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Glück im Konjunktiv

Präzise formuliert und mit lakonischem Witz: In seinem erzählerischen Debüt Erledigungen vor der Feier bringt der Bachmann-Preis-Träger Tilman Rammstedt einundzwanzig Erzählungen zu Papier, die voller Überraschungen stecken, sich aber vor allem um eines drehen: das Glück im Konjunktiv.

Von Alena Diedrich

Jetzt ist es so weit. Es soll jetzt gefeiert werden. Es muss jetzt endlich gefeiert werden. Jetzt sollen die Frisuren sitzen. Jetzt sollen die Gäste kommen. Jetzt soll die Musik einsetzen. Das Buffet ist eröffnet. Es soll jetzt endlich gefeiert werden. Der Anlass ist gegeben. Bringt Draußensachen mit. Bringt Badesachen mit. […] Jetzt soll gefeiert werden. Es ist Galaabend. Es ist die Nacht der Nächte, der Abschlussball, der Opernball, der Debütantinnenball, die Preisverleihung.

Euphorisch ist er häufig, der Ich-Erzähler in Rammstedts Erzählungen, doch bevor das Fest der Feste beginnt sind viele Hürden zu nehmen: »ja, ich weiß, da müssen Telefonnummern recherchiert werden, das gilt es, Adressen zu überprüfen, da muss man Bekannte von Bekannten von Bekannten fragen.« Man steht vor ungeahnten Problemen, haufenweise Papierkram, doch am schwersten zu überwinden ist immer das, was unter dem Terminus »innerer Schweinehund« allgemein bekannt ist. Die eigenen seelischen Befindlichkeiten sind bei größeren Vorhaben nicht zu unterschätzen, denn schnell stellt sich heraus, dass andere es immer besser machen und immer entschlossener sind als man selbst:

Hannes sagt: Über die Details können wir noch später reden, fangen wir erst mal an, und ich sage: Moment mal, jetzt gleich? Hannes zuckt mit den Schultern, er habe gerade nichts anderes vor, ich etwa? […] Hannes sieht mich an, was denn jetzt sei, fragt er. Okay, sage ich. Okay. […] Ich stehe auf, um etwas zum Schreiben zu holen. Hast du genug Papier, fragt Hannes. Ich glaube schon, sage ich.

Zu Papier bringt Tilman Rammstedt mit Erledigungen vor der Feier insgesamt 21 kurze Erzählungen. Gerade mal 126 Seiten umfasst die Sammlung, mit der der inzwischen doppelte Bachmann-Preis-Träger im Jahr 2003 debütierte, doch diese stecken durchaus voller Überraschungen. Rammstedt liebt das Fabulieren und fast schneller als man lesen kann steckt man schon Hals über Kopf in merkwürdigen Verstrickungen und strittigen Versionen einer Episode Eins oder ist verknotet im »Molekül-Spiel«. So ist es gar nicht überraschend, wenn der Erzähler in seiner Küche die Bekanntschaft mit einer Gruppe Fischer macht:

Jetzt fischen sie wieder in meiner Küche. […] Insgesamt sind es drei, der Alte, der Blonde mit der albernen Mütze und dann noch der Junge, der immer unruhig mit den Füßen wippt.

Sympathie für die drei traurigen Gestalten hat er schon, vor allem um den Jungen macht er sich sorgen.

Ich glaube nicht, dass er in seinem Leben schon einmal einen Fisch gesehen hat. Das ist unangenehm für einen Fischer. Das kann einem die Lust am Fischen verderben.

Doch Rammstedts Figuren sind Meister des stillen Rückzugs, des Ungetanen und Ungesagten. Es bleibt beim Unterlassen: »vielleicht frage ich, wie sie heute beißen. Petri Heil, rufe ich womöglich noch, wenn ich zurück in ein anderes Zimmer gehe.«

Buch-Info


Tilman Rammstedt
Erledigungen vor der Feier
Rowohlt/rororo Taschenbuch: Hamburg 2004
128 Seiten, 6,95 €

 
 
Rammstedts introvertierte Helden, wenn man sie denn so nennen möchte, kämpfen den Krieg der Generationen, reflektieren Liebe und Familie. Wie ein roter Faden durch die Erzählungen zieht sich die Beziehung des Erzählers zu L., mit der jede Jahreszeit bunt, aber auch alles zum Problem wird. Die Beziehung des Erzählers mit der stets nach dem Zwiebel-Prinzip gekleideten Winter-L. beginnt quasi aus dem Negativ heraus – in der Nacht »in der wir aufhörten, nicht miteinander zu schlafen«. Doch am komplexen zwischenmenschlichen Zeichensystem der Liebe kann man nur scheitern. Unsicherheit und unangenehmes Schweigen folgen den kurzen auch nur halbgeglückten Momenten: Küssen ist »auf jeden Fall einfacher als sich geküsst haben«.

Rammstedts Talent für lakonischen Witz und präzise Formulierungen ist bemerkenswert und unterhaltsam, nur ist das Thema der Erzählungen schnell erschöpft und kreist immer um die gleiche These: das Glück im Konjunktiv, das Glück als reine Hypothese. »Wie gerne wäre ich in meine Flötenlehrerin verliebt gewesen«, schwärmt der Protagonist der Kurzgeschichte Mundstück bevor er in wilde Spekulationen aufbricht, obwohl er es ja besser weiß, denn

Ich war nicht in meine Flötenlehrerin verliebt, nicht einmal ansatzweise, nicht einmal in Stunden größter Verzweiflung. Man verliebt sich nicht in Flötenlehrerinnen, höchstens in Klavierlehrerinnen oder Cellolehrerinnen. Das weiß man, davon hat man gehört.

Neben allen Konjunktiven steuert Rammstedts Geschichtensammlung schließlich auch noch zielsicher auf ein offenes Ende zu. Die Erzählung Erledigungen vor der Feier steht ganz als letzte in der Sammlung. Doch auch wenn wir als Leser der Feier selbst also nicht beiwohnen, danken wir herzlich für die wundervolle und kunstvoll zu Papier gebrachte Idee.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 29. Dezember 2010
 Kategorie: Belletristik
 Foto von HamburgerJung via flickr.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Franziska
 9. Februar 2011, 20:24 Uhr

Ein wunderbares Buch mit ganz wunderbaren Sätzen (Danke für die vielen Zitate)! Ganz wunderbar ist übrigens auch der Schutzumschlag der Hardcoverausgabe, den man zu einem Poster aufklappen kann. Auf der Rückseite befindet sich ein Körper, an dem “problematische” und “unproblematische” Körperstellen zu markieren sind…

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