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Frischblut

Gruselstimmung in der Gruft: Gemeinsam mit dem Literarischen Zentrum Göttingen lud das Junge Theater die Kenner der Blutsauger-Szene ein. Über die Problematik des Übersetzens, den gruseligen Grafen Dracula und die Vampirforschung sprach die NDR-Redakteurin Margarete von Schwarzkopf mit dem Mythenforscher Hans Meurer und dem Dracula-Übersetzer Andreas Nohl.

Von Irene Aceituno

Anlässlich des 100. Todestages von Bram Stoker sind im Frühjahr 2012 zwei Neuübersetzungen seines Romans Dracula erschienen. Ulrich Bossier hat für den Reclam-Verlag den mittlerweile recht alt anmutenden Text in flüssiges und modernes Deutsch übertragen, während Andreas Nohl in seiner Version für Steidl einen Schritt weiter gegangen ist. Nohl hat die ›stilistischen Schwächen‹, die die Forschung Stoker des Öfteren attestiert, sorgfältig überwunden. Darf ein Übersetzer eine solche Aufgabe in Angriff nehmen?

Altmodische Sofas, große weiße Kerzen auf dem Boden, ein enormer roter Vorhang im Hintergrund und ein schwarzer Sarg in der Ecke bilden die perfekte Szenerie für das Gruseln. Die NDR-Redakteurin Margarete von Schwarzkopf stellt die Redner den zahlreichen Besuchern vor und das Spektakel beginnt. Bei melancholischer Musik geht das Licht langsam aus und die Schatten auf dem Vorhang übernehmen die Rollen von Jonathan Harker und Graf Dracula bei der Lesung einer der ersten Schlüsselszenen des Romans.

Diesmal konnte es kein Irrtum sein, denn der Mann stand so dicht bei mir, dass ich ihn mit einem Blick über die Schulter sehen konnte. Aber es gab kein Spiegelbild von ihm! (…) Das war beängstigend und es steigerte, zusätzlich zu den vielen anderen Merkwürdigkeiten, das schwer beschreibliche Gefühl des Unbehagens, das mich immer in der Nähe des Grafen befällt. Jetzt merkte ich, dass aus der Schnittwunde ein wenig Blut über mein Kinn rann.

Diese ersten Tropfen Blut eröffnen die Diskussion über den einzigen erfolgreichen Roman Stokers. Der Autor, der als Theaterleiter tätig war und sich abends seinen literarischen Schöpfungen widmete, hat in diesem Werk eine unsterbliche Figur erschaffen, in der Mythos und Realität sich vereinen. Sieben Jahre arbeitete er an seinem Roman und mehr als hundert Jahre später ist der Graf noch immer quicklebendig.

Zwischen Geschichte und Volksglaube

Mythologische Erzählungen und tatsächliche Ereignisse werden bei Dracula, dem Inbegriff des Vampirromans, gemischt. »Stoker wollte einen Vampirroman schreiben, aber anders«, sagt Hans Meurer. Schauermärchen, in denen sich die Menschen vor diabolischen, blutsaugenden Kreaturen fürchten, existieren seit langem in europäischen Kulturen und am Ende des 18. Jahrhunderts tauchen bei Bürgers Lenore und Goethes Die Braut von Korinth die ersten vampirischen Figuren in literarischen Werken auf. »Mit der Aufklärung werden diese mythischen Figuren zum Subjekt ernster Debatten«, erläutert Meurer, »die Forscher fragten sich nicht, ob diese Kreaturen existieren, sondern ob sie Gottes Geschöpfe waren«.

In den frühen 1890er Jahren begann Bram Stoker zu schreiben, als er in Whitby, einem kleinen Küstenort im Nordosten Englands, Ferien machte. Er las dort Bücher über die Geschichte Transsylvaniens und stieß auf den Fürsten Vlad III., der im 15. Jahrhundert lebte und sich selbst Dracula nannte. Berühmt wegen seiner Brutalität erhielt er den Beiname Vlad der Pfähler. Seine Geschichte gab dem Vampir-Stoff eine Glaubwürdigkeit, woran es den bisherigen Blutsaugererzählungen mangelte.

Buch-Info


Bram Stoker
Dracula
Roman
Neu übersetzt von Andreas Nohl
Steidl: Göttingen 2012
540 Seiten, 28,00 €

 
 
Meurer führt weiter aus, dass ein jüdisch-ungarischer Orientalist, Professor Arminius Vámbery, zu Stokers Kenntnissen über den Fürst und Transsylvanien beigetragen habe und betont, dass neben den historischen Bezügen auch die Elemente des Volksglaubens eine wichtige Rolle in dem Roman spielen. Der Mythenforscher, präzise in seiner Wortwahl, erklärt, dass die Mittel, die gegen Vampire in dem Roman benutzt werden – wie zum Beispiel der Knoblauch oder das Kreuz – mehr mit Tradition als mit Aberglaube zu tun hätten: Die Heilpflanze vertreibt die Gespenster durch seinen starken Geruch und ein einfaches Kreuz (nicht das Kruzifix) ist ein altüberliefertes Lichtsymbol.

Die Moderatorin lenkt das unterhaltsame Gespräch geschickt zur Rezeption des Romans und der Übersetzer deutet auf die gute Aufnahme, die der Roman bei seiner Erscheinung erhielt, hin. Nohl erklärt, dass der Text zu seiner Zeit keinen Skandal aufgrund seiner Erotik verursachte und versucht damit, das Klischee der extremen Prüderie der viktorianischen Gesellschaft zu entkräften.

