Am 17. Februar feierte paradies fluten von Thomas Köck unter der Regie von Katharina Ramser seine Premiere im Deutschen Theater Göttingen. Der Horror eines apokalyptischen Szenarios ist eingebettet in ein umtriebiges Szenenarrangement. Simon Gottwald war da und teilt seine Eindrücke.
Von Simon Gottwald
Das »erste Stück einer Klimatrilogie, eines groß angelegten Versuches des Autors Thomas Köck, die Ursachen und Folgen der Klimakatastrophe mit den Mitteln der Poesie zu erkunden« verspricht das Programmheft für den Abend, und keinen Zweifel lassen Regieanweisungen sprechende und/oder sich direkt an das Publikum wendende Figuren, auch viele der bruchstückhaft angeordneten Szenen daran, dass jede/r Einzelne im Saal am Ende der Welt eine Mitschuld trägt. Am Ende, das in paradies fluten bereits eingetreten ist und die ZuschauerInnen zu Beginn des Stückes mit im Wasser treibenden Leichnamen begrüßt.
Zwei Überlebende, die letzten Menschen, betreten dieses Leichenfeld und wissen nichts anderes zu sagen als »Shit«, bevor sie ein Weltuntergangsvideo aufnehmen, in dem sie den Verglühungstod der Sonne in ferner Zukunft, in »sechskommadrei milliarden jahren«, voraussagen.
Aber wen soll das alles überhaupt kümmern? Das Ehepaar im Jahre 1993, das sich über die insolvente Autowerkstatt des Vaters (des »Erzeugers«, als den die Mutter ihn bezeichnet) solche Sorgen macht, dass diesen ein Schlaganfall seines Gedächtnisses und seiner Worte beraubt? Ihre Tochter, die sich als Tänzerin nur durch »Querfinanzierung« überhaupt von Engagement zu Engagement hangeln kann, bis sie die Mutter überredet, ihr das Haus zu überschreiben und es umgehend verkauft, damit sie wenigstens für einige Jahre dem Prekariat entkommt?
Soll es die Gummibarone kümmern, die 1890 in Manaus ein Opernhaus errichten lassen, um nicht nur ihre wirtschaftliche, sondern auch ihre kulturelle Dominanz zu demonstrieren? Die in der Ausbeutung der Erde und ihrer letztendlichen Zerstörung nichts anderes sehen als ein Mittel zur Gewinnmaximierung? Den Missionar, der dem Publikum nach der Vergewaltigung einer Eingeborenen mittels glühender Zigarre erklärt, es solle nicht so entsetzt gucken? Den jungen Architekten Simon Baumann, den zwar sehr schnell der herrische Umgang mit den Unterdrückten stört, dem der gesamte Wahnsinn kolonialer Machtdemonstrationen und der Ausbeutung des Planeten aber entgeht?
Oder soll es die Toten kümmern, die als schlammverschmierte Leichname aus den Tiefen eines alles verschlingenden Ozeans aufsteigen und eine letzte langweilige Cocktailparty feiern, soll es die gigantische Perücken tragenden Geister der barocken Upperclass kümmern, die sich einen letzten Tanz liefern, stets Voraussagungen treffend, und in Goldkonfetti baden?
Selbst wenn es einen von ihnen kümmern sollte – was kann der Einzelne tun, um sich dem Ende entgegenzustellen? Diese Frage ist es, die paradies fluten beschäftigt, und die Antwort ist gleichsam ernüchternd wie absehbar: Der Einzelne kann gar nichts tun, aber als Teil der Masse kann er alles tun. Er ist es, der sein Konsum- und Produktionsverhalten ändern kann, er ist es aber auch, der dem Ende sehenden Auges entgegengehen kann, ein Schleppenkleid aus Müllsäcken über einen Horizont von Gartenstühlen aus Plastik zerrend.
Die Handlungen um die an der Selbstständigkeit scheiternde Familie und die Land und Bevölkerung vergewaltigenden Kolonisatoren werden ineinander verschränkt erzählt, das verbindende Element zwischen ihnen ist der Kautschuk: Auf der einen Seite jene, die die Möglichkeit, Gummireifen zu produzieren, als den Beginn einer beispiellosen Erweiterung des Marktes sehen, auf der anderen Seite jene, die dem Markt mit einer kleinen Autowerkstatt nicht genügen, gar nicht genügen können.
Das Stück endet, wie es begonnen hat: Die beiden letzten Menschen stehen dem Ende unmittelbar gegenüber, das nun sehr viel näher scheint als »sechskommadrei milliarden jahre«, denn die sie am Leben erhaltende Klimakapsel ist defekt – eine letzte Zigarette bleibt den beiden wegen eines kaputten Feuerzeuges versagt.
Diese düsteren Bilder der Inszenierung würden genügen, die ZuschauerInnen beklommen zu machen, doch in bester klassischer Lehrstück-Tradition werden sie immer wieder daran erinnert, dass es genauso ihre Schuld ist, dass die Welt in der Klimakatastrophe versinken wird, wie es die der Kautschukbarone und ihrer Helfer ist. Das zeigen vor allem die Passagen, die ins Detail gehen: Der Erzeuger mag ein kleines Licht sein, dessen Werkstatt kurz vor dem Konkurs steht, die Tochter mag lediglich eine Tänzerin sein, die vier, vielleicht sechs Jahren entgegensieht, in denen ihr Körper den Anforderungen des Berufes genügt, als Teil einer verantwortungslos agierenden Masse tragen auch sie dazu bei, dass das Paradies bald kollabiert.
Es wäre schön gewesen, dem Publikum eine etwas größere Selbstständigkeit im Denken zuzutrauen, aber abgesehen von diesem im Verhältnis kleinen Wermutstropfen ist dem Team um Regisseurin Katharina Ramser und Choreograph Valentí Rocamora i Torà eine Inszenierung gelungen, die lange nachhallt.