Die Zeichentrickserie SpongeBob Schwammkopf wirkt im ersten Moment wie ein buntes Kasperletheater, das nichts mit seriöser Unterhaltung gemein hat. Beim genaueren Hinsehen wird jedoch deutlich, dass die Serie auch ernst sein kann, dies aber durch zahlreiche Ablenkungen zu verschleiern versucht.
Von Kai Matuszkiewicz
Kennt Ihr diese Geschichte? Es war einmal ein kleiner Mann, der in einer kleinen Stadt lebte und vollkommen zufrieden war, obwohl er lediglich in der Systemgastronomie eine vollkommen unterbezahlte Anstellung hatte und seine besten Freunde ein arbeitsloser Schmarotzer und ein gescheiterter Künstler waren. Nein? Doch, Ihr kennt diese Geschichte, aber wahrscheinlich habt Ihr sie noch nie so gesehen. Ja, genau! Spongebob Schwammkopf, die Fernsehserie, die nur von Kindern und Erwachsenen mit Reifeverzögerung gesehen wird, die mit quietschenden Farben, clownartigen Inszenierungen und blödelnden Sprüchen daherkommt und einen mit Bild- und Soundbombast solange zuschüttet, bis man vor seiner Infantilität resigniert. Zugegeben, auf den ersten Blick hat die Serie etwas Ätzendes an sich, aber bei genauem Hinsehen erkennt man eine sozialkritische Haltung, die hinsichtlich des Theaters dieser fortwährenden Harlekin-Show, dann doch verblüfft.
Ich selbst musste erst gezwungen werden, näher hinzusehen. In meinem Zivildienst arbeitete ich in einem Kindergarten und der kleine gelbe Quadratschädel war der letzte Schrei – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Kinder brüllten mir jeden Morgen die Ereignisse des schwammigen Burgerbraters voller Inbrunst ins Ohr. In diesen Nacherzählungen ging es immer um die überbordende Aktionskomik der Serie, die die ohnehin übertriebene Darstellung ins Groteske steigert.
Burgerbrater-AmbitionenHieraus resultierte meine tiefe Ablehnung gegen SpongeBob und seine Gefährten, die im Laufe der Jahre dadurch zunahm, dass in meinem Freundeskreis die Akzeptanz für den kleinen, lauten und Nerv tötenden Daueroptimisten stieg. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr entziehen und sah mir die Serie an – um festzustellen, dass sie tatsächlich mehr zu bieten hat als die offenkundige Herumblödelei. SpongeBob Schwammkopf weist eine Mehrfachcodierung und Doppelbödigkeit auf, die man sonst nur aus Serien wie Die Simpsons, South Park oder American Dad kennt, die Satire, Gesellschaftskritik und Persiflage auf ihre Fahnen geschmiert und zu Genre bestimmenden Kriterien erhoben haben. Alle diese Serien zielen mit ihrer Kritik auf die US-amerikanische Dekadenz ab, ihre Ungerechtigkeit, Beschränktheit und Feindseligkeit. Sie offenbaren die Unzulänglichkeit einer Gesellschaft, die gerne als makellos und perfekt dargestellt wird, dessen Alltagsmythos des ‚American Dream‘ es gar zum Sinnbild für sozialen Aufstieg in der westlichen Kultur gebracht hat. Der Glaube, dass selbst der Tellerwäsche Millionär werden könne, wenn er sich denn nur anstrengt und aufopferungsvoll arbeitet, ist demgemäß das permanente, wenn auch latente Thema in SpongeBob Schwammkopf.
SpongeBob arbeitet als Burgerbrater in sklavischer Ergebenheit seinem Chef gegenüber. Der Krabbenburger sowie seine streng geheime Herstellungsformel sind die Symbole der Anbetung eines zur Religion pervertierten Kapitalismus, der nichts anderes duldet als unbedingten Gehorsam und blinde Gefolgschaft. Die Personifikation dieses dehumanisierten Systems ist Mr. Krabs, der Besitzer des Burgerladens, der sich immer neue Geschäftsideen einfallen lässt, um seinen Reichtum zu mehren. Diese durchwegs von Gier getriebene Figur erinnert in ihrer Konzeption unweigerlich an Mr. Burns, dem sie in Skrupellosigkeit und Misanthropie in nichts nachsteht.
