Wer hätte das gedacht: Der politische, gesellschaftkritische Brecht konnte auch ganz anders. Das Pariser Akteon-Theater inszeniert mit Die Hochzeit einen frühen Einakter und zeigt einen unpolitischen, romantischen Brecht, der sein Publikum lachen sehen will. Am Ende obsiegt sogar die Liebe. Na dann.
Von Wiebke Schuldt (Paris)
Nach dem ersten Theaterkontakt der Franzosen mit Brecht hätte wohl kaum jemand darauf gewettet, dass dieser sich hier zum Kassenschlager entwickeln würde. Die Uraufführung der Dreigroschenoper 1930 in Paris war ein eklatanter Misserfolg – mehr noch als die Inszenierung missfielen die Stücke selbst. Die Brechtsche Theaterkonzeption musste geradezu suspekt erscheinen, das muss man zur Verteidigung der Franzosen anbringen, denn noch Anfang des 20. Jahrhunderts war das Theater durch die psychologische Tradition Racines geprägt.
Doch rehabilitierte sich das Verhältnis bald, und die langsam wachsende Liebe erwies sich als beständig: Seit dem Bühnenerfolg von 1954 mit dem Stück Mutter Courage gastiert das Berliner Ensemble nun immer wieder in der Hauptstadt, und auch dieses Jahr gab es im Théâtre de la Ville drei Sondervorstellungen der Dreigroschenoper, die schon Monate vorher ausverkauft waren.
Für die vielen Brecht-Fans, die keine Karte mehr bekommen haben, bot das Akteon-Theater einen kleinen Trost: Das unscheinbare Stadttheater in der Nähe des Szeneviertels Oberkampf führt mit dem Einakter Die Hochzeit ein frühes Stück Brechts auf, und obwohl das den Wenigsten bekannt sein dürfte, drängen sich die Menschen auch hier in den winzigen Theatersaal, dessen Wohnzimmeratmosphäre sein Pendant auf der Bühne findet.
Eine Hochzeit zum AbgewöhnenDas dort zu beobachtende frisch vermählte Brautpaar erwartet Gäste zum Festschmaus, doch die nicht zu übersehende Nervosität lässt Schlimmes erahnen. Dem freundlich bis überspannten Lächeln der Gastgeber antworten die Besucher mit Karnevalströten. Unter strenger Beobachtung stapelt die Braut die mitgebrachten Geschenke zu einem fragilen Turm. Zu Tisch knabbert man ungekochte Spaghetti und heuchelt gute Laune, zweideutige Witze über Eier machen die Sache nicht besser.
Als irgendwann alle Familienanekdoten und -zoten abgeklappert sind, gibt es nicht mehr viel zu sagen, und man geht zum Tanz über. Die Musik bringt sowohl den Geschenketurm als auch die kleinbürgerlichen Verhaltensnormen zum Kippen: Die eben noch so trockene Atmosphäre lädt sich unversehens sexuell auf, und man traut seinen Augen kaum, als die attraktive Schwester sich lasziv tanzend an ihrem Sitznachbarn reibt.
Doch das puritanische Bewusstsein kehrt ebenso schnell wieder zurück, der drohenden Unzucht wird rechtzeitig Einhalt geboten. Zurück am Tisch werden die Anekdoten des Brautvaters nun abgelöst durch noch unerträglichere Sticheleien, die unmissverständliche Einblicke in die Abgründe des Ehelebens gewähren.
Auch die Entlarvungen werden nun nicht mehr zurückgehalten: Sie reichen von der skandalösen Schwangerschaft der Braut über ein unanständiges tête-à-tête zweier Gäste im Treppenhaus bis hin zum billigen Möbelleim, der zu allem Überfluss auch noch übel zu riechen beginnt.
Sieg der Liebe also?Um die Rezeptionshaltung in die richtigen Bahnen zu lenken, weist die Programmankündigung vorsichtshalber schon einmal darauf hin, dass es sich bei dem vorgeführten Stück um eine Satire handelt, und damit auch das gesellschaftskritisch interessierte Klientel auf seine Kosten kommt, hat man zur Sicherheit noch ein Motto dazu gesetzt, bei dem es sich um ein Zitat aus einem Chanson des Sängers Jacques Brel handelt: »On n‘ vit pas, on triche« – Man lebt nicht, man schummelt.
Diese Deutung hat zweifelsohne ihre Berechtigung, und doch bleibt das Lachen verhalten, begleitet von einem gewissen Unbehagen. Das Bewusstsein mahnt fortwährend, dass es ja Brecht ist, den wir hier sehen, da kann man doch nicht undistanziert lachen, da muss es wohl noch eine andere Botschaft hinter dem Bühnenspektakel geben!, und so setzt man erwartungsvoll auf eine Schlusspointe – und wird enttäuscht.
Während der Bräutigam die Braut letztendlich doch noch zum Ehebett trägt, fegt die Mutter die verwüstete Stube rein. Die vitalistischen Anwandlungen, die beim wilden Tanz durchzubrechen drohten, werden im Zaum gehalten, und während in der Brechtschen Vorlage immerhin auch noch das Ehebett in Stücke bricht, bleibt an diesem Abend die »kraftvolle Sauerei« leider aus. Sieg der Liebe also? Leise klingt im Hinterkopf noch die Frage an, ob es wohl doch nicht allzu verwunderlich ist, dass man dieses Stück bislang nicht kannte.
Boulevardtheater statt GesellschaftskritikZugute halten muss man es den Regisseuren jedoch, dass sie es wagen, Brecht in einem völlig neuen Licht darzustellen. Wer hätte schon gedacht, dass dieser vor allem als politische Stückeschreiber bekannte Dichter, der vielleicht in Stücken wie Baal auch mal vitalistische Töne anklingen lässt, auch Qualitäten im Bereich des Boulevardtheaters aufweist!
Wer will, der kann in dieser Inszenierung gewiss Gesellschaftskritik finden, doch es geht auch ohne. Dass die Romantik obsiegt und dass der Bräutigam am Ende leise säuselnd seine Braut davonträgt, das mag die eine oder den anderen stören, zumal dies wohl auch eher der Lesart des Regisseurs als der Vorlage zuzuschreiben ist. Doch bewirkt dieser undogmatische Blick gleichermaßen, dass der sich bei der Brecht-Rezeption geradezu eingefleischte Wille, Verfremdungseffekte und revolutionäres Gedankengut aufzufinden, zuweilen als fehl am Platz erkannt werden muss.
Gezeigt wird hier ein bislang weithin unbekannter Brecht, einer der aus dem deftigen Kontext Bayerns stammt, dem es gefällt, eine Pointe auf die andere folgen zu lassen und einer, der vielleicht nicht immer so politisch war, wie man es gern hätte. Dass der so lustig sein kann, wer hätte das vermutet, denkt man noch beim Verlassen des Saals. Vielleicht aber sollte man sich das nächste Mal doch lieber um eine Karte für die Dreigroschenoper bemühen.