Muchtar Al Ghusain leitet das Kultur-, Schul- und Sportreferat der Stadt Würzburg. Im Interview spricht er über die Herausforderung, kulturelles Engagement zu bündeln und die kulturelle Diversität zu stärken.
Das Interview führten Leonie Krutzinna und Johanna Karch
L. K.+J. K.: Sie haben Musik studiert. Spielt die Hochkultur, bedingt durch ihren akademischen Hintergrund, eine besondere Rolle in Ihrer politischen Arbeit?
M. A. G.: Ich bin studierter Pianist und komme sozusagen aus der Hochkultur. Ich spiele aber auch E-Gitarre und interessiere mich dafür, was in der Jugend- und Subkultur passiert. In der Vergangenheit hat im Kulturreferat der Stadt Würzburg nur klassische Hochkultur stattgefunden. Jugendkultur hat in diesem Bereich vor zehn, zwanzig Jahren überhaupt keine Rolle gespielt.
Ist das nun mit der Zusammenlegung der Referate für Kultur, Schule und Sport anders geworden?
Vor meiner Zeit gab es einen Kulturreferenten, der nur für Kultur zuständig war. Es wurde sehr kritisch betrachtet, als die Referate für Kultur, Schule und Sport 2003 zusammengelegt wurden. Ich bin seit 2006 hier und befürworte die Zusammenlegung, weil sich die Kultur dadurch stärker mit dem öffentlichen Leben und der Kommunalpolitik vernetzt. Sie wächst hier nicht als kleine Orchidee am Rand.
Funktioniert die Sportpolitik denn analog zu der in der Kultur?
Gibt es solche Konkurrenzen wie in Bonn auch in Würzburg?
Auch unsere Sportleute haben gelegentlich solche Zuckungen. Ich verstehe das auch und ich bin bereit, alles für den Sport zu tun. Aber es ist meiner Meinung nach der falsche Weg, etwas kaputt zu machen, um anderes zu ermöglichen.
Welche Strukturen braucht der Sport?
Es reicht nicht, das Ehrenamt zu feiern. Wir müssen es auch stärken, was wir nur dadurch schaffen, dass wir eine hauptamtliche Struktur schaffen, wie es eben auch im Kulturbereich der Fall ist. Ehrenamt funktioniert also nur in Zusammenarbeit mit einem Hauptamt. Das Ehrenamt als bewundernswerter Sektor in unserer Gesellschaft ist für mich eine Leerformel.
Aber der Kulturbereich muss ebenfalls auf Ehrenamtliche setzen, um sich über Wasser zu halten.
Ein funktionierendes Museum, ein funktionierendes Theater hat einen kräftigen Förderverein. Die Leute dort sind engagiert und infiziert. Sie haben eine Vision, weil sie vom Projekt überzeugt sind. Sie brennen für ihr Thema und schöpfen Spaß aus ihrem Engagement. Aber als Förderverein tragen sie natürlich nicht die Verantwortung für das ganze Museum. Das geht vielleicht noch in einem sehr kleinen Museum, aber nicht in einem Haus mit 20 bis 30 Mitarbeitern.
Ist Ehrenamt ein überholtes Konzept?
Der Begriff Ehrenamt lenkt in eine bestimmte Richtung. Wenn wir es einfach bürgerschaftliches Engagement nennen, tun sich ganz andere Fenster auf. Ehrenamt ist immer mit einem Verein verbunden und es ist immer mit kulturellem, sportlichem oder sozialem Engagement verknüpft. Bürgerschaftliches Engagement ist auch oft Ehrenamt, erstreckt sich aber auf andere Themen, wie z.B. Stadtentwicklung, Verkehrsplanung, Umweltschutz. Bürgerschaftliches Engagement meint auch neue Ideen, während durch Ehrenamt eher alte Ideen und Strukturen mit neuem Einsatz unterstützt werden.
Hochkultur pur: Die Patrona Franconiae mit Blick auf die Festung Marienberg auf der Alten Mainbrücke in Würzburg.
Was muss die Politik leisten, um bürgerschaftliches Engagement zu fördern?
Die Frage ist, wo neue Impulse entstehen. Die Politik muss einen einladenden Gestus zeigen. Stadt, Stadtverwaltung, Stadtpolitik sind nicht hermetisch. Es soll nicht unsere Aufgabe sein, das Gute, Schöne, Wahre zu bewahren. Wir wollen die hochkulturellen Einrichtungen natürlich nicht kaputt machen. Konstruktiver ist es, Sub- und Hochkultur nebeneinander bestehen zu lassen. Es muss möglich sein, dass neben dem Alten auch Neues entstehen kann. Dazu braucht es Kommunikation, Gespräche, Vermittlung und Ausstrahlung. Es kommt auch darauf an, klar zu analysieren: Wo fehlt Neues? Wo ist es verkrustet, langweilig, innovationslos? Welche Bereiche liegen brach? Der nächste Schritt ist dann zu fragen, was konkret getan werden kann.
Was wird konkret in Würzburg getan, um Neues entstehen zu lassen?
