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Kommentar
Geschichten über Flüchtlinge

Daniela Lottmann hat sich in den hohen Norden aufgemacht und kommentiert das dortige Treiben für das Pinneberger Tageblatt. Auf Facebook machte sie kürzlich auf ihre Erfahrungen mit der aktuellen Flüchtlingssituation aufmerksam. Ein nachdenklicher, ehrlicher, einfühlsamer Post, den wir Euch nicht vorenthalten wollen.

Von Daniela Lottmann

Ich erzähle gerne Geschichten. Nur deswegen habe ich die Sache mit dem Journalismus überhaupt angefangen. Als Lokalkolumna habe ich viel mit dem Thema Flüchtlinge zu tun. Viele Geschichten konnte ich nicht erzählen. Der Platz fehlt. Manchmal auch das Interesse. Hier schreibe ich sie trotzdem auf. Alle Geschichten wurden erzählt, aufgeschnappt oder beobachtet in der Region Pinneberg – Schenefeld – Elmshorn. Gesprochen habe ich mit Ehrenamtlichen, Politikern, DaZ-Lehrern und Flüchtlingen selbst.

Morgens ist es sehr kalt. Es friert. Der Junge hat aber keine dicke Jacke. Die Lehrer sagen, er ziehe halt vier Jacken übereinander an. Socken hat er gar keine.

Es ist ein hoher muslimischer Feiertag. Der Junge will nicht in die Schule. Das musste er Zuhause auch nie. Die Ehrenamtlichen schimpfen. In Deutschland herrscht Schulpflicht.

Nur für eine Person gibt es genug Geld für die Flucht. Aber der Familienvater will seine Frau und sein Kind nicht alleine lassen. Er verkauft eine Niere.

Autorin

Daniela Lottmann studierte bis 2013 Kunstgeschichte und Deutsche Philologie in Göttingen und arbeitete im Anschluss als Feuilletonistin beim Göttinger Tageblatt, betreute die Öffentlichkeitsarbeit an der HAWK und war als Wissenschaftliche Hilfkraft redaktionell bei Litlog tätig. Neben Kunstkritiken und Konzertbesprechungen richtet sich ihr journalistischer Blick auch auf die kleinen Geschichten, die das Leben in einer Kleinstadt so liebenswert machen. Seit Oktober 2015 schreibt sie für das Pinneberger Tageblatt und die Elmshorner Nachrichten.
 
 
Ein Junge stinkt. Sein Lehrer spricht ihn darauf an. Der Junge sagt, im Lager gebe es nur wenig Duschen. Die Erwachsenen lassen ihn nicht daran. Der Lehrer besorgt ein Handtuch. Der Junge duscht in der Schulsporthalle.

Ein Mann weiß, wie sein Dorf heißt, wer die Guten und wer die Bösen dort sind. Er kennt auch den Namen der Region. Aber er weiß nicht, zu welchem Land die Region gehört.

Ein Mann sagt, seine Muttersprache sei Persisch. Aber er will nie wieder ein Wort in dieser Sprache sprechen. Er wurde gequält. Er will in seinem ganzen Leben nur noch Deutsch sprechen.

Der Lehrer will das Thema Nachbarländer im Unterricht durchnehmen. Aber einige Kinder wissen nicht, was ein Land ist. In der nächsten Stunde bringt der Lehrer einen Globus mit. Einige Kinder wissen nicht, dass die Erde eine Kugel ist.

Eine Mutter beschwert sich, dass Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden. Der Lehrer sagt, das sei nunmal so üblich. Die Mutter zetert. Der Vater steht auf und schlägt der Mutter ins Gesicht.

Lehrerin einer DaZ-Grundschulklasse sagt, dass morgen B.s letzter Tag sei. »Muss B. zurück nach Albanien?«, fragt ein Junge. Die Kinder haben alle paar Wochen neue Klassenkameraden. Manche werden wieder abgeschoben. Das finden die Kinder normal. Aber B. spricht so gut Deutsch, dass er nach den Ferien in eine normale Klasse darf.

Ein Mann will seinen Namen nicht sagen. Er will nicht in der Zeitung stehen. Dann könne man ihn finden.

Ein Man wurde in den Zug gesetzt. Er solle sich in Elmshorn bei der Ausländerbehörde melden. Er bekommt keine Adresse. Er weiß nicht, welchen Bus er nehmen soll. Er kann die lateinische Schrift nicht lesen und die deutsche Sprache nicht sprechen. Er steht stundenlang am Bahnhof und spricht Menschen an, von denen er glaubt, sie könnten ihn verstehen. Es ist spätnachmittags. Er weiß nicht, wo er heute schlafen kann.

Einer Familie wird eine Wohnung zugeteilt. Darin stehen nur Möbel. Sie müssen Essen und Seife kaufen. Die Erwachsenen trauen sich nicht alleine. Die Kinder sind sehr müde. Die Erwachsenen lassen die Kinder alleine. Das Jüngste ist drei Monate alt.

Lehrerin bittet Vater zum Gespräch. Vater will nicht mit ihr reden. Weil sie eine Frau ist.

Ein Junge hat Probleme, sich an Regeln zu halten. Die Lehrerin spricht mit dem Vater. Der sagt, dann solle sie ihn schlagen. Die Lehrerin muss erklären, dass das in Deutschland nicht geht.

In der Klasse sitzt ein polnisches Mädchen. Nachmittags bekommt sie Privatunterricht, damit sie die Sprache schneller lernt. Daneben sitzt ein Kind aus Afghanistan. Es ist elf Jahre alt und kennt die Buchstaben nicht.

Menschen rufen beim Stadtrat an. Die Syrer im Haus trennen ihren Müll nicht richtig.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 4. November 2015
 Kategorie: Misc.
 grenzwertig von micagoto via Flickr
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