Am gestrigen Pfingstsonntag, dem 15. Mai 2016, feierte der russische Jahrhundertschriftsteller Michael Afanassjewitsch Bulgakow seinen 125. Geburtstag. 1891 in Kiew geboren und 1940 in Moskau verstorben, blieb dem Zeit seines Lebens beinahe ständig in Konflikt mit der sowjetischen Zensur stehenden Autor der gebührende Ruhm verwehrt. Bis in die 1980er Jahre hinein waren einige seiner Werke in seiner Heimat nicht oder wenn überhaupt, dann nur in Form illegaler Kopien, den sogenannten samisdat-Drucken, verbreitet und auch international fanden seine Werke oftmals nur entstellt und verstümmelt, jedenfalls nicht in der ursprünglich beabsichtigten Gestalt ihren Weg zu den Lesern. Mittlerweile gilt Bulgakow dennoch als einer der beachtenswertesten Vertreter der russischen Literatur seiner Zeit und zahlreiche Neuauflagen und mit philologischer Sorgfalt erstellte Ausgaben seiner Texte geben die Gelegenheit, diesen mit einer unbändigen Phantasie und Fabulierlust begabten Satiriker und Kritiker wieder oder neu zu entdecken.
Von Philipp David Heine
Eine großartige Gelegenheit hierzu bietet die bereits 1925 kurz nach seinen ersten schriftstellerischen Erfolgen entstandene Erzählung Das hündische Herz. Eine fürchterliche Geschichte. Zwar blieb sie zu Lebzeiten des Autors unveröffentlicht, jedoch zeigt sich in dieser Gesellschafts- und Wissenschaftssatire bereits all das, was den Autor in stilistischer wie inhaltlicher Hinsicht auf dem Höhepunkt seines Schaffens auszeichnet. Früher unter dem deutschen Titel Das Hundeherz firmierend, liegt die Erzählung mittlerweile in einer von Alexander Nitzberg besorgten Neuübersetzung vor, die auf der von Bulgakow selbst autorisierten Manuskriptfassung fußt und die bereits bei ihrem ersten Erscheinen 2013 von der Kritik hoch gelobt wurde. Ergänzt um insgesamt 36 Illustrationen von Christian Gralingen, die den Text kongenial begleiten, und eine aufwändige Buchgestaltung ist diese nun auch in einer bibliophil gestalteten Ausgabe der Edition Büchergilde erhältlich.
Früh stellt sich allerdings heraus, dass es sich bei diesem Hundemenschen keineswegs um den erhofften neuen proletarischen Menschen handelt. Vielmehr entpuppt er sich in körperlicher und auch geistiger Hinsicht als verkrüppeltes Gegenmodell zu seinen bürgerlichen Schöpfern und legt ein wortwörtlich hündisches Verhalten an den Tag. Gezeichnet von den schlechten Manieren, dem Fluchen, dem aggressiven Verhalten und der vor allem dem Alkohol zuneigenden Genusssucht des kleinkriminellen Organspenders Tschugunkin sowie dem Unvermögen, sein tierisches Verhalten gänzlich abzulegen, führt er den Haushalt des Professors allmählich ins Chaos. Wie in einer Art Panoptikum werden die politischen und gesellschaftlichen Konflikte der Zeit im Inneren einer einzigen Wohnung wiedergegeben. Preobraschenski und Bormenthal sehen sich von der Verselbständigung ihrer Schöpfung herausgefordert und die weitere Handlung widmet sich den Konsequenzen dieser Situation. Denn »[a]uch wenn das Hündische in Tschugunkin weiterlebt«, so der Erzähler, »besteht das Furchtbare darin, wie Preobraschenski selbstkritisch anmerkt, ›dass er kein hündisches Herz mehr hat, sondern eben ein menschliches. Und zwar das scheußlichste von allen, die der Planet hergibt.‹«
Zeitkritische Parabel und SprachkunstwerkDie offensichtliche satirische Funktion vieler Passagen und Erzählelemente sowie die vehemente Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Umständen der Entstehungszeit hat meist für eine Ausdeutung des Hündischen Herzens als antikommunistisch gesorgt. Lew Kamenew, eines der einflussreichsten Mitglieder des Zentral-Komitees der Partei zu dieser Zeit, urteilte beispielsweise in aller Entschiedenheit, es handle sich »um eine ätzende Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse und sie kommt auf keinen Fall für eine Veröffentlichung in Betracht.« Natürlich geht das Werk aber in einer solch eindimensionalen Deutung nicht auf. Zu markant sind unter anderem die Anspielungen auf zeithistorische Zusammenhänge, etwa die direkten Verweise auf Persönlichkeiten der Zoologie, Anthropologie und Medizin und die indirekten Bezüge auf Vertreter der international vielbeachteten Eugenik, des Sozialdarwinismus und des Behaviorismus, die neben der ideologischen Thematik den Eindruck einer Wissenschaftssatire wachhalten.
