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Star Trek, postkolonial

Im Orbit des einstmals von den Cardassianern besetzten Planeten Bajor kreist die föderale Raumstation Deep Space Nine, der primäre Handlungsort der gleichnamigen, im Star Trek-Universum angesiedelten Serie. Dabei wurde mit Deep Space Nine nicht nur erstmals eine Raumstation zum Setting einer Star-Trek-Serie; vielmehr tritt Star Trek mit dieser Serie, die sich reflexiv in den zeitgenössischen Diskurs über Postkolonialismus einschreibt, in die Postmoderne ein.

Von Jöran Klatt

Die nach Star Trek (1966-1969), Star Trek: The Animated Series (1973-1974) und Star Trek: The Next Generation (1987-1994) vierte Serie des Star Trek-Franchise, Deep Space Nine (1993-1999), kann in vielerlei Hinsicht als ein intradiegetischer, also innerhalb der erzählten Welt erfolgender Postcolonial Turn bezeichnet werden. Die Serie dekonstruiert vermeintliche Sicherheiten, welche die Utopie Star Trek bis dahin suggerierte, selbst und stellt innerhalb des Franchise damit all jene neuen Fragen, die dem Diskurs der Zeit, aus der die Serie stammt, entspringen und zu großen Teilen bis heute noch aktuell sind.

Postkolonialismus im 24. Jahrhundert

»Als eine kritische historische Kategorie«, so beschreibt es die Literaturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick, »bezeichnet ›postkolonial‹ einerseits die nachhaltige Prägung der globalen Situation durch Kolonialismus, Dekolonisierung und neokolonialistische Tendenzen. Andererseits wird über die historische Verortung hinaus eine diskurskritische Kulturtheorie auf den Weg gebracht, die […] eurozentrische Wissensordnungen und Repräsentationssysteme ins Visier nimmt.«1 In diesem Sinne vereint die Serie beide Bedeutungsstränge, die dem Wort ›postcolonial‹ anhaften.

Deep Space Nine erzählt die Geschichte einer Raumstation. Erstmals innerhalb des Star Trek-Universums erforschen die Protagonisten nicht auf einem Raumschiff die entlegenen und fremdartigen Unbekannten des Weltalls, sondern die Handlung findet ortstgebunden statt. Die Raumstation Deep Space Nine umkreist (zumindest zu Beginn der Serie) den Planeten Bajor. Die Geschichte der Bewohner dieses Planeten ist eine tragische, die wir in vielen Variationen auch in der realen Geschichte der Menschheit wiederfinden. Über fünfzig Jahre lang wurde der Planet durch eine fremde imperialistische Großmacht, die cardassianische Union, besetzt und ausgebeutet, die Bevölkerung versklavt und zum Teil deportiert.

Am Ende der dritten Serie des Star Trek-Universums (The Next Generation) wird der Planet im Rahmen diverser kriegerischer Auseinandersetzungen mit der Vereinten Föderation der Planeten – jener politischen Großorganisation, die vorwiegend aus Menschen, aber auch aus anderen Kulturen besteht – von dieser Besetzung befreit. Als Hilfsorganisation versucht die Föderation fortan den Bajoranern beim Wiederaufbau ihres Planeten zu helfen und sie bei der Wiederherstellung ihrer sozialen Struktur und Kultur zu unterstützen. Die Hauptcharaktere sind dann jene Offiziere der Föderation, die diese Aufgabe übernehmen sollen.

Neue Selbstreflexion einer Utopie

Mit dem Schritt, eine komplette Serie thematisch dem Wiederaufbau eines ausgebeuteten Planeten und der politischen Eingliederung des Volkes in die Föderation zu widmen, bewiesen die Autoren von Star Trek Mut. Bisher waren Star Trek-Fans die Darstellung des Lebens in der Zukunft auf Raumschiffen gewohnt. Die Vorgängerserien und Spielfilme spielten alle auf Schiffen namens Enterprise, in denen bis auf wenige Ausnahmen die Protagonisten der militärischen Struktur ›Sternenflotte‹, also dem exekutiven Organ der Föderation, angehörten. Auf diesen Serien baut der Utopiecharakter Star Treks auf, der das Leben, vorwiegend der Menschen, in einer Überflussgesellschaft zeigt, in der Erwerb von Reichtum und finanzielle Absicherung nicht mehr die Zentralmotivationen menschlichen Handelns sind.

In Deep Space Nine dagegen wird thematisiert, dass die bisher dargestellten Überflussgesellschaften nicht der Regelfall im ST-Universum sind, sondern man dort auch auf andere Kulturen stößt, für die Armut, Krankheit, Krieg und weitere niedere Beweggründe wie Profit und Demagogie keineswegs obsolet geworden sind. Mit dem Eindringen der Föderation in die ausgebeutete und geschändete Welt der Bajoraner wird also, um frei nach Bachmann-Medick zu argumentieren, selbstkritisch eine historisch-politische Situation geschildert, die geradezu »postkolonial« die nachhaltige Prägung der interstellaren Situation durch Kolonialismus, Dekolonisierung und neokolonialistische Tendenzen darstellt.

