Im Zuge des Vertiefungsseminars »TextLab. Eine angewandte Einführung in die digitale Literaturwissenschaft« entdeckten Studierende Möglichkeiten für ein App-Konzept zur Verbesserung der Analyse von Redewiedergabe. Ein Arbeitsbericht.
Von Jacqueline Wulf
Unter Mitwirkung von Philip Castner, Sebastian Spindler und Johannes Raub
Im Wintersemester 16/17 besuchten wir ein Seminar der ganz besonderen Art. Unter der Leitung der Literaturwissenschaftlerinnen Dr. J. Berenike Herrmann (Deutsches Seminar der Universität Göttingen) und Dr. Annelen Brunner (IDS Mannheim), assistiert von Herrn Paluch, sowie unter Mitwirkung von Herrn Göbel (Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek »SUB« Göttingen) haben wir uns mit der Frage beschäftigt, inwiefern sich Gamification auf die digitale Narratologie anwenden lässt, genauer auf das Annotieren von Redewiedergabe. Für uns stellte sich dies als komplett neues Forschungsgebiet dar. Besonders in diesem Zusammenhang war bei diesem Seminar, dass wir unsere eigenen Konzepte für Apps entwickeln durften.
Das Seminar bildete den typischen Forschungsprozess der Digital Humanities (DH) ab, indem wir versuchten, eine ›analoge‹ Fragestellung mithilfe digitaler Ressourcen und Methoden zu beantworten. Dazu setzten wir uns zunächst ein übergeordnetes Forschungsziel: die Verbesserung der Analyse von Redewiedergabe durch die kollaborative Annotation eines Korpus. Dies bedeutete für uns, in Gruppenarbeit ein Konzept für eine App zum Annotieren von Redewiedergabe zu entwickeln. Auf Grundlage des Annotationsschemas von Dr. Annelen Brunner und in lehrreicher Zusammenarbeit mit ihr entwickelten wir das Konzept für eine digitale App, die dies ermöglichen soll. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten zunächst die TeilnehmerInnen des Kurses und schließlich eine externe »Crowd« mithilfe sogenannter »Gamification«-Tools (dazu mehr im folgenden Absatz) dazu motiviert werden, unser Vorhaben zu unterstützen. Praktische Hilfestellung erhielten wir von Matthias Göbel, der an der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek für die Entwicklung von Informationsarchitekturen zuständig ist und uns bei der Programmierung assistierte. Des Weiteren lernten wir im Zuge des Seminars ein erstes Annotationsprogramm kennen, das in der Korpus-App KOLIMO implementiert wurde.
Im Folgenden möchten wir darstellen, wie die Entwicklung unserer App stattgefunden hat, welche grundlegenden Konzepte unsere Entscheidungen lenkten und auf welche Weise wir selbst und die Literaturwissenschaft von diesem Arbeitsprozess und seinem Ergebnis profitieren können (dabei ist zu beachten, dass es sich lediglich um Konzepte für Apps handelt, die so bislang nur schwer umgesetzt werden können). Hierbei zeigen wir die verschiedenen Inhalte auf, die sowohl zur Redewiedergabe als auch zum Annotationsschema gehören. Im Zuge des Seminars entdeckten wir Möglichkeiten, aber auch Grenzen, die sich für eine App ergeben können. Um zu verstehen, welche maßgeblichen Überlegungen hinter der App stehen, zeigen wir zunächst das Konzept der »Gamification« auf.
GamificationUnsere App arbeitet mit dem Konzept der Gamification. Doch was ist das eigentlich? Der Begriff ließe sich in etwa als »Spielifizieren« übersetzen, was sich fast von selbst erklärt: Etwas, was eigentlich kein Spiel ist, wird zu einem Spiel gemacht. Dies zeichnet sich durch spielerische Elemente wie Wettkämpfe oder ein Belohnungssystem aus. Das kann sich etwa auf Arbeiten beziehen, die eigentlich von einzelnen Personen erledigt werden müssten, aber langwierig, umfassend oder kostspielig sind. So zum Beispiel angewandt auf den Aufbau und die Analyse von Datensammlungen, wie es sie in vielen Fachbereichen gibt, etwa in der Chemie, der Biologie oder der Computertechnik – man denke an die automatische Texterkennung.1 Im Zeitalter der »Big Data«, in dem der Wissenschaft große und heterogene Datenmengen zur Verfügung stehen, arbeitet aber auch die Literaturwissenschaft immer häufiger mit solchen Sammlungen. Das birgt viele Chancen, aber auch Herausforderungen: Die großen Datenmengen der Digitalisierung können kaum noch von einem einzelnen Menschen per Hand ausgewertet werden. Genau hier setzt die Gamification an: Sie kann diese Aufgaben vereinfachen und ansprechender gestalten, indem sie komplexe Arbeit spielerisch darstellt und so einen größeren Anreiz schafft, die Aufgabe zu lösen. Außerdem können durch »Crowdsourcing« einzelne
(Teil-)Aufgaben an eine breite Masse von UnterstützerInnen weitergegeben werden. Für weiterführende Informationen zu Gamification sei auf den bei Litlog veröffentlichten Artikel Gamification – spielend leben von Myrin Sumner hingewiesen.
