Laut der Kolumnistin Margarete Stokowski sind Die letzten Tage des Patriarchats angebrochen. Ihre Essay- und Kolumnensammlung animiert Leser*innen dazu, die gesellschaftliche Entwicklung der letzten sieben Jahre zu rekapitulieren und Machtmechanismen zu entlarven.
Von Amelie May
Zu Beginn eine Feststellung: Es ist gar nicht so leicht mit der Subjektivität, egal ob es darum geht, die eigenen Gedanken auszudrücken, oder aber darum, anschließend über sie zu urteilen und auf abweichende Meinungen einzugehen. Es ist Margarete Stokowski zugute zu halten, dass sie sich – selbstverständlich gewohnt unverfroren – mit diesem Problem konfrontiert. In der Kolumne Die Tollen sind selten laut von August 2017 schreibt sie:
Ich denke natürlich bei vielen Texten, die ich schreibe, dass ich recht habe. Wäre ja auch blöd ansonsten. Niemand würde jede Woche einen Text lesen wollen, wo steht: Ist mir zu kompliziert, kann ich nichts zu sagen. Oder?
Um welche Themen es sich handelt, zu denen Margarete Stokowski klar Position bezieht und welche Reaktionen sie dadurch hervorruft, kann in dem im September erschienenen Buch Die letzten Tage des Patriarchats nachgelesen werden. Es enthält ausgewählte Kolumnen und Essays, die Margarete Stokowski zwischen 2011 und 2018 bei der taz und ab 2015 bei Spiegel Online veröffentlichte. Die Texte sind innerhalb verschiedener Themenblöcke chronologisch organisiert und laden die Leser*innen dazu ein, die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten sieben Jahren nochmal mit zeitlicher Distanz zu durchleben.
Onlinekommentare als gesellschaftlicher Spiegel
Schon der Klappentext offenbart das Selbstverständnis der Kolumnistin: »Im Großen und Ganzen versuche ich da Staub aufzuwirbeln, wo es eh schon dreckig ist. Also ungefähr das Gegenteil von dem, was von einer Polin in Deutschland erwartet wird, Zwinkersmiley.« Diese Ausführung klingt zunächst provokativ. Jedoch definiert sich eine Kolumne als ein knapp gehaltener Meinungsbeitrag. Es liegt also in ihrer Natur, dass sie polarisiert. Somit ist es kein Wunder, dass Stokowskis Kolumnen die unterschiedlichsten Echos aus den verschiedenen Lagern der Gesellschaft wiederhallen. Wer sich ein Bild davon machen möchte, wie divers die Meinungsäußerungen zu ihren Texten ausfallen, sei dazu eingeladen, die Kommentare unter ihren Kolumnen zu lesen, von denen bereits eine Auswahl im Buch abgedruckt ist. Darüber hinaus sei er*sie zum Wundern darüber eingeladen, was für menschenverachtende Aussagen da zu finden sind. Wie unsachlich und denunzierend diese Kommentare sind, führt sie bereits im Vorwort vor:
Man gewöhnt sich auch an die Widersprüche. In der Welt einzelner Kommentator*innen ist es möglich, dass ich potthässlich und ungevögelt bin, mich aber zugleich hochgeschlafen habe und eine Schlampe bin; dass ich nie lache und mich gleichzeitig permanent über Leute lustig mache, die keine veganen, promovierten Lesben sind.
Onlinekommentare ermöglichen es jedem Menschen, an einer Diskussion teilzuhaben – sie sind ein äußerst demokratisches Mittel, das als Stimmungsbarometer einer zersplitterten Gesellschaft gelesen werden kann. Diese Funktion offenbart sich sehr deutlich bei Stokowski, da sie über polarisierende, insbesondere feministische Themen schreibt.
Polarisierung als Entlarvungsstrategie
An dieser Stelle muss auch ich mich in meiner subjektiven Herangehensweise outen, denn bei fast allen Kolumnen würde ich mich gerne persönlich dafür bedanken, dass Stokowski die gesellschaftlichen Strukturen so scharfsinnig durchbricht, ja, den Dreck Schicht um Schicht aufwirbelt. Daher muss »entlarvend«, nicht etwa »provokativ« das Wort der Wahl sein.
Ein Versuch, das Rezept für eine typische Stokowski-Kolumne zusammenzuführen, die zum Teil solch heftige Gegenreaktionen hervorruft: Man nehme einen Vorfall mit gesellschaftlicher Relevanz und medialer Resonanz, untersuche ihn auf seine Genese und vermische das Ganze mit einer großen Prise Zynismus. Was dabei herauskommt sind Texte, die keine einfachen Antworten suchen, sondern hinterfragen, wie sich bestimmte Denkmuster in der Gesellschaft verwurzelt haben, deren Auswüchse von vielen unbemerkt die Rechte mancher beschneiden.
So geht es ihr beispielsweise in der im November 2016 erschienenen Kolumne Mittelalter! Weisser! Mann! nicht darum, die Auflehnung gegen das Label »weißer mittelalter heterosexueller Mann« ins Lächerliche zu ziehen, sondern im Gegenteil darum, aufzuzeigen, wie diskriminierend eine Reduktion auf Geschlecht und Herkunft sein kann. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass ihre Kolumnen einen hohen Differenzierungsgrad aufweisen. Oft wird Stokowski vorgeworfen, dass sie eine Männerhasserin sei, die selbst eine Hierarchisierung der Geschlechter betreibe. Jedoch liegt ihr blindes Schubladendenken fern. Auch die diversen feministischen Strömungen stellt sie unter anderem in dem im November 2015 veröffentlichten Text Der Abgrenzungs-Fetisch auf den Prüfstand und propagiert allumfassende Toleranz, ohne sich einem Wettbewerbsdenken hinzugeben, der die scheinbar besten Feminist*innen kürt.
Das große Ganze hinterfragen
Die letzten Tage des Patriarchats lädt dazu ein, Stokowskis Abgesang der letzten sieben Jahre zu lauschen und die besprochenen Debatten nochmal ins Gedächtnis einkehren zu lassen. Durch den chronologischen Ablauf lässt sich nachvollziehen, welche Kämpfe bereits ausgefochten wurden und welche Debatten in ähnlicher Gestalt immer wieder neue Konflikte heraufbeschwören. Leider lässt sich feststellen, dass viele Motive sich unablässig wiederholen und wohl auch in der Zukunft in neuem Gewand in Erscheinung treten werden.
Fragt man nach einem Grundsatz in Margarete Stokowskis Kolumnen, so ist es die Grundvorstellung, komplexe gesellschaftliche Themen nicht auf einen Aspekt herunterzubrechen, sondern sich dem großen Ganzen zu stellen. Denn feministisch denken und argumentieren heißt für Stokowski nicht nur Zustände anzuprangern, sondern nach den zugrundeliegenden Mustern Aussicht zu halten. Feminismus, so Stokowski, bedeute auch, Kapitalismus immer wieder kritisch zu hinterfragen, da er mit seinen weiten Verwurzelungen die Gesellschaft bestimme, in der wir leben. Und in achtsamer Erinnerung an die vielen Kommentatorinnen* bleibt außerdem die Feststellung: Das Patriarchat, das sind eben nicht nur die Männer.