Die Föderation tritt hier erstmals nicht nur vertreten durch ein einzelnes Schiff auf, sondern wird als politischer Großakteur geschildert, der auf Augenhöhe mit anderen interstellar players eigene politische Interessen vertritt. Die Absichten der Föderation sind zwar deutlich tugendhafter als jene der Cardassianer, jedoch traut sich Deep Space Nine, die selbstreflektive Ebene zu beschreiten, in der Werte und Normen der Menschen nicht idealisiert dargestellt werden, sondern in Konflikt mit den geretteten und befreiten Bajoranern treten. Man könnte sagen: Deep Space Nine schildert zuweilen einen Clash of Civilizations (S. Huntington).

Auf dieser Ebene wird auch der zweite Aspekt des postcolonial turns deutlich, der ebenfalls in Deep Space Nine verhandelt wird. Denn auch wenn dieses Werte- und Normen-System in der Welt von Star Trek (in erster Linie) kein eurozentrisches ist und das Prinzipienwerk der Föderation unter den Menschen einen deutlich universelleren Charakter vertreten soll, so ist die Metaphorik doch unübersichtlich: Die eigenen historisch gewachsenen Werte werden allzu schnell als universell angesehen; Spannungen entstehen somit vor allem aus dem Unvermögen des Einzelnen sich in den Anderen hineinzuversetzen.

In diesem Sinne stellt Deep Space Nine in Konflikten um das Fremde aus dem Fremden heraus jene Frage, die Julia Kristeva in ihrem zentralen Werk Fremde sind wir uns selbst formuliert: »Können wir innerlich, subjektiv mit den anderen, können wir die anderen (er)leben? Ohne Ächtung, aber auch ohne Nivellierung? Die Veränderung der Lage der Fremden […] nötigt uns darüber nachzudenken, wie weit wir fähig sind, neue Formen der Andersheit zu akzeptieren. Kein ›Code de nationalité‹ kann je wirksam werden, wenn diese Frage nicht langsam in jedem und für jeden heranreift.«2

Einheimische, Fremde und Hybride

Star Trek: Deep Space Nine beschäftigt sich also entschieden mit Fragen nach der Konstruktion des Anderen/des Fremden, dessen gelungener, gescheiterter, möglicher und unmöglicher Assimilation. Somit entfernt sich Deep Space Nine vom modernen Entwurf einer Utopie und der Schilderung der Konflikte, die sie mit dem Rückständigen hat, und zeichnet jene postkoloniale Idee einer Hybridität. Namentlich zu nennen ist hier die Protagonistin Major Kira Nerys. Ein beispielhafter Dialog innerhalb der Pilotfolge der Serie hat seinen Höhepunkt in ihrem Ausspruch »Ihre Wildnis Doktor, ist meine Heimat«. Hiermit proklamiert sie den Anspruch an Heimat, Autonomie und Selbstbestimmung einer ganzen Kultur. Jener menschliche Arzt, an den sie diese Worte richtet, Dr. Julian Bashir, symbolisiert – so paradox es auch klingen mag – gerade aufgrund seiner Jugendlichkeit, Naivität, aber eben auch hohen Moral, die alte Welt des Star Trek. Er wirft wiederum die Frage auf, ob und wie diese Utopie nicht doch universell zu verteidigende Werte transportiert. Sein Charakter ist der Versuch der Serie, den hohen Anspruch, den das Werte und Normen-System der Menschen in Zukunft hat und der bisher in Star Trek lautstark eingefordert wurde, auf eine harte Probe zu stellen und dennoch funktionieren zu lassen. Zeitgleich steht sein Charakter exemplarisch für die fast schon nostalgische Sehnsucht nach dem Fremden. Sein Ausspruch »Hier gibt es noch echte Abenteuer«, der Kira erst zu ihrer Äußerung provoziert, erinnert an jene europäische Sichtweise auf die Ferne, die Edward Saids Dekonstruktion des abendländischen Orientbegriffs in Angriff nimmt – und von der die postkoloniale Denkrichtung ihren Anstoß nahm.

Im Zentrum der Serie steht jedoch vor allem der Hauptcharakter Benjamin Sisko. Er symbolisiert am deutlichsten die Metamorphose, in der, aus der Sicht des Postcolonial Turn, ein Individuum zwischen zwei Systeme gerät und dadurch zu etwas Neuem, einem Hybridwesen, wird. Von den Bajoranern als religiöse Figur verehrt und gleichzeitig in der Pflicht seiner weitestgehend auf Wissenschaft fußenden Heimatgesellschaft stehend, wird Sisko im Verlauf der Serie selbst zur Manifestation dessen, was er eigentlich in und auf Bajor schaffen soll. Das Fremde ist es, das Sisko assimiliert und ihn dadurch neu schafft.

Star Trek: Deep Space Nine, so lässt sich zusammenfassend sagen, antizipiert, typisch für Star Trek, die zeitgenössische avantgardistische Gesellschaftskritik und Analyse, in diesem Fall jene der Cultural Turns, und greift Themen wie Körperlichkeit, Ideologie, Kapitalismus, Spiritualität, Wissenschaft und auch Gender-Fragen auf. Vor allem jedoch widmen sich die zentralen Erzählstränge, von denen es mehr als einen gibt, Thematiken des Postkolonialismus. Durch diese thematische Orientierung in Deep Space Nine gelang Star Trek letztlich der Sprung von der Moderne zur Postmoderne.

  1. Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 3. Aufl., Hamburg 2009, S.184.
  2. Kristeva, Julia: Fremde sind wir uns selbst, Frankfurt am Main 1990, S. 11.


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 Veröffentlicht am 3. Mai 2012
 Kategorie: Misc.
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