Seiten später zurück, als hätte er es sich beim Ausholen des Fußes anders überlegt und beim Durchschwingen des Beines kurz vor den Eiern gestoppt.

Die gnadenlose Haltung der ersten Seiten wird mit jeder Seite etwas weniger. So, als wäre dem Angry Old Man dabei langsam die Luft ausgegangen. Dabei ist es nur ein Luftholen, um dann noch mal richtig loszuschlagen, richtig durchzustarten und den Leser brennen zu lassen. Mit oder gerade auch wegen sinnstiftender Verwirrtheit, die durch die immer wieder hineinbrechenden Notizen eines Krimiautors entstehen, die der Schreiber der Mails wiederholt ansatzlos einbringt. Wie ein plötzliches Unwetter dringen diese Notizen in den Erzählfluss ein. Dieses unvermittelte Hineinbrechen, dieser unablässig mögliche Donner und Blitzschlag lässt den Leser im Irgendwo, bietet ihm keine Anhaltspunkte, holt ihn nirgends ab, will ihn auch nicht irgendwo hinbringen, sondern stiftet eine Verunsicherung, die in eine anhaltslose Orientierungslosigkeit ausufert. »Man wünschte sich, der Wahn des Autors würde den Punkt erreichen, wo er sich einbildet, er könnte ohne negative Folgen Batteriesäure trinken in einer Jahrmarktbude von Coney Island. Farewell, my lovely Scumbag!« – Diese Eindrücke stehen unverbunden im Raum, sind versiegende Flüsse der Story, die nicht weiter fließen. Während die anderen Rinnsale scheinbar wie von selbst zusammenfließen und so in das New Yorker Panoptikum hineinfluten. Aber es ist kein Wasser, sondern eine grelle in der Nacht leuchtende Flüssigkeit, die dort zwischen diesen Seiten zu einem Meer zusammenströmt.

Folgt man dem Strom der Gedanken, so endet alles in einer beklemmenden Lethargie, aus der es nur die Flucht als Ausweg gibt. So verwundert es kaum, dass dieses das all bestimmende Thema des Romans ist. In der Form, in der sie beschrieben wird, bekommt diese Bewegung etwas Andauerndes und Stetiges. Immerfort. Immerfort. Muss es vorangehen. Weitergehen. Immer. Als übertrage sich die schlaflose, fortwährende Hektik New Yorks auf den Protagonisten und von diesem auf den Erzähler, denn die dauernde Flucht ist nicht nur eine Flucht aus den Mauern Fort Europas, oder aus den USA, sondern es ist eine Form des totalen Eskapismus. Manifest wird dies vor allem auf der sprachlichen Ebene des Erzählers, wenn er explizit Peter Sloterdijk zu Wort kommen lässt: »Die deutsche Sprache eignet sich bekanntlich ideal für das Bestellen von Rheumasocken.« Die einzige Zielbewegung, die für den Protagonisten daher in Frage kommt, ist die Flucht in die Welten der ausgefreakten Randgestalten und der Literatur. »Meldungen aus einer Parallelwelt, die ihm verschlossen bleibt. Trotzdem interessant: Diese Mitmenschen haben noch einen 100% realen Lebensinhalt. Er hat nur noch Drang, in allem die Fiktion zu sehen.« Dieser Eskapismus nähert sich absichtlich dem Irrsinn soweit wie möglich an.

Und so creept Weissners Protagonist durch das Yankee-Panoptikum, man will immer mehr erfahren von dem ausgefreakten Personal, welches die Ränder dieser Stadt des Wahnsinns bewohnt, um überhaupt noch aufzufallen und dabei Sensation auf Sensation produzieren, wie »Terrence Iverson, Betreiber von Websites über Baudelaire, Burroughs, Theorie und Praxis der Nekrophilie im Spiegel der Jahrtausende«, einer lesbischen Dichterin und eines chinesischen Models und und… Das ist zweifellos einer der Qualitäten dieses Romans: die grellübersteuerten Figuren, die durch einen immer währenden Alptraum aus Flucht und Angst und Schweiß und Wut rasen. Die dabei so überhastet handeln, dass nur ein dumpfes Gefühl zurückbleibt, dergestalt, dass einem keine Auflösung der aufgezeigten Probleme angeboten werden, sondern am Ende nur noch der Furor der totalen Eskalation abgefeiert werden kann.

Bevor das Buch mit dem Nekrolog auf Charles Bukowski ausklingend schließt, schließt sich vielleicht auch das Kapitel Beat Generation. Es wäre schade – vor allem nach diesem Aufschrei der Kritik an den bestehenden Umständen aus dem Hotel am Abgrund – sagen zu müssen: This was the last song. Rest in Peace, my lovely scumbags! Denn Manhattan Muffdiver ist das Kraftvollste, was die deutschsprachige Literatur seit Langem hervorgebracht hat.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 18. Oktober 2010
 Kategorie: Belletristik
 Mit freundlicher Genehmigung vom Milena Verlag.
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 2 Kommentare
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2 Kommentare
Kommentare
 vanessa wieser
 19. Oktober 2010, 11:19 Uhr

eine astreine rezension! endlich einmal jemand, der kraftvolle literatur schätzt! Rest in Peace, my lovely scumbags!

 Jefferson Conway
 30. November 2010, 22:14 Uhr

… und so wird die Rezension selbst wieder zu einem Stück Literatur. Danke!

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