Ein kritischer Blick hinter die Kulissen des umtriebigen Literaturbetriebs – Franziska Ebert liefert die erste Stimme zu Klaus Modicks Literaturbetriebssatire Bestseller in der Reihe »2 Stimmen, 1 Roman« und findet: Der Roman bietet eine humorvolle und unterhaltende Lektüre mit Biss und Verstand.
Von Franziska Ebert
»Um wahr zu wirken, muß die Wirklichkeit gefälscht werden«…
… dieser Überzeugung ist der Protagonist Lukas Domcik in Klaus Modicks Roman Bestseller. Lukas ist ein alternder Schriftsteller, leider weniger erfolgreich als er sich wünscht, sowohl in seinem Berufs-, als auch in seinem Privatleben. Für Ersteres sieht er sein Aussehen als Auslöser, für Zweiteres irgendwie auch, denn sowohl im Literaturbetrieb als auch im Liebesleben scheinen Äußerlichkeiten der Weg zum Erfolg zu sein.
Obwohl er mit seiner Ehefrau Anne seit vielen Jahren verheiratet ist und seine beiden Kinder ins Studentenleben entlassen hat, scheint er nicht zufrieden zu sein und in der Midlife Crisis zu stecken. Die Unzufriedenheit legt sich jedoch kurzzeitig, als Lukas erfährt, dass er Erbe einer ihm zuerst unbekannten, im Altersheim verstorbenen Emma Theodora Elfriede Westerbrink-Klingenbeil ist. Diese entpuppt sich wenig später als Tante Thea, dem schwarzen – oder eher braunen – Schaf der Familie. Ihre Nazivergangenheit machte sie zur familiären Außenseiterin und so ist es kein Wunder, dass sich Lukas entscheidet, den augenscheinlich wertlosen Nachlass auszuschlagen, um so die anfallenden Bestattungskosten zu umgehen. Einen Koffer, der die Memoiren Tante Theas beinhaltet, erhält er dennoch. Diese Memoiren erweisen sich jedoch als nationalsozialistische »Schreibdiarrhö«, die sich anfangs vom romantischen »Reim-dich-oder-ich-freß-dich-Gejammer« über fanatische und verherrlichende Gedichte und Erinnerungsfetzen bis zu der völligen Abkehr vom und Verdrängung des Nationalsozialismus (von Lukas »Konversions-« und »Legitimations-Konvolut« genannt) hinzieht.
Und hier setzt der Titel des Buches an. Bestseller bietet zahlreiche Informationen über den Literaturbetrieb, seien es beispielsweise die Berufsfelder von Verlagen, Institutionen des literarischen Lebens oder die Beziehung zwischen Autoren und Verlagen. Dieser Blick hinter die Kulissen ist informativ, aber auch sehr kritisch. Klaus Modick schafft es damit, Wissen unterhaltsam zu vermitteln und hält zudem den Instanzen der Literaturvermittlung einen Spiegel vor.
Schafft man es, die ersten beiden Kapitel, die leichte Züge von Sänk ju vor träweling aufweisen (überempfindliche Schaffner, lautstarke Handytelefonierer und rottenweise einfallende Wehrdienstleistende sind vorprogrammiert), hinter sich zu bringen, in denen der Erzähler mehr um den heißen Brei redet, denn auf den Punkt kommt, bleibt der Roman bis auf einige eher schwache oder gezwungene Witze (wie ein verkorkstes Sprichwort à la »Wenn in Shanghai ein Sack Reis umfällt, schlägt in Peking ein Schmetterling mit den Flügeln.«) humorvoll und unterhaltend. Zwischenzeitlich rutscht der palavernde Erzähler zwar wieder zurück in unendlich wirkende Monologe über seine beruflichen und sexuellen Phantasien, was – verbunden mit Aussagen wie er sei ein »erklärter Feind ausufernder Exkurse« oder dass er »in Sachen [s]einer Intimsphäre zu Diskretion neige« – in gewisser Weise selbstironisch oder weniger selbstreflexiv wirkt.
Lukas’ Selbstironie bezieht sich wohl auch auf die Selbstironie des Autors, so lässt dieser Lukas von dem verfeindeteten »Weg-war-weg-Modick« (»Weg war weg« ist ein 1988 erschienener Roman Modicks) sprechen. Die fehlende Selbstreflexion und vor allem die ständigen triebgesteuerten Fehleinschätzungen bezüglich Rachels Interesse an ihm, steigert den Fremdschäm-Faktor enorm. So überschlägt sich Lukas fast mit Lobliedern über Rachel und tapst wie blind hinter ihr her. Ihre wohl dosierten Zuneigungsbekundungen sind für den Leser offensichtlich berechnend, für Lukas wohl eher ernst und von Herzen kommend. Dies führt dann letztendlich auch dazu, dass Lukas gründlich über den Tisch gezogen wird, was für den Leser absehbar war.
Der Roman beruht stark auf der scheinbar geringen Distanz zwischen dem Autor und dem Erzähler – die Namen sind sogar Anagramme: Klaus Modick wird zu Lukas Domcik – und dem Autor und den Rezipienten, so werden diese direkt angesprochen (»Sitzen Sie bequem?«). Mit möglichen autobiographischen Zügen (ehemaliger Wohnort in Hamburg, zwei Kinder, Parallelen der Romantitel: Modicks Moos und September Song, Lukas’ Ferne Farne und Novemberblues) wirkt der Roman zudem wesentlich realer. Dies verstärkt sich noch durch die Vermischung von tatsächlichen Vorkommnissen, wie die Ereignisse um George Forestier 1952, und fiktiven Erzählungen, wie die Geschichte von Karlheinz Sommer/Amadeus Maria Winter/Maximilian von Ludendorff.
All dies macht Bestseller zu einer unterhaltsamen, größtenteils kurzweiligen und informativen Lektüre mit Biss und Verstand, die man sehr gut zwischendurch lesen kann und ist vor allem für Leser mit Interesse am Literaturbetrieb sehr zu empfehlen.
Klaus Modick wird am 04. Juli um 20h bei der Veranstaltung »Literaturverteiler No. 2: Die Lesebühne« im Literarischen Zentrum zu Gast sein.