Aber genau wie Mr. Burns gelingt es Mr. Krabs auch mit der größten Rücksichtslosigkeit nicht, seine unermessliche Gier in größeren materiellen Reichtum zu verwandeln. Er ist die Metapher eines Turbokapitalismus, der Menschen nur noch zu Kennziffern deklariert, der seine Grenzen erreicht hat und zwangsläufig an diesen scheitern muss. Hierdurch tritt die Sozialkritik der Sendung zutage, indem sie die Aussichtslosigkeit auf die materielle Fixierung mit dem Ziel der Glückseligkeit als Utopie entlarvt. Denn nur die Armen sind wirklich glückselig. Am anschaulichsten verdeutlichen dies SpongeBob und sein erwerbsloser Freund Patrick, der zudem durch sein einfaches Gemüt zur sozialen Stigmatisierung und zum Verlachen einlädt – und verlacht werden beide, allerdings nicht als die bemitleidenswerten Erscheinungen, die sie vermeintlich sind, sondern wegen ihrer Aktionskomik, die den Figuren einen steten Unernst verleiht.
Alle anderen Figuren streben immerzu Erfolg und sozialer Anerkennung entgegen, entblößen dabei aber in ihrer Stereotypie nur ihre eigene Unvollkommenheit, für die sie Kompensationsmechanismen entwickelt haben: Thaddäus, der Nachbar und Kollege von SpongeBob, kann seinen Traum als Künstler nie verwirklichen und scheitert im Verlauf der Serie immer wieder an seinen Erfüllungsversuchen. Den utopischen Charakter seines Unterfanges blendet er fortwährend aus, indem er sich einredet, dass der Job im Burgerladen nur eine Übergangslösung sei und ihm sicher noch der große Durchbruch gelingen werde, da sein Scheitern ja nicht fehlendem Talent geschuldet sei, sondern der Verkennung durch die Gesellschaft. Sandy, SpongeBobs Freundin, ist ein weiteres Beispiel für das Herausfallen einer Figur aus der Gesellschaft, deren Wunsch es ist, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Wie Professor Frink ist Sandy ein Sinnbild für die weltfernen Wissenschaftler, auch wenn sie besser integriert scheint als Frink. Tatsächlich wird Sandy aber permanent ‚geothert‘, da sie eigentlich ein Eichhörnchen ist, das nur mit Hilfe einer besonderen Glaskuppel und eines Astronautenanzugs unter Wasser leben kann. Die Kuppel versinnbildlicht dabei das Leben im Elfenbeinturm der Wissenschaft und ihr Anzug die Distanz, die selbst dann zu den anderen Figuren besteht, wenn Sandy darum bemüht ist, sozial zu interagieren. Zudem ist sie nicht irgendein Eichhörnchen, sondern eines aus Texas und so werden zusätzlich all die sich anbietenden Hill-Billy-Anspielungen bemüht, um die Exotik und Andersartigkeit der Figur zu unterstreichen.
