Sex, Prügel und Kosmetikwaren. In seinem Roman Der Tod des Bunny Munro führt Musiklegende Nick Cave auf eine düstere Odyssee durch die Abgründe des südenglischen Konsumprekariats. Das Deutsche Theater bringt die letzte Verkaufstour des Bunny Munro nun zum ersten Mal auf die Bühne.
von Kalle Schönfeld
Musiklegende Nick Cave haftet nicht umsonst der Ruf des Düsterlings an. Sein im Herbst letzten Jahres erschienener Roman Der Tod des Bunny Munro beschwört zwar nicht mehr die morbide Südstaatenromantik des Erstlingswerkes Und die Eselin sah den Engel. Viel heiterer geht es in den verwahrlosten Sozialwohnungen des südenglischen Konsumprekariats, in denen die Geschichte des Bunny Munro spielt, aber auch nicht zu.
Der Titelheld Bunny Munro ist Zentrum und Motor eines nihilistischen Universums aus leidenschaftslosem Sex, Drogen und dem Verkauf von Gesichtscremes. Seit dem Selbstmord seiner Frau sieht sich der Vertreter für Kosmetikartikel jedoch plötzlich mit den Vaterpflichten für seinen neunjährigen Sohn Bunny Jr. konfrontiert. Vom Geist seiner toten Frau verfolgt und mit der Fürsorge für einen anderen Menschen als sich selbst überfordert, flieht Bunny mit seinem Sohn auf eine letzte Verkaufstour. Soweit der Stoff des Romans, den das Deutsche Theater Göttingen nun erstmals für die Bühne adaptiert hat.
Aneinanderreihung von KnalleffektenDie Inszenierung von DT-Regisseur Joachim von Burchard begegnet der Fixierung des Romanstoffs auf die Hauptfigur, indem sie Caves introspektiver Moralfabel eine Auswahl seines musikalischen Hauptwerks an die Seite stellt. Jan Exner begleitet als musikalischer Leiter die Aufführung. Als Nick Caves Alter Ego hält er Zwiesprache mit dem Unterbewusstsein seines Protagonisten und Schützlings. Klänge aus Gitarre, E-Bass und Hammondorgel entfalten die düsteren Balladen des Autors. Die Symbiose des Dialogtextes mit der Poesie von Stücken wie The Mercy Seat oder Stranger than Kindness lassen viele autobiographische Parallelen zwischen Musik und Text erkennen.
Andreas Jeßing gibt den Bunny Munro als unbekümmerten Widerling, der sich durch die neuen Herausforderungen als Vaters überfordert fühlt und immer mehr in ein nervöses Wrack verwandelt. Benjamin Berger spielt dessen Sohn Bunny Jr. anfangs etwas überdreht, findet jedoch schnell in eine Form, die der Verlassenheit und Verwundbarkeit des mutterlosen Kindes mal trotzig-fordernd, mal leise und traurig glaubhaft Audruck verleiht.
Imme Beccard und Marie-Thérèse Fontheim geben die Frauenfiguren, denen das ungleiche Gespann auf seiner Irrfahrt begegnet. Die zahlreichen »Kundinnen« des Vaters werden erst Gegenstand seines sexuellen Appetits, später dann zu seiner immer verzweifelteren Obsession. Leider bleiben diese Figuren bloße Abziehbilder.
Erst gegen Ende des Stücks gewinnt die Todesfahrt wieder an Rasanz. Für Bunny Munro ist die Flucht vor seiner Verantwortung längst eine Fahrt auf den Grund der eigenen Leere geworden. Ein Besuch bei seinem eigenen, bereits vom Tode gezeichneten Vater führt zu den Quellen seiner zwischenmenschlichen Verwahrlosung. Liebe und Fürsorge fallen nicht vom Himmel, sondern werden weitergereicht. Und wo nichts empfangen wurde, kann nichts verschenkt werden. »Wir müssen uns lieben, oder sterben«, prophezeit ein unheilvolles Omen dem Helden. Der Titel des Stücks wird sich in alttestamentarischer Grimmigkeit erfüllen.
Geläutert durch den Tod (in Form eines Betonmischers), entschuldigt sich Bunny bei allen, denen er in seinem Dasein als menschliche Fresszelle Schaden zugefügt hat. Am Ende bilanziert er: »Ich fand es schwierig, in dieser Welt ein guter Mensch zu sein.« Ein großartiges Schlusswort für die Bühnenpremiere dieser abgedrehten Moritat.