Die Einbettung literarischer Texte in internationale kulturelle Beziehungen ist geradezu definiert durch den Prozess der Grenzüberschreitung. Was es bedeutet, wenn Bücher in die Auswärtige Kulturpolitik Deutschlands eingebunden sind und welche Erwartungen diese an die literarischen Beziehungen zum Ausland stellt, soll hier erläutert werden. Außerdem wird auf die Absicht, Grenzüberschreitungen als Entstehungsgrundlage literarischer Texte zu ermöglichen, eingegangen.
Von Daniela Reimann
Es existieren zahlreiche von der Bundesregierung ausgehende Bemühungen, Literatur aus Deutschland ins Ausland zu vermitteln. Diese sind in der Auswärtigen Kulturpolitik angesiedelt, deren Konzeption, strategische Planung sowie inhaltliche und regionale Schwerpunktsetzung dem Auswärtigen Amt obliegt. Für die vom Auswärtigen Amt geförderte Literaturvermittlung gilt, dass sie »weniger kommerziellen, als vielmehr ästhetischen und außenkulturpolitischen Gesichtspunkten geschuldet«1 ist. Sie ist in einer Vielzahl von Aspekten der literarischen Beziehungen zu anderen Ländern präsent. Das sind u. a. die Bereitstellung von Informationen zu literarischen Texten, SchriftstellerInnen und dem deutschen Literaturbetrieb sowie die Unterstützung und Durchführung von Veranstaltungen und Projekten für Multiplikatoren wie AutorInnen, VerlegerInnen und ÜbersetzerInnen und auch die Bereitstellung von Texten durch Übersetzungsförderung, Bibliotheken und Lesesäle.
Der kulturelle Austausch und die Literaturvermittlung sollen über Deutschland und die jeweiligen Partnerländer informieren und so zu einem vertieften Wissen übereinander und einem besseren Verständnis füreinander beitragen. Der Literatur wird dafür ein besonderes Potenzial zugesprochen: »Die Vermittlung von Literatur ist das Herzstück des internationalen Kulturaustausches. Übersetzung ist dabei das zentrale Instrument.«2 Literatur soll also u.a. ein modernes Deutschlandbild vermitteln.3 Für die Literaturvermittlung bedeutet das, dass sie bei ihren Aktivitäten die deutsche Gegenwartsliteratur besonders berücksichtigt. Diese soll »bei wichtigen ausländischen Kulturschaffenden um Sympathie für Deutschland werben«.4 Überschreiten Bücher nationale und kulturelle Grenzen, ist dies in der Kulturpolitik also mit konkreten Zielen versehen. Dieser Zielsetzung liegt ein bestimmtes Literaturverständnis zugrunde.
Es existieren zahlreiche kulturpolitische Zuschreibungen an die Literatur, die einen Einblick in die an die Literaturvermittlung gerichtete Erwartungshaltung geben. Diese Zuschreibungen lassen sich an den Förderzielen der Auswärtigen Kulturpolitik und an den Auswahlkriterien für eine Förderung festmachen. So sieht das Goethe-Institut, eine vom Auswärtigen Amt mit dem Literaturtransfer beauftragte Mittlerorganisation, Literatur als »bedeutende[n] Schlüssel zum kulturellen Leben und zum Identitätsverständnis einer Nation«, denn »sie ermöglicht, dem Unbekannten und Fremden in uns selbst zu begegnen und damit die Weichen für eine vertrauensvolle und vorbehaltlose Annäherung zu stellen.«5 Das Auswärtige Amt äußert sich ähnlich: »Weit über das hinaus, was ein touristischer Aufenthalt oder statistisches Informationsmaterial von einem Land vermitteln könnte, bietet Literatur – durch dauerhafte Fixierung die Flüchtigkeit einer Begegnungssituation überwindend – ihren Leserinnen und Lesern ein vertieftes Bild eines Landes und seiner Gesellschaft, ihrer Befindlichkeit, ihrer Tradition und Geschichte, ihrer Tabus, ihrer Wünsche, Begehrlichkeiten und Träume. Sie reicht weit unter die Oberfläche der Dateninformation. Literatur ist deshalb besonders geeignet, um den Lesern im Ausland ein lebendiges und hintergründiges Bild von Deutschland zu vermitteln.«6