Diese Liste ließe sich endlos fortführen. Interessant ist aber, dass SpongeBob Schwammkopf nicht nur die Figurenkonzeptionen von anderen erfolgreichen Satire-Serien übernimmt, sondern (wie diese) eben auch Themen verhandelt, die für erwachsene Menschen von signifikanter Bedeutung sind. So verliert SpongeBob beispielsweise in einer der neueren Folgen seine Anstellung, da Mr. Krabs durch Reduktion der Personalkosten mal wieder einen Versuch, der freilich scheitern muss, unternimmt, um seinen Reichtum zu maximieren. Die Zeit der Arbeitslosigkeit lässt SpongeBob schnell in eine Depression verfallen, was mit körperlicher und seelischer Verwahrlosung sowie der Aufgabe der eigenen Person durch das verlorene Selbstwertgefühl einhergeht. SpongeBob muss einen Marathon auf der Suche nach einer neuen Anstellung hinter sich bringen, der immer wieder mit der fristlosen Kündigung endet, ehe die neuen Arbeitgeber seinen Wert erkennen. Hier wird dem tristen Realismus nun doch der ‚American Dream‘ untergejubelt: Seine neuen Chefs und Mister Krabs streiten sich um SpongeBob, was selbstverständlich mit seiner Wiedereinstellung durch einen reumütigen Mr. Krabs endet. Dieser muss (gemäß dem Gesetz von TV-Reihen dieser Art, die am Handlungsende immer wieder den Ausgangszustand herstellen) erkennen, dass er ohne SpongeBob nicht wettbewerbsfähig ist.
Prädikat: sehenswertes TV-GutDiese Mehrfachcodierung und Behandlung ernsthafter Themen zeigt, dass SpongeBob Schwammkopf durchaus ein ernstzunehmendes TV-Gut ist, das auch für die zusehenden Kinder wertvoll sein kann. Denn die Serie bereitet in einer knallbunten Verpackung Angelegenheiten wie Sucht, Ausländerfeindlichkeit oder Erwachsenwerden anschaulich auf. Insofern tritt SpongeBob Schwammkopf in die Tradition älterer Serien dieses Genres wie Die Dinos, die heute bereits in Vergessenheit geraten sind, die aber Kinder wie Erwachsene ansprechen wollte und dabei auch vor ernsten Inhalten nicht zurückschreckte. Was Die Dinos oder SpongeBob Schwammkopf aber von anderen Genrevertretern wie Die Simpsons, Futurama oder Family Guy trennt, ist die stärkere Einbeziehung der Kinder. Diese Serien müssen dabei einen Spagat aushalten, einerseits was die Komik und die Inhalte, andererseits aber auch die Logik einer in sich plausiblen Diegese betrifft. Logische Kohärenz erzeugt SpongeBob Schwammkopf beispielsweise, indem es die Ambiguitäten von Phänomenen ausnutzt, um die Lebenswirklichkeit von Erwachsenen und Kindern zu verbinden.
Exemplarisch hierfür ist Mrs. Puffs Fahrschule. Durch SpongeBobs Schulbesuch können die zusehenden Kinder die Serie an ihre eigene Lebenswirklichkeit zurückbinden und die Identifikation mit der Serie steigern. Der zusehende Erwachsene nimmt dies aber nicht als logisch inkonsistent wahr, da er im Vergleich zum Kind stärker den Charakter der Schule als Fahrschule wahrnimmt, was eine Anbindung an seine eigene Lebenswirklichkeit erlaubt. Dem erwachsenen Rezipienten wird darüber hinaus sogar noch die Erklärung für SpongeBobs Omnipräsenz in der Fahrschule geliefert – SpongeBob ist ein schrecklich schlechter Autofahrer mit Prüfungsangst.
Die Serie SpongeBob Schwammkopf zeigt sich als ein in sich hochgradig durchkomponiertes, ästhetisches Kunstwerk, das wie viele dieser Serien ihre eigene Artifizialität zu verbergen sucht, um dem Rezipienten den Anschein von leicht konsumierbarer und inhaltsarmer Kost aufzutischen. Die Simpsons verstellen diesen Blick, indem ernsthafte Diskurse nur sehr kurz aufgegriffen werden, um im darauf folgenden Satz schon wieder durch eine Äußerung oder Geste lächerlich gemacht zu werden, sodass ein immerwährender Entzug vor der endgültigen Aussage zu beobachten ist. SpongeBob Schwammkopf verwehrt diesen Blick durch ein kaleidoskopartiges Blickfeuerwerk, das nicht nur Kinder ansprechen, sondern vor allem den Rezipienten von der latent vermittelten Ideologie ablenken soll. Somit lohnt diese Serie nicht nur aus künstlerischer Sicht eines zweiten Blicks.