Die Soziokultur oder Subkultur hat sich in dieser Stadt teils von alleine entwickelt. Aus einem normalen Jugendzentrum, wie etwa dem Cairo, ist die Kultur gewachsen, eben weil es eine Leerstelle dafür gab. Die Sparten sind heute zum Glück nicht mehr so stark voneinander getrennt. Das Stadttheater hat sich gegenüber dem Bereich der Jugendkultur auch sehr stark geöffnet, z.B. durch Slam Poetry. Vor acht Jahren, als ich neu war, habe ich ein Festival etabliert, den Hafensommer Würzburg. Dort gibt es Pop und Weltmusik, aber keinen Mainstream. Die Künstler dort sind sehr avanciert und etabliert, sodass sie in einem Jugendzentrum nicht bezahlbar wären. Von der Hochkultur kommend, wollte ich auf diese Weise ein Gegengewicht setzen. So entstehen auch Andockungsmöglichkeiten für andere Menschen und auch für bürgerschaftliches Engagement. Wer sich nicht fürs Theater und Museum interessiert, aber auch nicht in der Jugendkultur zu Hause ist, der findet hier eine Möglichkeit. Auch Sponsoren können sich einbringen. Kleine Firmen können mit kleinen Summen mitmachen, wir haben bis jetzt 40 bis 50 Partner. Auch das ist bürgerschaftliches Engagement.
Welche Probleme tun sich auf, wenn ein neues Format etabliert werden soll?
Die Kulturszene müsste ihr visionäres Denken über den eigenen Tellerrand hinaus stärker entwickeln. Viele wollen ihr Ding machen, was auch in Ordnung ist, weil jeder eine Sache konkret machen muss. Aber ich wünschte mir, dass ein Gefühl entwickelt wird, was die Stadt insgesamt braucht, um gemeinsam an der Vision der Stadt zu arbeiten. Als Rathausbeamter hat man zwar viel zu tun, geht zu vielen Gesprächsrunden, hat viele Ideen. Aber das reicht nicht. Auch hier müssen wir uns den Blick über den Tellerrand bewahren. Die Schwierigkeit ist auch, das richtige Maß zwischen konzeptioneller visionärer Arbeit und konkreter praktischer Umsetzungsmöglichkeit zu finden. Die schönen Ideen dürfen nicht davon galoppieren.
Nach außen macht Würzburg eher den Eindruck, dass hier relativ konstruktiv miteinander gesprochen wird.
Der Tisch der jungen Kultur (bei dem sich Vertreter der Freien Szene mehrmals jährlich austauschen und vernetzen, Anm. d. Red.) funktioniert relativ autonom und sehr gut. Aber ich glaube, die Kontakte zur offiziellen Kultur könnten und müssten vielleicht doch intensiver sein. Als formelles Gremium gibt es den Kulturbeirat. Der Stadtrat bildet aus seiner Mitte heraus einen Kulturausschuss als Untergremium, wie es auch einen Finanzausschuss, einen Bauauschuss etc. gibt. Im Kulturausschuss sind 15 gewählte Stadträte. Eine Ebene darunter ist der Kulturbeirat, dem auch Externe angehören, d.h. Sachverständige aus der Kulturszene und die Hauptamtlichen aus Museen etc., sodass wir insgesamt ca. 30 Leute sind. Diesen Haufen muss man erst einmal dazu bringen, inspiriert zu diskutieren. Man kommt sich mitunter schon vor wie ein Zirkusdirektor oder Entertainer, um das Gremium richtig ins Laufen zu kriegen.
Botschaft unter der Patrona Franconiae: ob hier die Repräsentantin der Hochkultur gemeint ist?
Sie wünschen sich also eine engere und interdisziplinäre Zusammenarbeit?
Es darf natürlich bei den Vernetzungsfloskeln bleiben. Bis zum Erbrechen sprechen wir von Synergieeffekten. Es geht um den Mehrwert, um Ziele und Visionen und darum, Neues entstehen zu lassen. Der Sinn der Zusammenarbeit ist, neue Türen zu öffnen, um immer zum Weiterdenken angeregt zu werden.
Wie kann man als Politiker dann die Hoch- und die Subkultur zusammen bringen?
Ich darf keine Über- und Unterordnungen akzeptieren. Deshalb lehne ich das Wort Subkultur eigentlich ab. Es drückt Hierarchien aus, man taucht ab, man ist unten. Im Keller kann es durchaus kuschelig sein, aber die Frischluft kommt nicht von allein hinunter. Auf Dauer ist es dort muffig und irgendwann muss man ans Tageslicht. Der Slam Poetry-Freak ist mir genauso lieb und teuer und wertvoll wie der Staatsschauspieler oder der promovierte Kunsthistoriker.
Welches Problem stellt sich bei der Kulturförderung, gerade in Bezug auf das Aufrechterhalten der Institutionen?
Man kann selbstverständlich unsere Theaterlandschaft in Frage stellen, denn die Theater sind sicherlich eine überkommene Institution. Sie binden 30, 40, 50 % unserer Kulturetats, allein in einer einzigen Institution. Aber man darf nicht vergessen, dass ein Theater Arbeitsplätze für ein paar Hundert Leute liefert. Ich will auch nicht innerhalb der Kultur den Kannibalismus befördern und es dem Stadttheater wegnehmen und der Freien Szene geben. Man macht es sich etwas einfach, nur zu sagen, die Theater sind oldschool und es müsse abgespeckt werden, um die junge Kultur aufzustocken. Damit sind immer auch existenzielle Fragen verbunden.
Das Interview mit Muchtar Al Ghusain erschien im Juni bei Kulturmanagement Network. Ein Porträt über Freizeit und Ehrenamt in Würzburg gibt es in der Juniausgabe des KM Magazins.