Mark Zurmühle inszeniert das Erfolgsmusical Hair im Deutschen Theater Göttingen. Neben Tanz und Akrobatik, Livemusik und Rausch räumt der Regisseur auch der Kirche, dem Schulsystem und der Elterngeneration einen Platz auf der Bühne ein. Reizüberflutung durch beliebige Protest-Projektionen? Oder doch das 68-er Pamphlet gegen Vietnam und sinnloses Sterben?
Von Laura-Solmaz Litschel
Es ist dunkel. Erst langsam lässt sich in der Dämmerung etwas erkennen. Auf der Bühne zuckende Menschenkörper. Halbnackt. Lauter Gesang ertönt und man ist sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob man nicht doch in einem Theaterremake von The Walking Dead gelandet ist. Aber ein verunsicherter Blick ins Programmheft verrät: Das ist wirklich die neue Inszenierung von Hair, dem Flower-Power Musical. Doch die farbenfrohen Kostüme lassen sich anfangs nur schemenhaft erkennen, in der Dämmerung droht schon der Schatten des Vietnamkrieges.
Hair, 1969 am New Yorker Broadway uraufgeführt, gilt immer noch als eines der erfolgreichsten Musicals der Welt. Die Inszenierung von Mark Zurmühle und dem Choreographen Ayman Harper unter der musikalischen Leitung von Albrecht Ziepert verabschiedet sich allerdings von dessen ursprünglichem Plot und interpretiert vieles neu, indem das Funktionieren der Choreographie wichtiger wird als die ursprüngliche Storyline. Trotzdem: Auch im Deutschen Theater ist Hair ein Musical über New Yorker Hippies, die sich auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges gegen das Establishment auflehnen, vor allem gegen den Patriotismus ihrer Elterngeneration. Sie entwickeln gemeinsam eine pazifistische Weltsicht. Im Zeichen des Wassermannes ›Aquarius‹ philosophieren sie über Liebe und Freiheit und merken schließlich, wie weit ihre Lebensrealität von der ersehnten Welt entfernt ist, denn schon kommt der Einberufungsbefehl.
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Über vierzig Jahre nach dem Erscheinen von Hair ist seine inhärente Gesellschaftskritik immer noch aktuell: Antimilitarismus, die Wut auf die bürgerliche Gesellschaft und die Sehnsucht danach, etwas Neues zu schaffen. Heute, kurz nach der Abschaffung der Wehrpflicht, aber auch in Zeiten, in denen Europa sich mehr und mehr zur Festung ausbaut, sticht die Thematik von Hair immer noch mitten in die offene Wunde. Schließlich boomt die deutsche Waffenindustrie.
Dennoch, es gibt wunderbare Tänzer_innen, tolle Stimmen und zusätzlich noch etwas zum Nachdenken und das ist für ein Musical schon eine Menge. Schlussendlich steigert sich die Aufbruchsstimmung der New Yorker Hippies bis zur Protestwelle, die auch das Publikum mitreißt. Im besten Fall geht danach wenigstens eines nicht mehr aus dem Kopf: »Peace Now! Freedom Now!«