Regisseur Giulio Ricciarelli setzt mit seinem Debütfilm Im Labyrinth des Schweigens der Vorgeschichte des ersten Frankfurter Auschwitzprozesses ein Denkmal. Ein packendes Drama über die Verdrängung des Holocaust und die Frage nach Schuld in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Von Mirja Riggert
»Auschwitz? Das war doch ein Schutzhaftlager …« Solch ein euphemistischer Satz über eines der größten Vernichtungslager der NS-Zeit würde heute vermutlich nur der härtesten Riege ignoranter Wissensverweigerer über die Lippen kommen, aber sicherlich keinem engagierten Staatsanwalt. Doch bis zu dieser Aufarbeitung eines der grausamsten Kapitel der deutschen Geschichte war es ein langer Weg im Nachkriegsdeutschland – das zeigt der Film Im Labyrinth des Schweigens sehr eindringlich und glaubwürdig.
Wir befinden uns mitten in den Fünfzigern und das befreite Deutschland gelangt unter der boomenden Wirtschaft zu neuem Selbstbewusstsein. Die Nazizeit und ihre Gräueltaten rücken da in weite Fernen, unter anderem bis nach Südamerika, wo sich einige der alten SS-Männer versteckt halten. Doch auch im Inland führen viele Mittäter ein unbehelligtes Leben und belegen zum Teil hohe Posten im öffentlichen Dienst. Niemand fragt nach der Vergangenheit, man will nicht länger in braunen Sümpfen waten. Wären da nicht die Opfer, die Überlebenden der Vernichtungslager, die nicht vergessen können und nach Aufklärung und Gerechtigkeit verlangen.
Die Drehbuchautoren Giulio Ricciarelli und Elisabeth Bartel haben mit der Darstellung des langen Weges bis zu den Auschwitzprozessen ein Thema gefunden, das bislang wenig kulturell verarbeitet wurde. Gerade die mühevolle Täterfindung und Aufarbeitung der brutalen Verbrechen kommt im Film stark zum Ausdruck. Schließlich gehört der Prozess mit mehr als hundert Zeugen zu einem der größten in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands.
Eine der großen Leistungen des Films besteht in seinem überragenden Ensemble: Die erst kürzlich verstorbene Theaterlegende Gert Voss spielt die Figur des Fritz Bauer mit äußerster Präzision und Bedachtsamkeit. Mal findet er scharfe Worte für seinen Schützling, mal reicht ihm ein aufmunterndes Nicken oder ein knapper Rat. Während Staatsanwalt Bauer und FR-Reporter Gnielka nach der Vorlage von historischen Figuren entwickelt wurden, hat sich Regisseur Ricciarelli bei seinem Protagonisten Radmann mehr Spielraum gelassen. Seine Figur bildet ein fiktionales Konglomerat aus drei jungen Staatsanwälten, die damals den Fall ins Rollen gebracht haben. So kann Radmann im Spielfilm eine emotionale Reise durchleben, die von eiserner Entschlossenheit und zeitweiser Überforderung bis zur Besessenheit und völligem Selbstverlust reicht. Seine anfängliche Einschätzung von Falsch und Richtig, Gut und Böse, weicht der Erkenntnis der Komplexität des Themas und der kritischen Selbsthinterfragung und Demut. Fehling, bekannt geworden durch den Film Goethe! (2010), spielt diese Mischung aus jugendlichem Ehrgeiz, zeitweiliger Selbstgerechtigkeit und Ehrfurcht vor der Aufgabe sehr überzeugend.
Echter ZeitgeistRegisseur Ricciarelli lässt die 50er authentisch lebendig werden: aus dem Röhrenradio tönt ein Schlager von Vico Torriani, ein kleiner Vespa-Roller düst um die Ecke und die Frauen sollen in luftigen Cocktailkleidern statt mit politischen Meinungen überzeugen. Das Setting ist schlicht gehalten. Kahle Räume mit einfachen Sitzmöbeln in Pastellfarben sorgen dafür, dass die Bemühungen um echte Zeitgeistvermittlung nicht zu angestrengt werden. Insgesamt besticht der Film mit seinen subtilen Mitteln. Statt die Zeugenaussagen der Ex-Häftlinge durch dramatische Wortbeiträge zu inszenieren, wird hier gekonnt gerafft. Man sieht zum Teil nur sich bewegende Lippen, die dem wissenden Zuschauer viel schärfer ins Mark gehen. Der zutiefst verstörte Blick einer protokollierenden Sekretärin genügt, um das Ausmaß der geschilderten Gräueltaten, die bisherige Ahnungslosigkeit und das stille Bewusstsein der neuen Wahrheit zu begreifen. Auch die Musik von Niki Reiser setzt nicht auf Rührseligkeit oder Aufregung, sondern hält sich im Hintergrund und trägt das Geschehen mit. Viel deutlicher ist bei der immensen Suche nach den Adressen der Verdächtigen das Hämmern der Schreibmaschine zu vernehmen und verleiht so der Langwierigkeit von Personensuche in Zeiten ohne Internet und I-Phone Bedeutung. Dadurch stellt der Film die Problematik und die Hindernisse für damalige Ermittler erkennbar heraus.
Ohne sich als trockene Lehreinheit zu zeigen, erinnert Im Labyrinth des Schweigens daran, dass es Geschehnisse gab, von denen man immer und immer wieder sprechen und hören muss. Überdruss an der Geschichte ist unangebracht. An diese Themen muss erinnert werden, nicht nur, weil sich der Tag der Befreiung des Auschwitzlagers zum 70. Mal jährt und es immer weniger letzte Zeitzeugen gibt. Auch vor dem Hintergrund neuer Gruppierungen mit diskriminierenden Einstellungen wie Pegida bekommt der Film eine weite Dimension.
Auch wenn damals nur sieben der 22 Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe erhielten, leiteten die Frankfurter Prozesse ein fundamentales Umdenken in der deutschen Gesellschaft für den Umgang mit Kollektivschuld und Sühne ein. Am Ende des Films wird dem Zuschauer mehr als deutlich, dass die Aufarbeitung und das Lernen von Vergangenem in der deutschen Identität lange Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Bleibt zu hoffen, dass in Zeiten von missbrauchten Montagsdemonstrationen möglichst viele unserer MitbürgerInnen diesen bewegenden Film für sich auswählen.