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Das Ende der Welt in uns

Mirko Bonnés Feuerland ist keine bloße Ansammlung von Einzeltexten, sondern eine Komposition, deren Elemente subtil ineinandergreifen – ohne jedoch ein Roman in elf Geschichten zu sein. Ein fein arrangiertes Buch, dem der Autor die chilenisch-argentinische Südspitze leitmotivisch voranstellt. Felix Keutel über den ersten Erzählband des preisgekrönten Lyrikers und Romanciers.

Von Felix Keutel

Gassi gehen mit dem Hund eines Familienmörders; eine Suche nach dem verschollenen Bruder, die zu einem riesigen gestrandeten Kahn mitten im Schneefeld führt; ein Schlaganfallsopfer spricht mit seiner toten Frau und sieht Gespenster; eine Frau verlässt im Urlaub ihren Freund, um sich mit einem Halbstarken Papst Franziskus anzusehen. – Der Lyriker und Romancier Mirko Bonné schickt seine Figuren in unterschiedlichste Situationen und Konstellationen. Über alldem schwebt das zum Prinzip erhobene Feuerland.

Ein einzelner kahler Baum steht fast unbelichtet am Ufer, wie zum Fall bereit schief über dem leeren Wasser, die kargen Äste in das dunkle Blau des Himmels gekrallt, während am Horizont das Weiß sich schon ausbreitet oder vergeht, wo die Trennung von Himmel und Wasser nur wahrnehmbar ist durch den schmalen Streifen, in dem ein anderes Ufer erahnt werden könnte.

Buch


Mirko Bonné
Feuerland
Erzählungen
Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2015
232 Seiten, 19,95 €

 
 
Dieses Bild findet sich auf Mirko Bonnés Internetauftritt, wo er Reflexionen, Gedichte und Fotos veröffentlicht, und es trägt den bezeichnenden Titel: Selbstbildnis. Gewiss: Nicht jeder Schnappschuss eines Autors muss die Welt für sein Werk bedeuten. Doch lässt sich gerade in diesem Bild eine Fragilität wiedererkennen, welche die Stimmung in den Geschichten seines ersten Erzählbandes Feuerland, sehr gut einfängt.

Und am Ende, da liegt Feuerland.

Feuerland, das ist das Ende der Welt sozusagen. Der südlichste Zipfel Südamerikas, abgetrennt vom Festland durch die Magellanstraße, aufgeteilt in eine chilenische und eine argentinische Seite, eine Inselgruppe kurz vorm Südpol. In jeder Erzählung taucht diese »Grenzregion« in unterschiedlichen Formen auf, sowohl explizit als auch implizit, jedoch selten als Handlungsort. Mal ist Feuerland das Ziel einer unerfüllbaren Sehnsucht, mal das der Zerstörung – und dann kann es auch mal das Zerstörende selbst sein. Konkret äußert sich das Motiv beispielsweise als Ort, an dem nach dem verlorenen Bruder gesucht wird, als Titel einer Videokassette eines Familienmörders oder als Inhalt eines Songs der Band Keimzeit, der in den selbstquälerischen Erinnerungen an die Nichte, die Verbotene und Verflossene, nachhallt.

Sie lachte und sprang.

So unterschiedlich die Figuren auch sind – ein Werftarbeiter, ein Austauschschüler, ein Kunstprofessor, eine Urlauberin – sie alle sind Suchende. Viele der Protagonisten haben Verluste erlitten, die sie zu bewältigen versuchen. Sie stehen dabei nicht etwa am Scheideweg, sondern an einer Klippe ihres Lebens, einer Grenze zwischen einem Nicht-mehr und einem Noch-nicht. Manche sehen nichts vor sich und wollen zurück. Manche dagegen sehen das Ufer. Und manche springen auch. Bonné beschreibt oft das Zögern vor dem Sprung, eine Art »Zögern vor der Geburt« wie es bei Kafka heißt, hier die Notwendigkeit, die Vergangenheit zu überwinden, um in die Zukunft zu gelangen. Gewissermaßen: Einen kleinen Tod zu sterben für die Auferstehung.

»Ich würde viel dafür geben, könnten wir noch einmal eine lange Reise zusammen erleben«, sagte er, obwohl er gar nicht sprechen konnte.

»Nichts ließ sich festhalten und nichts zurückholen«, klagt etwa der sich im Ruhestand befindende Unternehmer Edgar Röncker, der seine Frau verloren hat. Er geht eines Tages durch den Garten seines Anwesens, um der Frage nachzugehen, ob sich seine Trauer um den Tod seiner geliebten Frau Pola womöglich mittlerweile gedämpft hat. Er will an der Trauer festhalten. Er ist allein, er geht in seinem Pool schwimmen: »Und die Erinnerungen, so kam es Edgar Röncker vor, während er in dem Wasser seine Bahnen zog, sie warteten nur darauf, dass einer sie zusammensetzte, damit sie wieder Wirklichkeit werden konnten.« Nachdem er das Wasser verlässt, erleidet er seinen eigenen kleinen Tod: ein Schlaganfall. Erzählt werden nun die Gedanken, die Röncker, regungslos auf dem Rasen liegend, in den Sinn kommen, wobei er immer wieder zwischen Ohnmacht und Bewusstsein pendelt. In den kurzen klaren Momenten zwischen Todesgewissheit und -verleugnung, zwischen Traum und Realität, sind es die Erinnerungen, die zur Wirklichkeit werden. Und so findet er das wieder, was er gesucht hatte:

Pola. Er spürte, wie die Traurigkeit zurückkehrte. Woher kam sie? Sie stieg ihm durch den Hals, stieg immer höher. Endlich, dachte er noch einmal. Ihm kamen die Tränen. Edgar Röncker weinte. Er hörte sich schluchzen. Und dann den Wind, wie er leise durchs Gras strich. Ein sachtes Pfeifen, auf das die Halme mit einem Geräusch zu antworten schienen, das wie das Rieseln kleiner grüner Glocken klang. Und dieses kaum hörbare Klingeln war unmittelbar neben ihm und überall ringsum. Das empfand er als tröstlich.

