Dass Göttingen einst als Filmstadt bekannt gewesen ist, wissen nicht mehr viele. Ein stiller Zeuge dieser Zeit ist die Figur von Heinz Erhardt als Streifenpolizist an der Kreuzung Weender Straße. Trotzdem glänzte Göttingen immer durch seine vielen Kinos, die ein buntes Angebot an Filmkunst zur Verfügung stellten, zumindest bis zum Februar diesen Jahres. Dann wurde die Göttinger Kinoszene unangenehm durcheinander gewirbelt durch die plötzliche Schließung des Sterntheaters und des kleinen Programmkinos Cinema. Wilfried Arnold, Leiter des Lumières, erklärt, wie es zu diesen Ereignissen kam und wie die Zukunft des Kinos in Göttingen aussieht.
Von Rüdiger Brandis
Rüdiger Brandis: Jetzt haben kurz nacheinander das Cinema und dann auch das Sterntheater ihre Tore schließen müssen. Wie kam es zu diesem plötzlichen Verschwinden der Kinos?
Wilfried Arnold: Ja, das war zum einen überraschend, zum anderen aber auch eine Entwicklung, die sich schon seit längerem abzeichnete, weil beide Kinos Probleme wegen sinkender Besucherzahlen hatten. Beim Stern war es einfach so, dass dessen Pächter das Kino nicht mehr profitabel führen konnten. Hinzu kamen die Miete und die in den Räumlichkeiten immensen Heizkosten, so dass die Kosten so hoch gewesen sind, dass die jetzigen Pächter den Vertrag nicht mehr verlängern wollten. Außerdem bestand zwischen dem Stern und dem Cinemaxx einfach eine gewisse Konkurrenz um Besucher und um besucherstarke Filme. Die Hits des Arthousebereichs waren für das Sternkino Brotfilme und das Cinemaxx hat natürlich versucht, diese attraktiven Filme auch zu bekommen. Beim Cinema ist es etwa ähnlich gewesen. Auch da sind die Besucherzahlen deutlich gesunken in den letzten Jahren. Es hätte wahrscheinlich noch ein, zwei Jahre überlebt, insbesondere jetzt, wo das Sterntheater geschlossen ist – nur hat der Besitzer der Immobilie sich ausgerechnet, dass er wirtschaftlich deutlich besser steht, wenn er die Immobilie an s.Oliver verkauft. Deshalb hat er dann den ganzen Komplex verkauft, also inklusive der Kneipe unten und der Buchhandlung vorne im Hause, so dass auch hier wirtschaftliche Gründe dahinter standen.
R.B.: Es wird ja auch beim Cinemaxx des Öfteren über zurückgehende Besucherzahlen geklagt. Woran könnte das liegen?
W.A.: Die Besucherzahlen sind in der Bundesrepublik insgesamt gesunken, die Einnahmen allerdings nicht, weil im Zuge des 3D-Kinos unheimlich hohe Preise genommen worden sind, so dass das Einnahmelevel gehalten werden konnte. Ich glaube, der meiste Besucherschwund findet in der Gruppe der jungen Leute, sprich Studierende bzw. junge Menschen bis 25, statt. Diese Leute sind immer weniger motiviert ins Kino zu gehen, so dass die Zuschauerzahlen sowohl im Cinemaxx als auch in der Kinolandschaft insgesamt zurückgehen.
R.B.: 3D Filme haben Sie gerade angesprochen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
W.A.: Auf der Action-Event-Ebene ist es für den Bereich der Cinemaxx-Kinos eine Möglichkeit, Werbung zu machen und vielleicht auch bestimmte Besuchergruppen zu halten. Für das Arthousekino ist das bis auf wenige Ausnahmen eigentlich nicht von großer Bedeutung. Zum Beispiel hat Wim Wenders jetzt seinen Film Pina in 3D gedreht, und Werner Herzog einen Film über die Steinzeithöhlen in Frankreich. Das sind so künstlerische Events, aber im Normalprogramm der Arthousekinos wird das 3D-Kino keine Rolle spielen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Technik für die Projektion viel zu teuer ist.
R.B.: Das Publikum des Kinos erwähnten Sie gerade. Wie setzt sich das hier im Lumière zusammen?