Wie auch die Literaturwissenschaft von dieser Entwicklung profitieren kann, zeigt beispielsweise unser Projekt »TextLab. Redewiedergabe in literarischen Texten«, das von der universitären Initiative »Campuslabor Digitalisierung« gefördert wird. Dabei soll untersucht werden, welche Typen der Redewiedergabe in den einzelnen Texten von verschiedenen AutorInnen verwendet werden. Auf Grundlage dieser Daten haben wir uns zunächst mit Regeln für die Annotation der Redewiedergabe beschäftigt.
Annotieren bedeutet das Erkennen bzw. Unterscheiden der verschiedenen Typen der Redewiedergabe und die Markierung dieser. Uns fiel auf, wie anstrengend dieser Arbeitsprozess für einen einzelnen Menschen sein kann, schließlich benötigt man für möglichst aussagekräftige Statistiken und Analysen vor allem eines: eine immense Datenmenge. Die kann jedoch auch in der Literaturwissenschaft schnell so groß werden, dass ihre Erstellung zu viel Arbeit für einzelne ForscherInnen bedeutet. Daher stellten wir uns nach den ersten eigenen Annotationen die Frage: Wie können wir andere dazu bringen, uns beim Annotieren zu helfen? Die Antwort war schnell klar: indem wir ein Spiel daraus machen, den Prozess also ›gamifizieren‹. Doch wie genau stellt man das an?
An sich wirkt es gar nicht so schwer, ein Spiel zu entwickeln. Doch wenn das Ergebnis nicht nur Spaß bringen, sondern auch einen tieferen Sinn erfüllen soll, gibt es doch etwas mehr zu bedenken. Zunächst mussten wir uns bewusstmachen, was genau ein Spiel ausmacht: Was bringt Menschen dazu, ein bestimmtes Spiel zu spielen? Es ist also ein Konzept nötig, das einen gewissen Anreiz bietet. Dementsprechend herrscht in der Spieltheorie ein allgemeiner Konsens darüber, dass dafür vor allem Anreizsysteme verantwortlich sind.2 Hier sind zum einen ein Highscore-System, das SpielerInnen erlaubt, sich mit anderen zu messen, zum anderen ein Level-System, an dem SpielerInnen ihren Fortschritt gut erkennen können oder auch Belohnungs-Systeme, die SpielerInnen für gute Leistungen in der Spielwelt Vorteile oder andere Extras verschaffen, zu nennen. An diese Grundprinzipien des Spielens mussten wir uns auch bei der Gamification halten, damit das Spiel möglichst viele NutzerInnen anspricht und wir schnell die gewünschte Datenmenge erreichen.
Die zu erledigende Aufgabe mussten wir nun mit einer Idee bezüglich des Spielprinzips kombinieren, wobei zu beachten war, dass sich je nach Aufgabe bestimmte Spielprinzipien besonders anbieten. Dennoch soll am Ende alles in das Gesamtbild einer Spielwelt integriert werden können; je nach Thematik der Aufgabe kann die Spielwelt an sie anknüpfen, aber auch eine völlig andere Thematik repräsentieren. Dabei ist es häufig unnötig, den SpielerInnen überhaupt zu vermitteln, dass das Spiel einem ›höheren‹ Zweck dient. Dementsprechend muss ein Spiel, das beispielsweise der biologischen Forschung dienen soll, auf ludischer Ebene nicht zwingend etwas mit Biologie zu tun haben. In anderen Bereichen ergibt es hingegen Sinn, das Spiel auch dem Thema anzupassen, was sich jedoch nicht negativ auf die Spannung und Motivation auswirken darf.
