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Etwas Dräuendes

Dea Loher gilt als eine der wichtigsten Gegenwartsdramatikerinnen im deutschsprachigen Raum. Ihr aktuellstes Stück wurde von Andreas Kriegenburg im Herbst 2012 am DT Berlin uraufgeführt. Nun übernimmt Wojtek Klemm für das Deutsche Theater Göttingen die Regie für die zweite Inszenierung von Am schwarzen See. Über eine Choreographie der Verstörung.

Von Sophia Karimi

Vier Menschen, zwei Männern und zwei Frauen – zwei miteinander befreundete Paare treffen aufeinander und was dort vorgeht, hat etwas Beklemmendes und Unheimliches an sich. Das Deutsche Theater Göttingen darf als zweites Theater überhaupt das neue Stück von Dea Loher Am schwarzen See spielen und Wojtek Klemm inszeniert das wortgewaltige Drama um zwei Ehepaare sehr körperlich und bedrückend.

Das Stück

von Dea Loher
Regie: Wojtek Klemm
Premiere:
15.12.2012

 

DT

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Das Deutsche Theater in Göttingen zeigt als größtes Theater der Stadt ein umfangreiches Repertoire auf drei Bühnen. Bereits seit den 1950er Jahren errang das DT unter Leitung des Theaterregisseurs Heinz Hilpert den Ruf einer hervorragenden Bühne. Seit 1999 garantiert Intendant Mark Zurmühle bewährte Theatertradition sowie Innovation.
 
 

Die Ehepaare Eddie und Cleo sowie Johnny und Else haben sich zufällig angefreundet. Johnny und Else (Andreas Jeßing und Nadine Nollau) sind neu in der Stadt, er ist der neue Bankdirektor, sie hat es mit dem Herzen und darf nur halbtags arbeiten. Beide zusammen leisten ihren Antrittsbesuch bei den besten Kunden, also den größten Schuldnern, der Bank: Eddie und Cleo (Meinolf Steiner und Andrea Strube). Diese wollen den Familienbesitz um jeden Preis halten. Die Paare fahren im Verlauf des eigentlich doch formalen Besuchs raus auf den See, kentern und freunden sich über ihr kleines Bootsunglück an. Eine scheinbar glückliche Zeit beginnt. Zwei Kinder gibt es: Nina und Fritz. Auch die beiden finden zueinander: Teenagerliebe und Glück, alles scheint gut, das Leben in der Kleinstadt direkt am See ist schön. Es ist solange gut, bis die beiden Kinder gemeinsam auf dem See den Freitod suchen. Die Hände aneinander gebunden, Schlaftabletten intus, ein Loch im Boot und ein Abschiedsbrief, zwei tote Kinder.

Soweit die Vorgeschichte, die in Dea Lohers Am schwarzen See nur in Rückblenden erzählt wird. Denn vier Jahre später treffen die ehemaligen Freunde aufeinander. Dea Lohers Theaterstück setzt hier ein, die Wiederbegegnung dieser vier Menschen, dieser Waiseneltern, deren Kinder sich gemeinsam töteten, ist das Thema des Stücks. Auf Mikroebene werden hier menschliche Beziehungen ausgelotet und genau seziert, dass Dea Loher dabei das altbekannte Motiv zweier aufeinander treffender Paare nutzt, schadet wenig. In ihrem ureigenen Stil schafft sie trotz vermeintlich abgegriffener Grundthematik ein sehr dichtes Stück, das von der ersten Minute an bedrückend ist. Zu sehen sind zunächst: vier Stühle, ein übergroßes Schild »Seeblick« und vier Personen. Die Bühne ist abgeschlossen, hier gibt es keine Auf- und Abgänge, wer einmal auf der Bühne ist, ist dort gefangen und muss sich auseinandersetzen.

Dieses Auseinandersetzen beginnt mit verzagter Höflichkeit. Von Anfang an ist die Szenerie beklemmend, jeder zwischenmenschlichen Begegnung haftet etwas Dräuendes an. Die Paarkonstellationen werden zwischendurch immer wieder aufgebrochen, Else bei Eddie und Johnny bei Cleo und man merkt schnell, dass, auch vor dem Tod der Kinder, das Leben am See durchaus nicht so einträchtig und idyllisch war. Da war auch ein letzter Bankkredit, der doch noch genehmigt wurde, aus Freundschaft, und die ökonomische Schuld wird schnell mit moralischer Schuld verquickt.

Stark durchchoreographiert bewegen sich die Figuren auf der Bühne, denn Sprache kann das Grauen manchmal kaum erfassen und wird zuweilen selbst Teil der Farce, wenn ein Satz mal leicht und humorig und im nächsten Atemzug grauenvoll und bösartig wird, gar physische Gewalt angewendet wird. Sprache wird unzuverlässig, genauso wie die Welt hier ganz und gar unzuverlässig erscheint. Der von Eddie gepflanzte Baum wird herausgerissen, der Besitz wird verschenkt oder verpfändet und der Sohn ist tot. Diese Metaphern machen das Stück keineswegs platt oder eindimensional, sondern schaffen durch ihre Eindringlichkeit, dass das fortwährend dargestellte menschliche Versagen übertragbar und allgemeiner wird, die Beklemmung wächst. Die Figuren tun einander weh und entblößen sich seelisch, ihre geheimsten Wünsche und Sehnsüchte, Vorbehalte und Ängste werden offenbart.

Hier geht es nicht um die Kinder und ihre beinahe romantische Geschichte des gemeinsamen Selbstmords auf dem See, der Tod der beiden bleibt unaufgeklärt und ist lediglich Aufhänger für dieses Treffen voller Grauen. Es geht um die ganz großen Fragen: Wie wollen wir leben? Wie haben wir gelebt? Wie wollen wir miteinander leben und gibt es überhaupt ein Miteinander? Die Antworten sind traurig: Johnny braucht seinen außerehelichen Fick in der großen Stadt. Eddie hat vielleicht ein Mädchen vergewaltigt und ist nicht geschäftstüchtig und zukunftsfähig. Cleo ist die zwanghafte, fast hartherzige Geschäftsfrau. Else hat etwas mit dem Herzen und darf nicht belastet werden, Langeweile tut ihr gut und ist verordnet. Und so zerfleischen und lieben sich diese vier Figuren auf der Bühne:
In der Inszenierung von Wojtek Klemm wird sich dabei sehr viel Zeit für Atmosphäre gelassen, das Gefühl von Beklemmung verlässt den Zuschauer dabei nie. Die Musik von Micha Kaplan wirkt dabei nicht nur unterstützend, sondern ist entscheidend, gerade weil sie manchmal fast konträr zu dem Gezeigten scheint und dadurch umso mehr nie ein Wohlsein entstehen lässt. Auch im vermeintlichen Moment des Aufatmens bleibt Anspannung und Verstörung allgegenwärtig. Dieses Konzept gelingt. Dea Lohers Sprachgewalt wird in der Inszenierung oft gebrochen und schafft so noch mehr Grauen. Es bleibt nur Verstörung.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 24. Januar 2013
 Bild von Thomas Müller mit freundlicher Genehmigung vom Deutschen Theater.
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