Zum Potenzial der Literatur heißt es außerdem: »Literatur lässt neue Erfahrungen zu, ermöglicht den kulturellen Austausch, steht ein für die Freiheit des Wortes und trägt zur Förderung der kulturellen Vielfalt bei.«7 Dass Literatur Erfahrungen indirekt zugänglich machen kann, hat auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2014 betont. Er sprach der Literatur das Potential zu, die Erlebnisse anderer Menschen und Völker in den »Erfahrungshaushalt«8 der Lesenden zu überführen. Die hier exemplarisch aufgeführten Aussagen verdeutlichen zwei Eigenschaften, die die Auswärtige Kulturpolitik literarischen Texten zuschreibt: Zum einen wird ihnen das Vermögen zugesprochen, historische Ereignisse und gesellschaftliche Diskurse zu verschriftlichen und zu archivieren und sie auf diese Weise auch den an den Ereignissen Unbeteiligten zugänglich zu machen. Literatur wird somit Teil der ästhetischen Aufarbeitung von Begebenheiten und Teil der Geschichtsschreibung. Zum anderen wird die Lektüre zur Erfahrung zweiter Ordnung und ermöglicht eine Form der passiven Teilhabe. Ein/e ausländische/r LeserIn kann demzufolge die deutsche Gesellschaft über ihre Literatur kennen- und im kulturpolitisch angestrebten Fall verstehen lernen.
An eine Grenzüberschreitung durch Bücher sind also konkrete Erwartungen geknüpft. Das Ziel der Informations-, Diskurs- und Erfahrungsvermittlung kann man literarischen Texten nur stellen, wenn man von ihnen voraussetzt, dass sie auf ihren Entstehungskontext verweisen. Dieser Entstehungskontext bildet den Referenzrahmen der Literatur, den sie benötigt, um ihren kulturpolitischen Auftrag zu erfüllen. Der Referenzrahmen ist in der Auswärtigen Kulturpolitik ein nationaler. Davon muss die Kulturpolitik ausgehen, wenn sie an Literatur die Anforderung stellt, »Positionen aus Deutschland im internationalen Diskurs sichtbar«9 zu machen. Ist Literatur in die Auswärtige Kulturpolitik eingebunden, ist sie also nicht allein eine selbstreferenzielle Kunstform. Die Ziele, die an sie gestellt werden, kann sie nur dann erfüllen, wenn davon ausgegangen wird, dass literarische Texte auf etwas verweisen, das außerhalb ihrer selbst liegt.
Grenzüberschreitungen sind innerhalb des kulturpolitischen Systems jedoch nicht nur ein Beginn für interkulturelle Kontakte und die damit verbundene und beabsichtigte Präsentation Deutschlands im Ausland, sondern sie sind selbst auch ein Ausgangspunkt literarischer Entstehungsprozesse. Sieht man sich die verschiedenen Formen von Förderung für SchriftstellerInnen einmal an, fällt auf, dass die Mobilitätsförderung von AutorInnen und die damit häufig verbundenen Stipendien für Arbeitsaufenthalte im Ausland in den letzten fünfzehn Jahren zugenommen haben. Es zeigt sich eine zunehmende Tendenz zur Förderung der literarischen Aufarbeitung von Erfahrungen des Kulturkontakts. In der Auswärtigen Kulturpolitik sonst übliche Formate der Literaturvermittlung ins Ausland werden an dieser Stelle umgekehrt. Bei Arbeits- und Aufenthaltsstipendien soll der Kontakt der AutorInnen und ÜbersetzerInnen zum Partnerland zur literarischen Bearbeitung inspirieren. Die persönliche Erfahrung der kulturellen Grenzüberschreitung soll die Basis für literarische Texte sein. Bücher sollen damit nicht nur Brücken über Grenzen bilden, sondern den Vorgang der Grenzüberschreitung als solchen thematisieren. So nimmt die Literatur in den internationalen kulturellen Beziehungen eine Doppelrolle ein – sie überschreitet Grenzen und macht diese Grenzüberschreitung gleichzeitig zum Thema. Sie vollführt und reflektiert gleichermaßen.