Meurer weist weiterhin auf die Ambivalenz der Gestalt Draculas hin. Er erläutert, warum der Graf sowohl am Anfang des 20. Jahrhunderts als auch heutzutage, Faszination erregt. Die Ursache ist, dass der Vampir zugleich Verkörperung des Bösen und tragischer Verführer sei und dadurch sexuelle und Angst-Projektionen beim Leser entwickelt werden. Um seine These zu verstärken, deutet der Forscher auf die geringe Präsenz des Grafen in dem Roman hin: Er erscheint in wenigen Szenen, da das wichtigste nicht die Figur an sich, sondern die Phantasie über sie sei.

Bemerkenswert ist nicht nur die Figur des melancholischen Grafen, sondern auch die Personen, denen er in London begegnet. Ein Beispiel dafür sind Dr. Seward, der in die Vampirin Lucy verliebte Psychiater und sein zoophager Patient Renfield, Sklave Draculas. In dem zweiten Schattenspiel wird ein Gespräch zwischen beiden Figuren inszeniert, in dem die ausgezeichnete Interpretation des düsteren Renfields zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend das Publikum erschauern lässt.

Literatur ernst nehmen

Andreas Nohl lenkt das Gespräch auf die Figurenkonstellation, die Stoker in seinem Roman entwickelt hat und auf seine schreibtechnischen Schwächen. Der Ire wird oftmals als stilistisch unbegabt bezeichnet und Dracula wurde schon immer von Feingeistern stark kritisiert und als Trivialliteratur abgetan. Viele bezeichnen seinen aus Tagebucheinträgen und Briefen bestehenden Gruselroman als Zufallstreffer unter einer Reihe trashiger Kolportageromane.

Nohl zufolge begeht der Autor zwei essenzielle Fehler: »Stoker war ein Theatermann und viele Szenen sind wie Theatertableaus gebaut. Das kann man erzählerisch flüssiger gestalten. Entscheidend ist auch, dass bei Stoker viele Figuren sprechen, deren Stimmen sich teilweise nicht unterscheiden«. Nohl hebt in seiner Rede den handwerklichen Aspekt der literarischen Übersetzung hervor und erklärt, wie er am Text an diversen Stellen geschraubt hat. Beachtenswert ist hauptsächlich seine Übertragung von Professor Van Helsings einzigartigem Idiolekt. Im Original spricht der holländische Wissenschaftler eine Mischung zwischen Slang und Hochsprache, die in ihrer Inkonsistenz komisch wirken sollte. Dies ist, nach der Meinung Nohls, Stoker nicht gelungen, ihm als Übersetzer hingegen schon. »In der Neuübersetzung spricht Van Helsing normales Deutsch mit idiomatischen Fehlern. Er sagt zum Beispiel »Sie sind ein glücklicher Pilz« anstatt »Glückspilz«.

Auch den anderen Figuren verleiht er einen eigenen Ton und der Grund dieser Veränderung ist nicht nur stilistischer sondern auch inhaltlicher Natur, da das Ensemble von Draculas Gegnern entscheidend für die Interpretation des Romans ist. Der Kampf zwischen der englischen Funktionselite (Rechtsanwalt, Psychiater, Adeliger und Pädagogin) und dem Mythisch-Bösen, beziehungsweise zwischen der vernunftgeprägten Welt und dem Ungeheuer, ist für den Übersetzer der wesentliche Grund, warum Stokers Roman trotz seiner stilistischen Schwächen ein Klassiker der Literatur geworden ist. Nohl erklärt, dass ein Buch ein Klassiker wird, wenn es etwas erstmalig leistet (die Aufladung des Vampirmythos mit einer historischen Figur). Andreas Nohl hat in seiner belle infidèle etwas gemacht, was die deutschen Übersetzer von Dracula bisher nicht wagten, nämlich den Text ernst zu nehmen und wurde somit von den Kritikern hoch gelobt.

Schlussendlich haben alle, Redner und Zuschauer, gelernt, Stokers Vampirroman ein bisschen ernster zu nehmen. Nur die künstlerische Leitung und das Ensemble haben die Möglichkeiten des Schattenspiels nicht optimal ausgenutzt. Stammeln und ein kurzer Lachanfall sind einige Beispiele einer nicht sehr gelungenen Mise en Scène. Außerdem hätte Lucy Westenras Auftritt mit dem bedrohlichen und verführerischen Satz »Komm zu mir Arthur. Komm, lass uns gemeinsam ruhen. Komm, mein Gatte, komm!« etwas mehr szenische Kraft gewonnen, wenn sie ohne abzulesen aus dem Schatten aufgetaucht wäre.

Auch wenn Theaterglanz strahlender sein kann: Die vortreffliche Textauswahl und das aufschlussreiche Gespräch machen den Abend zu einer gelungenen Veranstaltung. Die Moderatorin entlässt das Publikum in »eine ruhige Nacht ohne Begegnungen mit blutsaugenden Kreaturen«. Doch Meurer macht Mut: »Wenn man so viel über Vampire weiß, braucht man keine Angst haben!«



Metaebene
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 Veröffentlicht am 6. März 2013
 Bild mit freundlicher Genehmigung des Literarischen Zentrums Göttingen
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