Mehr als eine Million Menschen weltweit haben sie schon gesehen. Jetzt ist die renommierte Wanderausstellung zur Farbigkeit der antiken Skulptur mit dem Titel »Bunte Götter« auch in Göttingen angekommen. Noch bis zum 31. Juli gastiert sie in den Räumen der Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts im Nikolausberger Weg 15.
Von Telse Wenzel
Dass antike Skulpturen farbig waren, ist in der Forschung schon lange bekannt. Doch wie die bunten Statuen genau ausgehen haben könnten und wie farbenfroh die Antike wirklich war, zeigt eine Ausstellung, die nach Zwischenstopps in Madrid, Kopenhagen, Stockholm und anderen Metropolen derzeit in der Gipsabgusssammlung im Archäologischen Institut zu sehen ist.
Überraschende Post aus StockholmAngefangen hat für die Göttinger alles mit dem Fries vom Schatzhaus der Siphnier in Delphi, erzählt Daniel Graepler, Kustos der Gipsabgusssammlung, Dozent am Archäologischen Institut und Koordinator der Göttinger Ausstellung. Die Universität erreichte die Anfrage, ob man für die Wanderausstellung eine Kopie des Gipsabgusses anfertigen könne. Dafür sollte eine zweite farbige Fassung hergestellt werden und an die Göttinger Abgusssammlung gehen. Man einigte sich. Und im Frühjahr vergangenen Jahres begannen in der Universitätsstadt die Planungen für eine eigene kleine Ausstellung, in deren Zentrum der farbige Fries stehen sollte. Im Dezember dann das überraschende Angebot: Nicht nur der Fries stand dem Seminar zur Verfügung – die gesamte Ausstellung konnte aus Stockholm übernommen werden.
Wer jetzt durch die Gipsabgusssammlung schlendert, traut seinen Augen kaum: Bunte Abgüsse, insgesamt über 30, stehen da zwischen den Exponaten der Göttinger Sammlung. Auf insgesamt drei Etagen sind farbige Gipskopien ausgewählter Werke von der archaischen Zeit bis zur Spätantike ausgestellt. Rot, braun, blau, gelb und grün sind diese Götter, Krieger und Herrscher aus Gips, und ihre Gewänder sind mit vielfältigen Mustern versehen. Ein Anblick, der fesselt und überrascht.
Hinter den Ausstellungsstücken steht die jahrzehntelange Forschungsarbeit eines Teams um die Archäologin Ulrike Koch-Brinkmann und ihren Ehemann Vinzenz Brinkmann, Leiter der Antikensammlung des Liebieghauses in Frankfurt am Main. Die vollständige Rekonstruktion der Originalzustände ist nach einem Zersetzungsprozess der Farbe von mehreren Tausend Jahren nicht möglich. Mit modernen fotografischen Verfahren konnten in den letzten Jahren aber Reste von Pigmenten und Einkerbungen von Mustern auf den Statuen sichtbar gemacht werden. Bei manchen Stücken ließ sich die Farbigkeit einzelner Partien, bei anderen, wie dem Bogenschützen aus dem Westgiebel des Aphaia-Tempels, die Musterung der Kleidung rekonstruieren.
Lebendige AusstellungDie 2003 zum ersten Mal gezeigten Ausstellungsstücke werden auf ihrem Weg durch die Museen immer wieder restauriert oder neuen Forschungsergebnissen angepasst. So auch in Göttingen, wo sich die Restauratorin Jorun Ruppel um die Gipsabgüsse kümmert. Ihre Arbeit war den Ausstellungsmachern bekannt und hat laut Graepler nicht wenig dazu beigetragen, dass die »Bunten Götter« ihren Weg nach Göttingen gefunden haben. »Die Brinkmanns wussten, dass die Exponate hier in sicheren Händen sind«, sagt er.
Unter Anleitung der Restauratorin haben sich die Studierenden auch selbst in der antiken Maltechnik probiert. Graepler zeigt sich begeistert von der »aktiven Truppe« und betont: »Einige haben sich erstaunlich gut in die Technik eingefunden.« Die Ergebnisse sind zum Teil ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Anders als die übrigen Exponate bewegen sie sich im rein spekulativen Bereich, schließlich verfügt das Göttinger Seminar nicht über die nötige naturwissenschaftliche Ausrüstung, um abgesicherte Ergebnisse präsentieren zu können.