Zudem zeigt die Erzählung die literarische Begabung Bulgakows. Neben zahlreichen intertextuellen Bezügen auf thematisch einschlägige Vorbilder wie Mary Shelleys Frankenstein, Gustav Meyrinks Der Golem und natürlich Goethes Faust, die alle auf die Idee des neuen Menschen rekurrieren, finden sich Bezüge zu zeitgenössisch populären Kunstliedern und vor allem Elemente der Moskauer Großstadtfolklore. Gemeinsam mit stilistischen Kunstgriffen wie einem avantgardistisch erscheinenden, onomatopoetischen Sprachgebrauch und dem Wechsel von der anfänglichen Erzählperspektive des Hundes Lumpi zu einem neutral berichtenden unbeteiligten Erzähler, entsteht ein hochkomplexes sprachliches Kunstwerk. In einem Erzählstrom, der lediglich von einem Ausschnitt aus Bormenthals wissenschaftlich geprägtem Versuchstagebuch unterbrochen wird, zeigt sich trotz aller Neutralität eine durch zahlreiche Assonanzen und überraschende Wechsel im syntaktischen Rhythmus gekennzeichnete, poetisch verknappte Sprache, die in einer faszinierenden sprachlichen Dynamik die Geschehnisse rekapituliert und lebendig gestaltet.
Die Übersetzung als Kunstform – das Buch als KunstobjektNitzbergs Neuübersetzung, die im Vergleich zu anderen Übersetzungen versucht, die sprachliche Prägnanz und Verspieltheit Bulgakows wieder freizulegen, präsentiert einen Text, der den charakteristischen Stil, den überbordenden Einfallsreichtum, aber auch die gedankliche Gewandtheit und den unbestechlichen Blick des Gesellschaftskritikers und Literaten Bulgakow zeigt. Darüber hinaus erhellen die geschickt gewählten, in der Art von Glossen am Seitenrand gegebenen Stellenkommentare und das instruktive Nachwort des Übersetzers zeithistorische Hintergründe und geben Verweise auf literarische wie musikalische Bezüge. Nitzberg, dessen hoch gelobte Neuübersetzung von Bulgakows Hauptwerk, dem Roman Meister und Margarita (2012), von der Kritik als »Jahrhundertübersetzung« gefeiert wurde und Furore machte, zeigt sich sowohl als Kenner des Werks des Autors sowie der Geschichte und Kultur der Sowjetunion des frühen 20. Jahrhunderts als auch als begeisterter und um ein tieferes Verständnis der Erzählung bemühter Begleiter des Lesers bei der Reise durch den literarischen Kosmos des Hündischen Herzens.
Nicht zuletzt sind es aber auch die detailverliebten, bunten und vielschichtig gestalteten Illustrationen Gralingens, die die Erzählung zu einem bibliophilen Erlebnis machen. In den vielen kleineren und größeren, an die mathematische und technische Formensprache angelehnten und den Text schmückenden Bildelementen, aber auch in großformatigen, ein- oder sogar zweiseitigen Szenenbildern bieten sie Anklänge an eine avantgardistische Verfremdungsästhetik und bilden mit ihren aus geometrischen Elementen bestehenden, aber keineswegs eintönigen oder schematischen Zeichnungen die thematische Bandbreite der Erzählung ab. Sie tragen jedoch nicht nur zur Auflockerung des Textes bei, sondern lassen ein formsprachliches Pendant zu Bulgakows Text entstehen, das der Erzählung eine weitere ästhetische Dimension hinzufügt. Gemeinsam mit der hohen Druckqualität und der Verwendung unterschiedlicher Papiersorten – in das Buch ist sogar eine Nachbildung von Lumpikows Pass unter der Verwendung des typischen Papier-Textil-Gemischs eingefügt – sowie dem aufwändig gestalteten Umschlag bietet Das hündische Herz ein intellektuelles und ästhetisches Lesevergnügen, das Lust auf mehr macht: Lust darauf, Bulgakow neu zu entdecken und Lust darauf, das Buch einmal mehr als schönes Sammel- und Gestaltungsobjekt zu präsentieren.
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