Es ist der zweite Roman der Kalifornierin und der erste, der auf Deutsch erscheint. Julie Otsukas Wovon wir träumten handelt von der Suche nach einem besseren Leben, die im Albtraum von Ackerarbeit und Pearl Harbor mündet.
Von David Swiderski
Sie lernten, dass manche Menschen unter einem glücklicheren Stern geboren werden als andere und dass in dieser Welt nicht immer alles nach Plan verläuft. Trotzdem träumten sie.
Einfühlsam und teilnahmsvoll erzählt die US-amerikanische Schriftstellerin Julie Otsuka, 50, in ihrem neuen Roman Wovon wir träumten von hoffnungsvollen Träumen und Erwartungen japanischer Einwanderinnen, die zu Beginn der 1920er Jahre ihr Heimatland Japan verließen und nach Amerika kamen. Es ist der zweite Roman der Kalifornierin und der erste, der auf Deutsch erscheint. Ihr Debütroman When the Emperor was Divine wurde 2002 in den USA publiziert. Zudem gewann sie im Jahre 2012 unter anderem den PEN/Faulkner Award und war unter den Finalisten des National Book Award vertreten.
Zu Recht wird Otsuka mit Preisen überschüttet, denn sie kreiert trotz der knapp 160 Seiten ein großes und zugleich zartes Werk voll mit Optimismus und der Aussicht auf ein besseres Leben. Dank der sprachlichen Emotionalität und der anrührenden Erzählweise spürt man von der ersten Sekunde an, in welch großartigem literarischen Kosmos man sich befindet. Ihre poetischen, fesselnden und eindringlichen Sätze versprühen eine Kraft, der man sich nicht entziehen kann. So wird sich ihr Buch als eindrucksvolles Kunststück in die interkulturelle Literatur einreihen.
Julie Otsuka will keine Einzelschicksale abbilden, sondern erzählt, atemlos, immer in der Wir-Perspektive und schafft damit ein bedrückendes Kollektivschicksal. Mit »Wir« sind zahlreiche junge Japanerinnen gemeint, die um 1920 mit einem Schiff von Japan nach Amerika reisen, in der Hoffnung dort ein besseres Leben zu finden – ein weniger entbehrungsreiches Leben als das, das sie hinter sich lassen.
Viele von ihnen sind zum Zeitpunkt der Reise noch minderjährig und jede hat in ihrem Leben bereits Elend und Leid erleben müssen, jede von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen. Obendrein kennen sie ihre zukünftigen Ehemänner nur von Fotos japanischer Heiratsvermittler – was sie erwartet und was ihnen die Zukunft bringt, können sie nicht wissen, doch es erscheint so als sei alles besser als die Vergangenheit.
Nachts träumten wir von unseren Ehemännern. Wir träumten von neuen Holzsandalen und von endlosen Stoffrollen mit Indigoseide und davon, eines Tages in einem Haus mit Kamin zu wohnen. Wir träumten, wir seien anmutig und groß. Wir träumten, wir seien zurück in den Reisfeldern, denen wir so dringend hatten entkommen wollen.
Amerika ist für die Japanerinnen wie ein Versprechen. Ein Versprechen auf etwas Neues, auf etwas Besseres, auf eine Zukunft ohne Kummer und Armut – ungeachtet ihrer abstrakten, sehr naiven Vorstellungen von einem Leben in einem neuen Land. Doch als die Frauen in Amerika ankommen, macht sich Ernüchterung und Enttäuschung breit. Ein bitterer Moment der Erkenntnis kommt auf, dass das Leben in Amerika den Träumen und Vorstellungen nicht standhalten kann. Denn statt wie auf den Fotos auf halbwegs gut aussehende Männer zu treffen, begegnen ihnen Kerle mit »Wollmützen und schäbigen schwarzen Mänteln«. Der Traum zerplatzt. Anstelle von Zufriedenheit kommt Frustration auf und anstatt bequem im Warmen vor dem Kamin zu sitzen wird Ackerarbeit geleistet.
Julie Otsuka schafft mit Wovon wir träumten einen stilistisch großartigen Roman, der vor allem wegen seiner außergewöhnlichen Perspektive zu überzeugen weiß. Dank der Wir-Form wird man in einen starken Sog hineingerissen und nicht mehr losgelassen. So beginnen immer wieder Sätze mit »einige von uns« oder »die meisten von uns«, die ein gemeinsames Schicksal vor Augen führen. Mit solch vielen Stimmen wird eine unheimliche Fülle und Vielfalt geschaffen und eine Intensität erreicht, die beim Lesen unter die Haut geht.
Das tragische Unglück der japanischen Frauen, die alleine in ein unbekanntes Land auswandern, dessen Sprache sie nicht sprechen und dessen Kultur ihnen unbekannt ist, berührt und erschüttert zugleich. Heimweh ereignet sich auf unterschiedliche Art und es stellt sich die Frage, wie es wäre, die eigene Heimat für einen fremden Mann zu verlassen.
Julie Otsuka stützt sich auf wahre Ereignisse und zeigt als Autorin, dass sie mit viel Sorgfalt und Deutlichkeit ans Werk geht. Echte Schicksale werden erzählt und man merkt den Stimmen und Geschichten an, dass sie glaubwürdig und sorgfältig recherchiert sind. So kann man die im Nachwort aufgelisteten Quellen einsehen, auf die sie sich bezogen hat. Wovon wir träumten hat viele Leser verdient, denn wer mit einer solchen Weisheit und wunderschönen Sprache ans Werk geht, sollte beachtet werden. Julie Otsuka gibt den japanischen Einwanderinnen eine Stimme und setzt ihnen ein Denkmal.