Insgesamt bezeichnet der Begriff »Gamification« in Forschungszusammenhängen also die Kunst, Arbeit, die ansonsten von bezahlten und ausgebildeten Angestellten erledigt werden müsste, in ein Spiel zu verwandeln, das Spaß macht und die Aufgabe vereinfacht. Gelungen ist dies zum Beispiel bei Smorball, einem im Browser spielbaren Spiel von Max J. Seidman und seinen KollegInnen3, welches einen Datensatz für automatische Worterkennung erstellt.4
Die Wiedergabe von Gedanken und Äußerungen ist ein Phänomen, das über verschiedene Disziplinen hinweg erforscht wird. So beschäftigt sich beispielsweise die Logik mit der Unterscheidung von Aussagen über die Dinge der Welt und über die Sprache sowie den Wahrheitswert zitierter Aussagen, während in der Soziologie die Bedingungen, unter denen fremde Äußerungen im eigenen Text wiedergegeben werden, genauer betrachtet werden. Um zu verdeutlichen, woraus genau das Annotieren von Redewiedergabe besteht, folgt ein Überblick über unsere Vorgehensweise und die Regeln, die beachtet werden mussten.
In der literaturwissenschaftlichen bzw. narratologischen Forschung liegt der Fokus auf Erzählstrukturen in fiktionalen Texten; Wiedergabe korreliert üblicherweise stets mit der Erzählweise als auch mit Figurendarstellung. In unserem Projekt hingegen, das durch sein digitales Vorgehen einen hohen Grad an maschinenlesbarer Formalisierung erfordert, treten formale Merkmale, welche die Arbeit der linguistischen Forschung bestimmen, in den Vordergrund. Wir berufen uns dabei auf die Arbeit der Narratologin Dr. Annelen Brunner, die eine formalisierte Definition einzelner Kategorien der Redewiedergabe einführt. Sie unterscheidet drei Haupttypen, die als gemeinsamer Nenner in verschiedenen narratologischen Betrachtungen zu finden sind. Bei der direkten Wiedergabe ist die Stimme einer Figur klar von der Rede des Erzählers abgehoben, indem sie typographisch markiert und in der Regel durch eine einleitende Wendung angekündigt wird, wie z.B.: »Hast du Lust heute Abend ins Kino zu gehen?«, fragte er. Wenn die Stimme der Figur hingegen durch die Erzählinstanz vermittelt oder der wiedergegebene Inhalt in einer Rahmenformel grammatisch untergeordnet wird, wie z.B.: Sie dachte, dass das sehr nett von ihm sei, spricht man von indirekter Wiedergabe. Des Weiteren sind Pronomen, Deiktika und Tempus der Rede dem Referenzrahmen der Erzählerinstanz angeglichen. Bei der freien indirekten Wiedergabe handelt es sich um ein Zwischenphänomen, bei dem sowohl Verweise auf die Stimme der Figur (zeit- und ortsbezogene Marker; Ausdrücke, die für die Sprache der Figur typisch sind, häufig in Form von Ausrufen oder Fragen) als auch auf die der Erzählerinstanz (Tempusform, Personalpronomen) in einem Textabschnitt zu finden sind. Eine Rahmenformel fehlt, wie in »das sah doch jeder« im Textexzerpt »Wenn sie ihn auf seine Beine stellten, ging er einfach nicht weiter. Dabei waren seine Beine ganz gesund, das sah doch jeder«.5 Eine weitere Kategorie ist die erzählte Wiedergabe, in der eine Sprachhandlung explizit als solche bestimmt wird, die aber keine Rahmenformel wie die indirekte Rede besitzt – exemplarisch lässt sich hierbei folgender Satz sehen: »Peter sprach mit seiner Mutter«.
Unterteilt werden diese vier Kategorien der Wiedergabe nochmals in Rede, Geschriebenes und Gedanken. Um ein Annotationsschema zu haben, auf das wir uns bei der Entwicklung der Apps stützen konnten, einigten wir uns auf ein einheitliches Benennungsschema der Kategorien: Die direkte Wiedergabe umfasst demzufolge die drei Hauptkategorien direct_speech, direct_writing und direct_thought, also jene Teile des Textes, welche die Stimme der Figur in verbaler, schriftlicher oder gedanklicher Form zitieren.6 Entsprechendes gilt für indirect_speech/thought/writing. Diese Formen bestehen typischerweise aus einer Rahmenformel sowie einem untergeordneten Satz, der das Wiedergegebene enthält. In der Regel steht diese im Nebensatz im Konjunktiv, jedoch gilt dies nicht als notwendiges Merkmal indirekter Wiedergabe. Es lassen sich drei Muster der indirekten Wiedergabe ausmachen: Rahmenformel (RF) + Nebensatz (NS) mit Verbzweitstellung (»Peter sagte, dass das Wetter gut sei.«), RF + NS mit ob/dass-Konjunktion oder w-Fragewort und RF + (erweiterter) Infinitivsatz (»Peter fragte, ob gutes Wetter sei.«).7 Auch die freie indirekte Wiedergabe lässt sich mittels dieses Schemas in die Kategorien free_indirect_speech/thought/writing einteilen. Martinez/Scheffel sprechen in diesem Fall von »autonomer direkter Figurenrede« bzw. »innerem Monolog«8 in Bezug auf Gedankenwiedergabe. Allerdings ließen wir diese Sonderformen bei der Entwicklung der App außen vor, damit sie nicht zu komplex wird.9 Die Form der Gedankenwiedergabe gilt als dem Horizont der Figur am nächsten, da durch das Weglassen der Rahmenformel sowie die fehlende Einmischung der Erzählerinstanz die Figurenstimme unverstellt repräsentiert wird. Letztlich findet auch die erzählte Wiedergabe in Form von reported_speech/thougt/writing ihren Platz in unserem Schema, die vor allem bei älteren Darstellungen häufig fehlt, da ihre Form stark dem Erzählertext gleicht und sie formal eher inhomogen ist.