Seine Frau liegt nun neben ihm. Sie spricht über ihren Tod. Es ist eine Szene von seltener Zärtlichkeit und Tragik, die Bonné hier geschaffen hat. Und das, obwohl sie doch recht kitschige Elemente besitzt. Da fallen so Sätze wie: »Eine sehr lange Reise werden wir noch zusammen machen, eine endlos lange sogar! Wohin, Eddie, würdest du denn am liebsten fahren?«, woraufhin sie verschwindet. Aber ins Triviale rutscht die Geschichte zum Glück nicht ab, das Leitmotiv wird auch hier ersichtlich: »Noch einmal mit ihr zusammen in so einem uralten Überlandsbus durch die Cordillera Darwin fahren, das würde er gern.« – Feuerland. Zwei Tage wird er noch so verbringen, voller Erinnerungen, Träume und Erscheinungen. Diese sind nicht immer von der Realität zu trennen, so dass auch das Ende, am dritten Tag, Zweifel aufkommen lässt.

Du fühltest dich vollkommen gelb …

Nach dem Lesen einiger Erzählungen wird der Leser hellhörig werden, wenn er bemerkt, dass die Geschichten nicht nur einzeln für sich stehen, sondern subtil ineinandergreifen. Denn es ist nicht nur Feuerland, das die Erzählungen verbindet. Verschiedene Gegenstände, christliche Bezüge, Tiere und Farben tauchen immer wieder auf. Hier zeigt sich Bonnés Beschäftigung mit Georg Trakl, der sowohl titelgebend für den Gedichtband Traklpark ist, als auch durch die von Bonné herausgegebene Anthologie Trakl und wir vom Autor gewürdigt wurde. So findet man in den Erzählungen immer wieder die für Trakl typischen symbolhaften Farbbeschreibungen. Doch gleich sollte der Eindruck verwehrt werden, es handele sich hier um eine Art anachronistische Dichtung. Das Goldene beispielsweise, das bei Trakl noch die Abendstille, den Wein und die Blätter in den Bäumen beschreibt oder in seinem Rondel als das verflossene »Gold der Tage« auftaucht, wird bei Bonné zum funkelnden Edelstein im Zahn eines jungen Arabers, zur Augenfarbe eines im Traum erscheinenden Fuchses, zur Färbung der gebräunten Haut eines Jünglings im Urlaub und auch zur Farbe der Unterwäsche der begehrten Freundin des Mitbewohners. In dieser Methode findet sich Kontinuität, bei Trakl heißt es: »Auch zeigt sich sanftem Wahnsinn oft das Goldne, Wahre.«

Kommen Sie wieder, wenn Sie nicht mehr allein sind!

In diesem Sinne ist der Band keine bloße Ansammlung von Einzeltexten, sondern eine Komposition, dessen Elemente ineinandergreifen – ohne jedoch ein Roman in elf Geschichten zu sein. Die Wirkung der einzelnen Erzählungen entfaltet sich dabei besonders aus diesem Zusammenhang, weshalb von einer selektiven Lektüre der einzelnen Erzählungen zwar nicht abzuraten ist, aber es doch den Eindruck des Gesamtwerkes schmälern würde. Dies auch zumal einige Erzählungen sich dem Gefühl der Geschlossenheit entziehen, aber als Teil des Gesamtbildes stimmig sind.

Du bist jetzt auch aus Feuer.

Stimmig ist auch die Sprache: Dass der Stil gut ist, ist allein daran schon ersichtlich, dass man ihn gar nicht bemerkt. Nirgendwo wirkt die Sprache unangebracht abgehackt, nirgendwo wird hypotaktisch schwadroniert – die Dynamik der Sätze passt sich den Situationen an, großartige Experimente werden vermieden. Die Bilder treffen, die Figuren leben, kaum ein Satz steht grundlos im Text. Die Erzählungen selbst variieren in ihrer – jedoch niemals niedrigen – Qualität und entlohnen oft den zweiten Blick, besonders nach Beenden des gesamten Bandes, wodurch neue Zusammenhänge erschließbar werden. Die Geschichten sind dabei nicht wirklich spannend, sind aber auch nicht langweilig. Sie zielen eher auf die genretypische Aporie am Ende, in dem die im Stück angeschlagenen Töne sich zum Schlussakkord vereinen, ohne eine wirkliche Auflösung zu bieten. Nur eben den Nachhall einer Frage.

Mirko Bonné hat nach mehreren Gedichtbänden und Romanen mit seinem ersten Erzählband Feuerland ein fein komponiertes Buch geschaffen, das inhaltlich wie stilistisch überzeugt. Es handelt sich dabei um kein überragendes Werk. Aber was wäre das auch für ein Maßstab? Es ist mit Sicherheit ein gutes Buch. Die Lektüre lohnt allemal. Ob es sich bei dem Werk nun auch um eine Art Selbstbildnis handelt, sei mal dahingestellt. Das Umschlagbild zeigt so eine ähnliche Szene, der Bildtitel spricht für sich: Zwei Männer betrachten das Meer. Es ist wieder genau diese eine Sehnsucht, und sie zieht sich zitternd durch das ganze Buch. Zum fernen Ufer hin.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 5. April 2016
 Kategorie: Belletristik
 Ausschnitt aus Tierra del Fuego National Park, Argentina von Alex Berger via Flickr
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