Der Pariser Literaturprofessor Pierre Garraud und seine Frau Elisabeth erwarten den engsten Familienkreis zu einem behaglichen Abendessen. Als aber Elisabeths Bruder Vincent den ungewöhnlichen Namen seines ungeborenen Sohnes enthüllt, bröckelt das Familienidyll und setzt lang unterdrückte Aggressionen frei. Das Junge Theater in Göttingen begeistert mit der französischen Erfolgskomödie Der Vorname von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte.
Von Astrid Schwaner
»Du willst ihn wirklich Adolf nennen?«, fragt Pierre (Dirk Böther) seinen Schwager Vincent (Philip Leenders). »Das ist kein Vorname, sondern die Verherrlichung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit!« Darf man seinem Kind den Namen eines Diktators geben? Wenn nicht, sind dann auch Terroristen und Serienkiller tabu? Wo verläuft die Grenze?
Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.
Zum Glück ist der Gesamtton des Stücks komisch: Situationskomik und teils boshafte Wortwitze würzen die sprach- und gesellschaftskritischen Dialoge. Die Schauspieler des JT brillieren als talentierte Komödianten und potenzieren den Witz der Textvorlage mit Gesten, Grimassen und Sprachticks. Charmante Chansons, viel Wein und ein paar Zigaretten und natürlich la bonne cuisine bringen französische Leichtigkeit in die von ernsthaften bis todernsten Momenten durchsetzte Handlung. Nachdem sich auch ältere, von der deutschen Vergangenheit leidgeprüfte Zuschauer überzeugt haben, dass man sich in diesem Stück über den Namensstreit mit Geschichtsbezug amüsieren darf, lacht das Publikum vielmals aus vollem Halse.
Wutausbruch im IKEA-WohnzimmerDas textreiche Stück bietet auf der Bühne kaum Handlung und langweilt trotzdem nicht einen Augenblick. Unter der Regie von Max Claessen wurde die Textvorlage gekürzt und von den französischen Anspielungen und dem hektischen Sprechtempo des gleichnamigen Films (2012) befreit. Das Ensemble schafft es, die rapiden Wechsel extremer Emotionen glaubhaft darzustellen: Elisabeths Wutausbruch in wilden Sofasprüngen bringt Constanze Passin Szenenapplaus und auch in Momenten des Schweigens hält die Spannung. Mit Einfällen wie Elisabeths aggressiven Handkantenschlägen auf die Sofakissen schon vor dem Eintreffen der Freunde hebt sich die Göttinger Inszenierung erfindungsreich von der Filmvorlage ab.
Das Bühnenbild – eine kunterbunte Wohnzimmereinrichtung mit Sofaecke und Bücherregal – kommt für zeitgenössisches Theater wenig avantgardistisch daher. Es erinnert eher an ein IKEA-Kinderzimmer als an den Lebensraum der Pariser Bourgeoisie, am Bühnenrand liegen ein Pappmaché-Rennauto und ein Riesenstoffhase. Die scheinbar von den abwesenden Kindern im Wohnzimmer gelassenen Spielzeuge bezeichnen das Benehmen der Erwachsenen, die den Diskurs als Spielwiese betrachten, auf der sie sich am Ende des Abends sogar heftig prügeln. Man kennt die Freunde aus der Kindheit oft doch nicht so gut, wie man dachte. So hält das marokkanische Buffet für das bunt gemischte Publikum einige Überraschungen bereit und weckt Zweifel am versöhnlichen Ende.