Im ersten Märzwochenende zeigte die glamouröse Welt der Bewegtbilder ihre zwei Gesichter: als einer der größten Namen des europäischen Kinos unsere Welt verließ, kamen am anderen Ende der Erdkugel neue Stars zu neuem Ruhm. Ein kritischer Blick auf die Oscar-Verleihung 2014.
Von Vânia Morais
Alain Resnais (03.06.1922 – 01. 03. 2014), bekannt für Filme wie Nacht und Nebel (1955), Hiroshima, mon amour (1959) und Das Leben ist ein Chanson (1997), starb im Alter von 91 Jahren noch vor der Premiere seines letzten Films Life of Riley (2014). Gleichgesetzt wurde er nicht selten mit großen Regisseuren der französischen Nouvelle Vague wie Jean-Luc Godard oder François Truffaut. Alain Resnais vermochte es, eine ganz besondere Welt zu erschaffen, die in intimer Verbindung zu seinen Figuren, Räumen und Zeiten stand. Während sein kunstvoller und transgressiver Stil bei den größten europäischen Filmfestivals hoch gepriesen wurde (so gewann er den Goldenen Löwen beim Filmfestival von Venedig 1995 und den Silbernen Bären bei der Berlinale im Jahr 1998), schaffte er nie den Sprung auf die andere Seite des Atlantiks.
Und so überraschte es wenig, dass die am meisten erwartete Film-Preisverleihung Amerikas in der Rubrik »in Memoriam« keinen Platz für Resnais fand. Umso mehr Platz aber gab es bei der bezaubernden Gala der Oscar-Verleihungen im glamourösen Dolby-Theater in Los Angeles für neue Gesichter, neue Möglichkeiten und neue Perspektiven.
Political correctness und gigantische Special EffectsZunächst sei hier natürlich der neue Film von Steve McQueen erwähnt: 12 years of slave bekam allein drei Preise (Bester Film, Beste Nebendarstellerin und Bestes adaptiertes Drehbuch) und schrieb damit Geschichte, denn zum ersten Mal seit der Verleihung der Oscars wurde mit Steve McQueen ein schwarzer Regisseur mit dem begehrtesten Preis der Nacht ausgezeichnet. Die rührende Geschichte von Solomon Northup, der 1841 in Amerika als schwarzer Sklave verkauft wurde und zwölf Jahre als Sklave (über)lebte, galt bereits in den Prognosen zur Oscar-Verleihung als ein sehr aussichtsreicher Kandidat für die goldene Statue. Wenngleich filmästhetische Elemente wie Schnitt oder Soundtrack, im Gegensatz zu McQueens Shame (2011) oder Hunger (2008), diesmal nicht so stark in den Vordergrund treten, gab es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die große soziale Ernsthaftigkeit sowie die aktuelle politische Relevanz des Films die Academy begeistern würde.
Die meisten goldenen Statuen erhielt jedoch Alfonso Cuaróns 3D-Weltraum-Thriller Gravity, der sieben Preise, vor allem in den filmtechnischen Rubriken (u.a. Beste Regie, Bester Schnitt und Beste visuelle Effekte), sammelte. Political correctness und gigantische Special Effects waren zur 86. Oscar-Verleihung erneut die Gewinner des Abends.
Ganz in diesem Sinne bekam auch Dallas Buyers Club, im Kontext der gegenwärtigen Debatten um die Akzeptanz sexueller Vielfalt, für seine aufwühlende Geschichte eines an HIV erkrankten Mannes, der sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt, die goldene Statue: sowohl für den Besten Hauptdarsteller, Matthew McConaughey, als auch für den Besten Nebendarsteller, Jared Leto, dessen Rolle als Transvestit in den Medien nicht ohne Kritik ausführlich diskutiert wurde.
Vermutlich waren die größten Enttäuschungen des Abends, dass sowohl American Hustle – der einer der größten Kinohits Amerikas war – als auch The Wolf of Wall Street mit leeren Händen ausgingen. Zu groß wäre vielleicht die Gefahr, mit der Auszeichnung solcher Anti-Helden wie dem charmanten Betrüger von American Hustle oder dem skrupellosen Börsenmakler von The Wolf of Wall Street das sozial-bewusste Bild der amerikanischen Academy zu trüben.
Auf dem Tellerrand gebliebenIn der Kategorie des Besten fremdsprachigen Films gewann die bereits mit dem EFA (European Film Award) ausgezeichnete Fellini-Hommage La grande Belleza. Zum 11. Mal durfte Italien diesen Preis mit nach Hause nehmen. Mit einem bemerkenswerten und zauberhaften Bild Roms erzählt Paolo Sorrentino eine grandiose Geschichte über das Dilemma des Altwerdens im Herzen Europas. Letztlich sei noch der lang erwartete neue Indie-Film von Spike Jonze, Her, erwähnt, eine skurrile Liebesgeschichte ganz im Sinne des intime Welten-Faibles des Regisseurs (Being John Malkovich (1999) oder Where the wild things are (2009)), der den Preis für das Beste Original-Drehbuch bekam. Her ist aber viel mehr als nur eine ohnehin schon außergewöhnliche Beziehung zwischen Theodore (Joaquin Phoenix) und Samantha (Scarlett Johansson), einer künstlich erzeugten Stimme in Theodores Computer. Jonze bietet darüber hinaus eine erschreckende und ernüchternde Parabel über Gebühr und Ertrag der Einsamkeit im 21. Jahrhundert an.
Es wird wieder einmal deutlich, dass die Oscars seit langem kaum mehr als eine Plattform des amerikanischen Mainstream-Kinogeschäftes sind, die nur selten über den eigenen Tellerrand schauen. Und so werden selbst vielversprechende amerikanische Filme wie Jonzes Her, dessen ästhetisches Potential bezüglich Farbkomposition und sogar Soundtrack meiner Meinung nach nicht vollständig berücksichtigt wurde, oder Joel und Ethan Coens Inside Llewyn Davis bedauerlicherweise immer wieder in den Hintergrund gedrängt. Umso glücklicher sind wir, dass mittlerweile in Europa das französische Festival in Cannes sowie die deutsche Berlinale alljährlich Anstöße dahingehend geben, was das Kino heute noch sein kann.