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Hell!

Was passiert da eigentlich in letzter Zeit im deutschen Film? Nicht viel, möchte man meinen, immerhin sind die erfolgreichsten Filme romantische Komödien wie Til Schweigers Keinohrhasen oder Persiflagen wie Der Schuh des Manitu gewesen. Zwischen Mainstream und Charakterdrama klafft nach wie vor ein riesiges Loch des kommerziellen Erfolgs, wenn man von wenigen Ausnahmen wie Das Leben der Anderen absieht.

Von Rüdiger Brandis

Aber ist das wirklich so, wenn man genauer hinschaut? Denn einige Beispiele aus dem Genrebereich zeigen, dass man selbst hierzulande bereit ist, das gekränkte Ego zu vergessen und sich einzugestehen, dass die Hauptimpulse des Films nach wie vor aus Amerika kommen. Sei es der der Vampirfilm Wir sind die Nacht, der einmal so erfrischend anders aussah für eine deutsche Produktion, aber leider in Sachen Story nicht wirklich überzeugen konnte. Oder die Zukunftsvision Die kommenden Tage, welcher ambitioniert inszeniert und umgesetzt wurde. Doch kaum jemand hat diesen Film im Kino gesehen. Ähnliches gilt auch für Tim Fehlbaums Hell. Ebenfalls eine Endzeitvision, welche mutig mit Klassikern des Horrorfilms hantiert. Gut gespielt, brillant gefilmt, aber kaum jemand hat ihn im Kino gesehen. Was ist da los?

Das deutsche Publikum kann man nicht über einen Kamm scheren. Aber man muss sich trotzdem fragen, warum die oben genannten Filme nicht den verdienten Erfolg an den Kinokassen einspielten. An Hell lässt sich dies gut exemplifizieren. Der Film spielt einige Jahre in der Zukunft. Die Sonne scheint inzwischen so heiß vom Himmel, dass es das uns bekannte Deutschland vollkommen ausgedörrt hat. Tagsüber kann man sich nur noch komplett verhüllt draußen aufhalten, sonst verbrennt die Hitze die Haut. Der Film zeigt in diesem Setting die Reise von Marie, ihrer Schwester Leonie und ihrem Freund Lars in den Süden, wo sie Wasser vermuten. Doch auf dem Weg werden sie überfallen, Leonie wird verschleppt und Marie macht sich auf die Suche nach ihr. Dabei findet sie eine Familie, die sich eng zusammengeschlossen hat, um dem Untergang gemeinsam zu entgehen. Unter der strengen Führung der Mutter des Clans sorgen ihre Kinder und Enkelkinder für ihr aller Überleben. Marie wird zunächst freundlich empfangen, aber nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass sie weit mehr verbergen als es zunächst den Anschein hat.

Weiteres lässt sich zur Geschichte nicht vorwegnehmen. Doch Kenner werden das Leitmotiv bereits erkannt haben: Tim Fehlbaum zitiert hier den Horrorklassiker The Texas Chainsawmassacre: eine deformierte Familie, die sich über altertümliche Strukturen definiert und so fernab jeglicher Zivilisation ihr Überleben sichert. Und wie im Original gibt es in Hell eine starke Protagonistin, die sich als härter und schlauer als ihre männlichen Mitstreiter erweist. Fehlbaums Heldin ist nicht nur bereit, sich den vorgefundenen Strukturen mit Gewalt zu entziehen, sondern geht aktiv gegen sie vor. In Hell wird nicht nur weggelaufen, gegen Ende nimmt Marie im wahrsten Sinne des Wortes die Axt selbst in die Hand und geht zum Angriff über. Einige der zentralen Motive von The Hills Have Eyes scheinen an dieser Stelle hindurch und haben Fehlbaum mit Sicherheit zu diesem Teil von Hell inspiriert.

Der Film


Hell
Regie: Tim Fehlbaum
2011 (DE/CH) · 86 Minuten · Postapokalyptischer Thriller · mit Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Stipe Erceg, Lisa Vicari, Angela Winkler, Yoann Blanc, Christoph Gaugler, Lilo Baur, Marco Calamandrei

 
 
