Ein Mädchen, das Skateboard fährt. Ein Bibliothekar an der Schwelle zur zweiten Lebenshälfte. Thilo Bock deklariert sein drittes Buch Tempelhofer Feld als »Freiluftroman« und bewegt sich mit seinem Plot übers Verlieben und Entlieben irgendwo zwischen Rosamunde Pilcher und Coming of Age.
Von Leonie Krutzinna
Sven ist Bibliothekar mit unvollendeter Promotion. An seinem vierzigsten Geburtstag sitzt er in der U-Bahn, ihm gegenüber die Studentin Luis mit Skateboard. Station Boddinstraße, sie steigt aus, er auch, läuft ihr nach bis zum Tempelhofer Feld und es folgen sechzehn assoziativ und anachronistisch erzählte Tage eines Sommers auf dem stillgelegten Flughafengelände, geprägt vom Verlieben und Entlieben. Zwischen Urban Gardening und Alkolholabsturz, Lebensfrust und Lebensgenuss verschmelzen Möglichkeiten und Tatsächlichkeiten.
Kein Herzschmerz-EskapismusEin »Freiluftroman« möchte Thilo Bocks Tempelhofer Feld sein und in Verbindung mit dem Plot lässt sich mit eben dieser neu erfundenen Genrezuschreibung eine einigermaßen originelle Love and Landscape-Variation erwarten: Großstadt statt Cornwall, die Vereinzelung des postmodernen Individuums statt Familiensaga. – Schemaliteratur also, die keinen Herzschmerz-Eskapismus befriedigt, sondern uns über ein reales Setting die Gegenwart vorführt. So funktioniert das titelgebende Naherholungsgebiet mitten in Berlin als Stellvertreter für die Großstadtmenschen in ihrer ganzen stereotypen Breite: Hipster, Hippies, Ökos, Punks. Den Mikrokosmos Berlin zu erklären ist ein hochgestecktes Ziel.
Ein bisschen angestrengt witzig und dazu altklug hebt sich der Ich-Erzähler von der vor lauter Individualität ganz gleichförmig-grauen Masse zwischen Turnbeuteln, Skateboards und Hochbeeten ab. So erfahren wir beiläufig auch allerlei Historisches über das Tempelhofer Feld aus dem Mund des Protagonisten. Und bedient er sich dabei eines Fremdworts, wird gleich die Duden-Erklärung mitgeliefert. – Eigentlich eine witzige Idee, bloß macht der oberlehrerhafte erzählerische Zeigefinger den Protagonisten nicht sympathischer und vor allem auch nicht zum scharfsinnigen Milieustudierer, der er ja doch irgendwie sein will und soll. Leider bleiben noch dazu alle anderen Figuren eindimensional, einem Klischee verhaftet und somit bloße Projektion von Svens durchkategorisiertem Weltbild.
Man muss ein Buch nicht identifikatorisch lesen. Schließlich ist Thilo Bock nicht Rosamunde Pilcher. Es hat ja auch was Aufgeklärtes, wenn man der Skaterin Luis von Herzen wünscht, dass sie lieber Single bleibt als diesem bildungshuberischen Bibliothekar zu verfallen.
Das jedoch gehört noch zu den harmloseren Leseempfindungen, die sich bei Svens Milieustudien einstellen. Unverständlich wird es, wenn seine Erzählerstimme – rein um des Wortwitzes Willen? – einen konventionalisiert-rassistischen Tenor annimmt: »Sie deutet auf die Gruppe neben uns, hauptsächlich dunkelhaarige Männer, die mir spanisch vorkommen. Oder italienisch.« (S. 164)
Worthülsen ohne RezeptionsintentionSpätestens jetzt drängt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck all dieser reproduzierten Klischees und leeren Worthülsen auf. Bestenfalls reicht es zur Dekonstruktion der sogenannten Jugendkultur, darüber hinaus lässt sich jedoch keine Rezeptionsintention erkennen. Obgleich doch die Potenziale des Bildungsromans im Plot angelegt sind, bleibt es beim späten Coming of Age dieses vierzigjährigen Mannes, der zwischen Familiengründung und Angst vorm Altsein feststeckt.
Am Ende kriegen sie sich übrigens nicht. Womit der Roman immerhin sein Rosamunde Pilcher-Image abstreifen kann. Wobei: Das ständige absatzeinleitende leitmotivische »oder anders« attestiert recht aufdringlich eine postmoderne Unverbindlichkeit. Das Unbehagen also bleibt.