Viele Menschen finden Geschichte langweilig. Schuld daran sind wohl weniger die Geschehnisse selbst, sondern mehr die Art ihrer Vermittlung. Anders als in vielen erschienen Sachbüchern über Geschichte, beweist Rebecca Gablé den Lesern ihres Buches Von Ratlosen und Löwenherzen. Eine kurzweilige, aber nützliche Geschichte des englischen Mittelalters, dass es auch anders geht. Gablé ist vor allem durch ihre historischen Romane bekannt. Viele dieser Romane spielen im Kontext des englischen Mittelalters. Doch statt eine fiktive Geschichte über 1.000 Seiten zu schreiben, skizziert sie in diesem Buch 1.000 Jahre englische Geschichte auf 240 Seiten.
Von Frank Hoffmann
Anders als im angelsächsischen Raum, gibt es in Deutschland, zumindest im geschichtswissenschaftlichen Bereich, kein großes Angebot an populärwissenschaftlichen Büchern. Die meisten Historiker schrecken wohl davor zurück, wenn es darum geht, historische Fakten leicht verständlich für den interessierten Laien zugänglich zu machen. Allem Anschein nach haben die meisten Historiker Sorge um ihren akademischen Ruf, wenn sie populärwissenschaftliche Bücher veröffentlichen, die nicht alle wissenschaftlichen Standards erfüllen. Umso naheliegender, dass Rebecca Gablé keine Historikerin ist, sondern Literarturwissenschaft, Sprachgeschichte und Mediävistik studiert hat.
Das Buch Von Ratlosen und Löwenherzen handelt vom englischen Mittelalter, angefangen von der angelsächsischen Besiedlung Britanniens bis zu den Rosenkriegen. Die Kapitel sind gegliedert nach den Dynastien auf dem englischen Thron, d.h. von den Angelsachsen über die Normannen, die Plantagenets, die Lancasters bis zu den Yorks.
Die Arbeit wird als Sachbuch deklariert, doch der Leser muss sich keine Sorgen machen. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um ein trockenes Geschichtswerk aus einem Schulkompendium, sondern eher um einen Roman mit mutigen Lichtgestalten aber auch fiesen Bösewichten. Diese Rollen übernehmen die historischen Persönlichkeiten.
Das Buch erschien 2008 im Bastei Lübbe Verlag und wurde überwiegend positiv aufgenommen. Mit salopper Sprache beschreibt Gablé die englische Geschichte und beweist eindrucksvoll, dass das finstere Mittelalter mitunter gar nicht so finster war, wie viele denken, was sie mit viel Witz und Ironie unter Beweist stellt. Bei dem einen oder anderen Leser könnte dieser genreuntypische, unmanierliche Schreibstil allerdings auf Ablehnung stoßen.
Eine kleine Kostprobe:
Im Frühling und Sommer des Jahres 1142 ruhte der Bürgerkrieg, weil sowohl Stephen als auch Matilda wochenlang krank waren. Das liest sich ein bisschen merkwürdig in den Chroniken; fast so, als hätten die beiden die Nase gestrichen voll gehabt von diesem end- wie ergebnislosen Gezerre um die Krone, welches sie da auf den Rücken der schwer geprüften Engländer austrugen, und deswegen beide irgendwelche psychosomatischen Zipperlein entwickelten. Vielleicht war’s so.
Für Personen, die bereits Kenntnisse über das englische Mittelalter haben, mögen diese Darstellungen nicht detailliert genug und vielleicht zu trivial sein. Doch für thematisch Unbewanderte, die einen Überblick über die Epoche gewinnen wollen, ist die Länge der Ausführungen ideal.
Die Autorin ergreift auf erfrischende Art und Weise Partei, welche Persönlichkeiten der Geschichte sie für großartig bzw. furchtbar hält. Dabei überlässt sie dem Leser kaum eine andere Deutung der Geschichte als die ihrige. So wird die Jeanne d’Arc als Psychopathin und Richard III. als Monster bezeichnet. Dies sind natürlich Sichtweisen auf historische Persönlichkeiten, die man diskutieren kann und die keineswegs allgemeingültig sind. Doch muss die Geschichte, damit sie unterhält, zwangsläufig subjektive Einschübe beinhalten. Gablé ist sich ihrer unorthodoxen Herangehensweise natürlich bewusst und verweist ausdrúcklich darauf, dass dies eben kein klassisches Geschichtsbuch ist. Die Balance zwischen ernsthafter Geschichtsschreibung und unterhaltsamer Erzählung gelingt, wobei, so wird sie nicht müde zu betonen, sich ihre Äußerungen gleichwohl auf Quellen wie auch auf historische Fakten stützen.
Und was war mit Robin Hood?, werden Sie fragen.[…] Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Dieser Robin Hood hat in einem seriösen Geschichtsbuch nichts zu suchen. Das hier ist kein seriöses Geschichtsbuch, werden Sie einwenden. Mag sein, aber es ist jedenfalls ein Buch, das sich auf die belegbaren Fakten beschränkt, halte ich dagegen, und dazu gehört Robin Hood leider nicht.
Ihre Haltung zu den Königen und den anderen historischen Persönlichkeiten spiegelt sich ebenso stark auch in ihren historischen Romanen wider. Dabei fällt auf, dass ihr typischer Schreibstil, den sie in den Romanen pflegt, erstaunlicherweise bei weitem nicht so salopp ist, wie in diesem Sachbuch.
Dieses Buch vermittelt dem Leser nicht nur einen Eindruck von der Epoche, sondern es regt zudem auch an, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Es schließt daher eine aus meiner Sicht schmerzlich empfundene Lücke – bitte mehr davon.