Davon, dass die neuen technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren viel zur Erforschung der antiken Skulptur beigetragen haben, weiß auch der Göttinger Archäologe zu berichten. Insbesondere auf dem Gebiet der chemisch-physikalischen Analyse gebe es »Riesen-Fortschritte«. Ganz aktuelle Forschungen beschäftigten sich hier zum Beispiel mit der Frage, welche Rolle die Bindemittel gespielt haben, also Eiweiß und andere organische Stoffe. Sie sind noch stärker als die Mineralpigmente von der Zersetzung betroffen, erzählt Graepler. Ergebnisse auf diesem Gebiet könnten dabei helfen, die Maltechnik noch adäquater zu rekonstruieren.
Von den berührungsfreien Analysemethoden ist Graepler begeistert. Die UV-VIS-Spektroskopie etwa ermöglicht es, schnell ein Ergebnis in der Hand zu haben, ohne von den empfindlichen Exponaten Materialproben entnehmen zu müssen. Erst seit ungefähr fünf Jahren, so der Archäologe, setzt man diese Methoden für die Rekonstruktion der Farbigkeit antiker Statuen ein.
Von der Arbeit der Brinkmanns hat die wissenschaftliche Untersuchung zusätzlichen Auftrieb erhalten. In Italien und Dänemark etwa haben sich neue Forschungsteams gegründet, die die Ansätze der Wissenschaftler weiterverfolgen, so Graepler.
Image-ProblemNoch immer geistert aber bei vielen das durch die Renaissance geprägte Bild von der Götter-Statue aus weißem Marmor in den Köpfen. Erhabenheit, Unnahbarkeit, göttergleiche Würde sind weitere Stichworte, die man mit der antiken Skulptur assoziiert und mit einer weiß belassenen Oberfläche in Verbindung bringt. Außerdem steht die Altertumswissenschaft in der Öffentlichkeit ja eher in dem Ruf, eine schwer zugängliche und etwas verstaubte Gelehrtendisziplin zu sein.
Dabei kann einem beim Gang durch die Ausstellung schon einmal die Textzeile von Nina Hagen in den Sinn kommen: »Ist alles so schön bunt hier!« Statt strenger Erhabenheit transportieren diese Götter, Helden und Herrscher für den Laien geradezu eine kindliche Verspieltheit und jugendlich-heitere Stimmung. Beim Rundgang durch die Ausstellung wird klar: Die Antike hat ein Image-Problem.
Hartnäckige ChiffreWoher kommt es, dass man sich so schwer damit tut, das Bild von der antiken Plastik zu korrigieren? Haben Abbildungen und visuelle Eindrücke eine größere Macht auf unsere Vorstellung von vergangenen Epochen als sprachlich vermittelte Informationen? Für Graepler steht fest: Im medialen Diskurs wirkt die weiße Skulptur als eine Chiffre. Über die weiße Marmorstatue ließe sich die Botschaft »Antike« noch immer am einfachsten transportieren. »Einen verloren Zustand zu visualisieren, ist viel schwieriger«, sagt der Archäologe.
Die Kuratoren und Forscher hinter der Ausstellung »Bunte Götter« haben mehr als nur einen Versuch zu einer solchen Visualisierung unternommen. Die Ausstellung lässt die farbige Welt der Antike direkt sinnlich erfahrbar werden. Sie schafft damit Eindrücke, die sich im Kopf und in der Erinnerung festsetzen und zwingt den Besucher, sein Bild von der antiken Plastik neu zu definieren.
Bis zum 31. Juli kann man die Ausstellung noch besichtigen. Sie ist immer sonntags zwischen 10 und 17 Uhr und für Gruppen täglich nach Vereinbarung in der Sammlung der Gipsabgüsse im Nikolausberger Weg 15 zu sehen. Begleitend finden jeden Sonntag um 11.15 Uhr Vorträge zu ausgewählten Aspekten oder Führungen statt. Das Programm kann auf der Internetseite des Archäologischen Instituts abgerufen werden. Besucher haben außerdem die Möglichkeit, der Restauratorin Jorun Ruppel bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen: Die »Schauwerkstatt« ist bis zum Ende der Ausstellung geöffnet.