Außen nobel und innen mit provokanten Slogans geziert: Das Münchener Residenztheater gibt sich optisch kontrastreich. Seine Inszenierung von Samuel Becketts Endspiel wiederum ist schlicht lobenswert. Sie bringt Licht ins Dunkel der planlosen Dramenlektüre.
Von Anika Tasche aus München
Wer Samuel Becketts Endspiel kennt, der weiß, dass man am Ende der Lektüre relativ planlos dasteht. Daran kann man nun verzweifeln oder man entscheidet sich für einen Theaterbesuch, der vielleicht Licht ins Dunkel bringt. Genau diese Suche nach Erleuchtung trieb mich bei meinem ersten Theaterbesuch in München an.
Da ich in meinem literaturwissenschaftlichen Studium nicht nur mit Dramentexten gearbeitet, sondern diese auch im Horizont der Praxis betrachtet habe, interessiere ich mich nicht nur für die Dramentexte an sich, sondern auch für das Theater insgesamt – als Kunstform sowie als Institution für kulturelles Gut. Daher entschloss ich mich schon in Göttingen nicht nur dazu, das breite Spektrum der Schauspielhäuser während meiner Zeit in München zu erkunden, sondern stieß beim Durchstöbern der Spielpläne auch auf Anne Lenks Inszenierung von Endspiel im Münchener Residenztheater (Kosename: Das Resi). Nach einem Blick in meinen Terminplan war klar, dass dies mein erstes Stück in München werden sollte.
Ein optisches KontrastprogrammSchon beim Betreten des Foyers merkte ich, dass hier einiges anders ist als in den Göttinger Häusern. Jegliche Wände sind mit überwiegend rot-schwarz-weißen Postern plakatiert, die nicht nur auf die Produktion des Hauses hinweisen, sondern auch provokante oder nachdenkliche Slogans enthalten wie »Wenn wir alle nichts tun: Passiert dann auch nichts?« Im Kontrast dazu ist das Publikum deutlich ›besser‹ gekleidet als in Göttingen. Die Jeans lassen die Resi-Besucher scheinbar lieber im Kleiderschrank und ziehen dafür die neue Bluse oder auch mal das schicke Kleid an – Meine Rettung: Schwarz geht immer. Dennoch konnten an dem Abend auch Studierende unter den Zuschauern ausfindig gemacht werden. Nicht ganz kostenlos, wie im Kulturticket-verwöhnten Göttingen, aber für 8 Euro durchaus erschwinglich.
Das Kontrastprogramm ging weiter, denn macht das Haus von außen doch einen äußerst noblen Eindruck – besonders im Münchener Schneegestöber –, wird man im Foyer von vielen verspiegelten Wänden empfangen, um schließlich in einem Saal Platz zu nehmen, der weder nobel noch modern ist. Dabei darf man nicht die Geschichte des Hauses vergessen: im Krieg zerstört, wurde es anschließend auf den Grundmauern neu errichtet, wodurch eventuell dieser Außen-Innen-Kontrast zu erklären ist. Hinzu kommt die Lage des Resis, das sich am Max-Joseph-Platz befindet und direkt an die Münchener Oper angrenzt. Schaut man zur Decke, so sieht man ein Gemälde, das an ein barockes Fresko, allerdings auf Mallorca, erinnert. Wie die Insel einmal trendig war und nun eher kitschig geworden ist, war auch dieses Fresko einst künstlerisch wertvoll, nun aber erkennt man die Spuren der Zeit an dem Kunstwerk.
Der Bürostuhl als ThronÄhnlich verhält es sich mit allem Mobiliar – bis auf den Bürostuhl, der seinen ganz eigenen Charme besitzt und wohl eher als modern bewertet werden kann. Er bildete das gesamte Bühnenbild für den Abend. Denn auf alles andere verzichteten Regisseurin Anne Lenk und Bühnenbildnerin Judith Oswald. Die Schauspieler*innen befanden sich zwar in einer Wohnung, die offenbar nur aus einem Raum (Hamms Reich) und einer Küche (Cloves Reich) bestand, doch wurden die territorialen Grenzen auf der Bühne nur rein gestisch deutlich gemacht. Nicht einmal Requisiten kamen zum Einsatz. In seinem Bürostuhl thronend befahl der Protagonist Hamm seinem Leidensgenossen Clove im Laufe des Abends vielerlei Aufgaben und frei nach Hamms Aussage: »Lass uns spielen«, spielte Clove alles, und zwar wirklich alles, was ihm aufgetragen wurde: Er kletterte auf imaginierte Leitern, war der Hund für seinen Herrn und reichte Hamms Eltern
Hamm und Clove befanden sich zusammen in ihrer Wohnung und warteten auf den Untergang. Schon zu Beginn des Stücks wurde die Tristesse der Dystopie ersichtlich. Von oben rieselte Schnee (oder war es vielleicht doch Staub?) auf die Bühne. Durchweg war die Verzweiflung der beiden Protagonisten offensichtlich, versuchten sie doch durch das Erzählen der immer gleichen Geschichte oder durch Darbietung eines imaginierten Hundes Abwechslung in ihr trostloses Leben zu bringen. Und auch Hamms Eltern, Nell (Ulrike Willenbacher) und Nagg (Manfred Zapatka), versuchten sich mit Schwelgen in Erinnerungen vom nahenden Ende abzulenken. Dadurch entstand eine düstere Atmosphäre, die jedoch durch ihre Absurdität immer wieder Lacher im Publikum hervorrief. Lediglich die Tatsache, dass Clove einen Floh im Intimbereich hatte, was dazu führte, dass er am Ende in Unterhose dastand, fand keinen Zuspruch bei den Zuschauer*innen. Zwei Reihen vor mir wurde entrüstet geäußert: »Muss das schon wieder sein?« und ich hätte gerne geantwortet: »Nein, das Stück funktioniert auch ohne den Floh in der Hose.«
Licht ins Dunkel brachte die Inszenierung dennoch. Mehr noch als beim Lesen von Becketts Stück ist mir die Verzweiflung der Figuren bewusst geworden und die Aussichtslosigkeit ihrer Situation. Hinzu kommt, dass ich verstehe, warum Clove zwar permanent damit droht, Hamm zu verlassen, warum dieser Schritt aber doch zu groß für ihn ist. Was erwartet einen draußen, wo doch schon kein Leben mehr zu entdecken ist? Anne Lenk entscheidet sich dafür, dass Clove am Ende doch geht, wenn er in der letzten Szene in seinem Mantel die Bühne betritt. Ein eindrucksvolles Bild, das für das Stück nicht notwendig ist. Trotz des Endes lohnt sich ein Besuch dieser gelungenen Inszenierung, die einen kurzweiligen Theaterabend verspricht. Nach dem Abend kenne ich nun auch einen kleinen Teil der Münchener Theaterszene. Doch der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr entdeckt habe.