MöglichkeitenDoch wie kann Gamification in Bezug auf Redewiedergabe praktisch umgesetzt werden? Diesbezüglich stehen wir an einem entscheidenden Punkt: Können ›Laien‹ spielerisch durch Gamification umfassende wissenschaftliche Aufgaben wie das Annotieren von Texten übernehmen?10 In Anbetracht der immensen Menge verfügbaren Untersuchungsmaterials wäre dies ein großer Gewinn für die Geisteswissenschaft: Heutzutage werden nahezu täglich 200-300 Neuerscheinungen auf dem deutschen Literaturmarkt veröffentlicht.
Das wollten wir nun in unserem Seminar praktisch umsetzen. Wir entwickelten App-Konzepte, die sich allerdings aufgrund technischer Schwierigkeiten noch nicht realisieren ließen.11 Dennoch sollen die Ideen unseres Seminars ausgeführt und exemplarisch dargestellt werden. Anhand unserer eigenen entwickelten App-Konzepte wurden die vielen Möglichkeiten der Gamification sichtbar, indem wir bereits bestehende Spiele als Anhaltspunkte wählten. So stellte das bekannte Spiel Candy Crush mit unterschiedlichen Level-Systemen exemplarisch die Grundlage für eine App dar. Daher haben wir entschieden, dass die NutzerInnen unserer App je nach Schwierigkeitsgrad mit unterschiedlichen Formen der Rede- und Gedankenwiedergabe konfrontiert werden sollen. Folglich war das Spielprinzip von Candy Crush der Ausgangspunkt für den Ablauf der App. Dadurch wollten wir herausfinden, welche/r VerfasserIn wann und wie oft welche Form der Redewiedergabe benutzt, um daraus Schlüsse auf den persönlichen und zeitspezifischen Schreibstil zu ziehen.
Im Verlaufe des Projekts wurden weitere Möglichkeiten der Anwendung von Gamification sichtbar. So entstand die Überlegung, den didaktischen Mehrwert zu nutzen, der aus der Verbindung von Gamification und der Annotation von Redewiedergabe entsteht und etwa interessant für den Einsatz an Schulen sein könnte. Die spielerische Komponente könnte SchülerInnen dabei helfen, Rede- und Gedankenwiedergabe erkennen zu lernen, indem das Bearbeiten von verschiedenen Schwierigkeitsstufen einen produktiven Wettbewerb abseits der Notenvergabe hervorruft. Hierbei wird ein eventueller Fehler sofort offensichtlich. Sie verspricht damit außerdem einen sichtbaren Lernprozess, sodass SchülerInnen ihren eigenen Fortschritt erkennen können. Das Erreichen eines höheren Levels wird dabei mit dem Erwerb von verschiedenen Eigenschaften belohnt, wie z.B. die Möglichkeit, seinen Avatar zu verbessern.
Das soll auch der Motivation derjenigen SchülerInnen dienen, die sich für Literatur und Textanalyse eher weniger interessieren. Die Anreize können technisch visualisiert werden; auch lassen sich Bezüge zu beliebten Freizeitaktivitäten herstellen. Die App ermöglicht es den SpielerInnen außerdem, sich gegenseitig zu helfen, wodurch der Austausch innerhalb einer Gruppe gestärkt werden kann. Es entsteht also ein soziales Netzwerk, in dem sich die SpielerInnen unterstützen oder je nach individueller Entscheidung auch in einen Wettbewerb treten können.