W.A.: Frei gegriffen setzten sich unserer Besucher aus 50% zusammen, die den Eintrittspreis mit Reduktion bezahlten, was darauf hindeutet, dass es Studierende sind, und aus 50% Normalpreiszahler, also Erwerbstätige. Und ich glaube, dass sich diese Verteilung etwas verschoben hat auf 40% zu 60%. Hintergrund ist wohl zum einen, dass sich die Universitätssituation, also die Ausbildungssituation, durch die Einführung des Bachelor-Studiums dramatisch verändert hat. Es ist einfach weniger Zeit da, und in der Folge auch weniger Lust sich auch mit anspruchsvolleren Sachen zu beschäftigen, die hier im Lumiere ohne Zweifel laufen. Und zum anderen ist auch das Bedürfnis vorhanden, nach einem harten Arbeitstag oder nach einer harten Arbeitswoche sich eher zu entspannen, als sich noch einmal mit fordernden Themen auseinanderzusetzen.
R.B.: Ein weiterer großer Bereich, der den Zugang zu Filmen ermöglicht, ist ja das Internet. Dort kann man auf Plattformen wie kino.to1 Filme und Serien völlig umsonst ansehen. Ist das auch als Konkurrenz zum Kino zu sehen?
W.A.: Ich glaube, auch wenn wir darüber keine Untersuchungen vorliegen haben, dass diese Möglichkeit, sich Filme digital im Internet anzusehen oder illegal herunterzuladen, besonders im jüngeren Publikum genutzt wird und dass diese Entwicklung insgesamt für einen Schwund der Kinobesucherzahlen verantwortlich zu machen ist.
R.B.: Wie gestaltet sich das Programm des Lumières im Gegensatz zu dem des Cinemaxx? Und inwiefern ist es besonders für Studenten als interessant zu beschreiben?
W.A.: Als Student und Intellektueller sollte man ja bestrebt sein, sein Weltbild zu erweitern und dafür steht das Lumière. Das heißt, wir zeigen zwar anspruchsvollere Filme, aber die sind deswegen nicht gleich unverständlich. Wir zeigen viele Filme in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln, man könnte also hier auf jeden Fall schon mal Sprachen lernen: also vor allem Englisch, Französisch und Spanisch. Und wir zeigen Filme in Reihen, in kleinen Festivals, wie zum Beispiel im Europäischen Filmfest, im Stummfilmfestival oder im Weltfilmfestival. Wir haben häufig Regisseure und andere Filmschaffende zu Gast im Lumière. Außerdem arbeiten wir mit Initiativen wie Greenpeace, Amnesty International und Oxfam zusammen. Ich denke daher, man kann hier im Lumière eine Kombination von Film auf der einen Seite und einem bestimmten Filmerlebnis auf der anderen Seite mitnehmen, in die auch kritische Hintergründe über den reinen Unterhaltungsfaktor eingebunden sind. Und nach der Schließung von Stern und Cinema decken wir im Lumière nun in Göttingen allein den Bereich des Arthousekinos ab.
R.B.: Daran schließt wunderbar meine letzte Frage an: Wie sehen Sie die Zukunft des Lumières und des Kinos in Göttingen allgemein?
W.A.: Ich bin gespannt wie es sich weiter entwickeln wird. Das Cinemaxx wird sich halten. Dort wird man auch mit sinkenden Zuschauerzahlen zu kämpfen haben. Beim Cinema muss man abwarten, ob es den früheren Betreibern gelingt, wieder eine Spielstelle aufzumachen. Sie suchen ja händeringend nach Möglichkeiten einen Ort zu finden, an dem sie das Kino wieder betreiben können und ich denke grundsätzlich ist in Göttingen auch Luft für zwei Arthousekinos, nachdem das Stern geschlossen ist. Die Perspektive des Lumières sehe ich relativ optimistisch. Wir sind ja ein sogenanntes kommunal gefördertes Kino. Das heißt, wir haben eine gewisse Grundfinanzierung von der Stadt und um die müssen wir jedes Jahr ein bisschen ringen. Das ist in Zeiten knapper Mittel bei den Kommunen nicht einfach. Aber ich glaube, dass das eigentlich mehr oder weniger geklärt ist. Das heißt, wir werden auch weiterhin die Zuschüsse halten können, die wir brauchen, um ein anspruchsvolles Programm mit Festivals und vielen Events anzubieten. Und auf der Zuschauerebene dürfte nach der Schließung der anderen Programmkinos unser Publikum eher etwas anwachsen. Von daher gehe ich relativ optimistisch in die Zukunft.
Der Film zum Interview – Über die schrumpfende Göttinger Kinolandschaft:Als die Leinwand zitterte (As the Screen began to tremble) from lydia loves lyrics film on Vimeo.