Dabei fällt es Fehlbaum zu Beginn des Films allerdings auch sichtlich schwer, seine bisherigen Kurzfilmgewohnheiten abzulegen. Es dauert einige Zeit bis er den Zuschauer in die Atmosphäre seiner Endzeitvision hineingezogen hat. Dies liegt auch an kleinen technischen Schwächen, an denen Fehlbaum zu wenig seinen Bildern vertraut und unnötige Dialogzeilen einfügt. Eine brenzlige Auseinandersetzung mit einem verzweifelt nach Essen und Trinken Suchenden gerinnt so zu einer sehr steif gefilmten und im wahrsten Sinne des Wortes erzählten Szene. Dies bleibt aber eine der wenigen Schwächen des Films. Fehlbaum zieht das Tempo darauf immer weiter an und schreckt auch nicht davor zurück, plötzlich den Ton des Films zu ändern. Die Bilder wechseln zwischen langsamen Einstellungen, die die Atmosphäre der verbrannten Landschaft und der drückenden Hitze, die auf den Protagonisten lastet, und schnell geschnittenen, von Action geprägten Verfolgungsszenen. Das geniale an Hell ist dabei, dass der Film nicht lediglich eine Sammlung von Filmzitaten darstellt, sondern mit den Klassikern des Horrorgenres spielt und so zu einer ganz eigenen, zwischen den Genres stehenden Leistung gelangt. Hell stellt damit ein Paradebeispiel für die Postmoderne im Film dar, die längst über ein offensichtliches und teilweise auch einfach sinnloses Zitatgewirr eines Pulp Fiction hinausgegangen ist.

Dies zeigt sich unter anderem auch in der Art, wie Fehlbaum seine höllische Zukunftsvision visuell präsentiert. Auf solch eindrucksvoll und überzeugende Art ist in den letzten Jahren kein deutscher Film präsentiert worden. Von Beginn an vermeidet es Fehlbaum den Zuschauer mit überladenen Bildern zu verschrecken. Den Tag inszeniert er in dreckigen durch die Sonne bedingten Gelbtönen, die dem Film einen schmutzigen dreckigen Look geben. Im Kontrast dazu präsentiert er die Nacht so karg als würde sie sich uns lediglich in Graustufen zeigen. Fehlbaum opfert den sonst für deutsche Filme so typischen visuellen Realismus für eine prägnantere und einprägsamere Bildintensität. Auch dadurch sticht Hell aus dem Grau und den blassen Farben der Plattenbaudramen und dem trashig wirkenden Bunt der Komödien heraus.

Doch was hat all das mit dem Verhalten der deutschen Kinogänger zu tun? Einfach gesagt, so ziemlich alles. Hell ist ein Film, der sich selbstbewusst nicht für seine amerikanischen Vorbilder schämt, sondern sie ganz bewusst anzitiert und trotzdem zu einer eigenen Form findet. Das Problem dabei ist, dass der Film aber auch einen großen Teil seines Charmes und seiner Genialität aus diesen Querverweisen zieht. Hell könnte man vorwerfen, dass jemand, der diese Anleihen nicht kennt, nicht versteht, was der Film überhaupt zu vermitteln versucht. Er ist ein Film für Insider, für Menschen, die nicht nur Unterhaltung, Gesellschaftskritik oder Denkmaterial von einem Film bekommen möchten, sondern von einem Film dieses postmoderne Bewusstsein seiner selbst verlangen.

Dieses Problem hatte nicht nur Hell, sondern ebenso Wir sind die Nacht und Die kommenden Tage. Am Ende hat der deutsche Film wohl noch einen langen Weg vor sich, bis Ambition wieder gewürdigt wird. Der normale Kinogänger schaut sich eben einen amerikanischen Film an, will er auf spektakuläre Weise unterhalten werden. Für den deutschen Markt bleiben vorerst nur die Plattenbaudramen und Komödien. Aber wir können hoffen, dass es weiterhin ambitionierte Regisseure wie Fehlbaum gibt, die dem deutschen Kino sowohl visuell als auch erzähltechnisch einen Stoß in die richtige Richtung geben werden.

Und genau deswegen verdient Fehlbaums Hell mehr Anerkennung. Nicht nur das deutsche Publikum sollte seine eigenen Filme wieder mehr fördern, auch das internationale Publikum verdient einen Blick auf solche Filme. Hell ist ein eindrucksvolles Beispiel, dass einem amerikanischen Publikum zeigen kann, wie international ursprünglich amerikanische Motive inzwischen verwendet werden können. Filme wie Hell ermöglichen es auf Filmebene international wieder ins Gespräch zu kommen. Dass dies geht, zeigen unter anderem die Horrorfilmszenen in Südostasien. Auch wenn der amerikanische Markt dazu neigt, erfolgreiche Auslandsproduktionen in den USA neu zu verfilmen, sollten Filme wie Hell auch in ihrer ursprünglichen Form für ein breiteres Publikum einfacher zugänglich sein. Hell verdient eine englische Synchronisation.



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 Veröffentlicht am 23. Juli 2012
 Kategorie: Misc.
 Bild mit freundlicher Genehmigung von Vega Distribution.
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