Bei der Entwicklung der App-Konzepte sind wir an einige Grenzen gestoßen, was für die Entwicklung von Gamification-Ansätzen in der Forschung und (schulischen) Lehre wichtig ist. Das größte Hindernis lag dabei in der praktischen Umsetzung der theoretischen Ideen, die durch die Komplexität unserer Konzepte erschwert wurde. Im Unterschied zur Gamification einfacher Aufgaben (wie Buchstaben- oder Satzteil-Erkennung) stellte sich die Redewiedergabe als ein Gegenstand heraus, der trotz eines formalisierten Annotationsschemas zu komplex war, um im Rahmen eines Seminars eine funktionierende App zu entwickeln. Problematisch war dabei vor allem, dass das Layout und die Grafik eine klare und einfache Struktur vorweisen und den BenutzerInnen angezeigt werden mussten. Gleichzeitig sollte aber auch der spielerische und informatische Rahmen mit den inhaltlichen Zielen zusammenpassen. Wir erkannten, dass die äußere Gestaltung und der inhaltliche Aufbau nur schwer zu verbinden waren. Nicht ohne Grund erforderten bestehende Gamification-Projekte wie Beanstalk oder Smorball recht teure Phasen der Konzeption und Programmierung und können doch nur für sehr einfache Vorgehen (wie die Korrektur von Buchstabenfolgen für OCR) eingesetzt werden.
Für unser spezifisches Forschungsthema, die Annotation von Rede- und Gedankenwiedergabe, fanden wir zudem Folgendes heraus: Momentan liegt eine der größten Schwierigkeiten darin, dass bislang eine mit narratologischen Informationen angereicherte Textgrundlage fehlt. Es ist noch kein ausreichend großes, bereits auf Redewiedergabe untersuchtes und vor allem valide annotiertes Textkorpus vorhanden. Eine App muss den BenutzerInnen aber eine Vielzahl an (intern bereits validierten) Beispielen und Aufgaben präsentieren können, die sich aus dem »goldstandard«, also der korrekten Annotation eines bereits bearbeiteten Korpus, speisen müssten, um die Eingaben von NutzerInnen zu überprüfen.
An dieser Stelle ist es auch wichtig, Schwierigkeitsgrade zu definieren, um nicht von den Spielregeln der Gamification abzuweichen: Die SpielerInnen sollen motiviert werden, was bei einem unangemessenen Schwierigkeitsgrad schwer möglich ist. Die NutzerInnen sollten durch die App lernen, alle Typen von Redewiedergabe zu erkennen und sicher identifizieren zu können, wofür diese Typen erläutert und anhand von Textbeispielen veranschaulicht werden müssen. Außerdem muss darüber Klarheit herrschen, an welcher Zielgruppe sich eine solche App orientiert, denn danach richtet sich, wie sie aufgebaut sein muss, ob das Hauptaugenmerk auf dem Erlernen und Erkennen der einzelnen Redewiedergabetypen oder auf dem Spaß an der Benutzung der App liegt. Legt man den Fokus auf den Lernprozess, sind evtl. Institutionen wie die Schule oder die Universität die bevorzugte Zielgruppe, womit der Kreis der potenziellen BenutzerInnen stark begrenzt wäre. Eine App, die den Spaß in ihren Mittelpunkt stellt, spricht hingegen eine breitere Masse an, worunter allerdings der Lerneffekt leiden könnte. Es gilt also, ein gesundes Mittelmaß aus Spielen und Lernen bzw. Aufgabenkomplexität zu finden, um eine Gamification-App für eine möglichst breite Masse interessant zu machen.
FazitAus dem Versuch der Entwicklung einer App zur gamifizierten Annotation von Redewiedergabe konnten wir einige vielversprechende Erkenntnisse ziehen: Vor allem bezogen auf die Anwendung einer App im didaktischen Bereich konnten wir neue Eindrücke gewinnen, da so eine Vielzahl von SchülerInnen miteinbezogen werden konnte. Weiter könnte eine Vermittlung im digitalen Bereich stattfinden. Allerdings befindet sich das neue Forschungsgebiet der Digital Humanities noch in den Startlöchern, was vor allem daran deutlich geworden ist, dass es in unserem Fall nicht an Konzeptideen fehlt, sondern an einem bereits annotierten Textkorpus. Des Weiteren brachte uns die Komplexität der vorgestellten Apps an konzeptuelle und auch technische Grenzen, die wir bislang noch nicht überwinden konnten. Hier bietet sich sicherlich ein ›einfacherer‹ Untersuchungsgegenstand (wie Wortartenerkennung) oder auch die Beschränkung auf nur einen Typus der Redewiedergabe (wie z. B. indirekte Rede) an. Es bedarf sicher noch weiterer intensiver Forschung in diesem Bereich. Rückblickend hat unser Seminar wichtige Lücken für die weitere Forschung aufgezeigt, die es in Zukunft zu füllen gilt.