Nach Herbert Hindringers Debüt biete bluterguss & suche das weite (2003) übt sich der gebürtige Passauer nun im Vierteltakt lyrisch bedruckter Seiten. Mit Distanzschule ist es ihm erneut gelungen, in seinen Gedichten das alltägliche Grau zum Leuchten zu bringen.
von Alena Dietrich
»In den Pfützen schwimmt Benzin / Schillernd wie ein Regenbogen«, schreibt Hindringer mit Reinhard Mey, und auch Hindringer gehört irgendwie zu den Liedermachern seines Genres. Doch ist es nicht Mey, der sich wie ein roter Faden durch die Zeilen zieht, vielmehr sind es oft leonhard-cohensche oder bob-dylaneske Bilder, die Hindringers sprachlicher Minimalismus heraufbeschwört: »wie flüchten mit dem letzten liter / benzin im tank noch den sonnenuntergang erreichen / es ist nicht wie weinen, es ist viel weniger / als das, es ist das letzte lied des tages«.
Doch »es gibt dinge im leben // die kann man beschreiben / aber nicht beschriften«, und so ist es auch eine eigene lyrische Klasse, in der Hindringer sich gekonnt bewegt. Seine Gedichte sind Geständnisse, die die Magie des Augenblicks beschwören: »so will ich also sein: ablagefläche für ein haar von dir / im wege stehen, wenn du niemanden etwas angehst / dranbleiben, wenn du dich ausziehst«. Sie sprechen von der Sehsucht, sich in der Liebe zu finden – und gleichzeitig darin zu verlieren sowie an den Ursprung alles Menschlichen zurückzukehren:
du bist der erste mensch
den ich kenne, der zum schlafen
die uhr nicht auszieht, sagtest du
hier bin ich richtig, wusste ich
weil mir die vorstellung gefiel
sowas wie der erste mensch zu sein.
Distanzschule weist auf das verborgene Zentrum hinter gesellschaftlichen Konventionen und Gewohnheiten. Der Band eröffnet einen neuen Raum auf dem zwischenmenschlichen Tanzparkett. Den Raum nämlich, der sich bei einer Begegnung zwischen zwei Menschen erschließt und der von Hindringer auf 127 Seiten für den nächsten Tanz frisch gebohnert wird. Immer geht es um das entscheidende Taktgefühl, um den Rhythmus, in dem das Leben und die Liebe sich treffen. Das Aufgeben von Distanz ist dabei immer Maxime. »Ich bin dir doch hoffentlich zu nahe getreten«, fragt der Sprecher der Gedichte und vermutet: »über den wolken / muss das wetter wohl hüllenlos sein.«
Doch immer steht im Hintergrund, ganz ohne Kitsch, der Wunsch nach Liebe, zu »wissen, was es heißt, zu zweit zu sein / ganz ohne den schatten eines allerletzten tages«. Diese Liebe kann voller Gewissheit auch durch alle Tiefen gehen und alle Hürden nehmen. Denn das ist das Schöne an der Liebe, dass sie letztenendes alles erlaubt, mal Engel, mal Teufel ist:
das letzte mal nackt, dass du anlauf nimmst
um über mich hinweg zu kommen, sagst du
da muss ich lachen und mache das licht aus
von der liebe angestiftet zu lügen.
Da darf gelogen werden, gedichtet und nicht zuletzt auch geschwiegen, denn, frei nach Mascha Kaléko, entstehen so die schönsten Gedichte: »Mein schönstes Gedicht? / Ich schrieb es nicht. / Aus tiefsten Tiefen stieg es. / Ich schwieg es.« Bei Hindringer klingt das so: »schafe sind pflanzenfresser / und wir hatten unsere blumige sprache // schweigen aus reinem spaß an der weide«. Einfach nur da sein für den großartigen Moment und ihn leuchten lassen.