Im Literaturhaus Frankfurt fehlt es an Stühlen. Wir sind spät angekommen bei Hotlist Preisverleihung und stehen hinten. Während der Leiter des Hauses Hauke Hückstädt die unabhängigen Verlage in Deutschlands Literaturszene lobpreist, wird die Menge, die sich um die Tür versammelt, immer größer. Aus der Eingangshalle des Literaturhauses hinter uns ertönen die ersten Partygeräusche. Eine Ode an die unabhängigen Freuden des Literaturbetriebs.
Von Annie Rutherford und Marisa Rohrbeck
Wir befinden uns bei der Preisverleihung der Hotlist. Spontan wurde diese 2009 gemeinsam von 20 Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz initiiert. Aus allen Einsendungen werden jährlich zehn Buchtitel gelistet und im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die Gewinner kürt. Ausgewählt wird durch eine Jury aus fünf Unabhängigen des Literaturbetriebs. Sie stellt sieben der zehn Titel auf der Hotlist zusammen, drei werden durch eine Online-Abstimmung von der Leserschaft bestimmt. Dabei wird frei von Kategorisierungen gelesen: Von Roman über Lyrik bis zum erzählenden Sachbuch, der Graphic Novel und Anthologien können Texte eingereicht werden. Auch übersetzte Erzählliteratur darf dabei natürlich nicht fehlen. In den letzten sechs Jahren entwickelte sich die Preisverleihung und die darauf folgende Party der Independents zu einer der Top-Veranstaltungen der Buchmesse: Die Frage, »Bist du nachher bei der Hotlist-Party?« war allgegenwärtig – die Antwort stets »Klar!«
Ein Team von großer, beachtlicher, literarischer KraftAllein die wundervolle Claudia Cosmo, die durch die Vorstellung der Nominierten führt, zu sehen, rechtfertigt alle Erwartungen. Sie betritt die Bühne etwas zurückhaltend und erklärt mit ernster Miene: »Etwas ist in mich hineingefahren«. Um dieses innere Tier loszuwerden, müsse sie ihm kurz ihre Stimme leihen. Im nächsten Moment verändert sich ihre Stimme, ihre Gestik und wir begegnen dem unverwechselbaren Reich-Ranicki. Was unabhängige Verlage betrifft, zeigt sich Reich-Ranicki skeptisch: »Wir sind ja alle abhängig. Vom Geld.« Aber eigentlich wollte er nicht so richtig von unabhängigen Verlagen reden. Und auch nicht von der Hotlist. Vor allem empört er sich über die ungewöhnlich verfahrenen Zustände im Himmel: »Es gibt nur eine Bibliothek, und sie hat nur zwischen 12 und 17 Uhr geöffnet! Auch Jesus sieht man nie. Er ist immer beim Tennis. Und es gibt nur ein Telefon! Und rate mal wer immer telefoniert. Der Thomas Mann!« Der Himmel sei die Hölle, wir sollten ihn doch bitte mal zurückholen.
Schließlich wird die freudige Botschaft verkündet, Anke Stelling und der Verbrecher Verlag dürfen sich über den Melusine-Huss-Preis und somit über einen Druckgutschein im Wert von 4000 Euro freuen. Der Preis der Hotlist, dotiert mit 5000 Euro, geht an eine sichtlich bewegte Daniela Seel und an Monika Rincks bei kookbooks erschienene Streitschriften Risiko und Idiotie. Aus gegebenem Anlass hier die beiden preisgekrönten Autorinnen in einer Nahaufnahme.
Anke Stelling everywhereEine Autorin hat uns durch unsere gesamte Messezeit begleitet: Von der ersten hineingestolperten Messelesung am ersten Nachmittag über eine verrauchte Kneipenlesung bis hin zu einem spontanen Gespräch am Verlagsstand: Anke Stelling, die es mit Bodentiefe Fenster (Verbrecher Verlag) nicht nur auf die Hotlist, sondern auch auf die Longlist des deutschen Buchpreises geschafft hat. Nachdem wir ihr auch auf der Toilette und auf der Suche nach ihrem verlorenen Notizbuch mit einem erkennenden Schmunzeln begegnet sind, fühlten wir uns schon fast befreundet. Wir haben uns also sehr für unsere neue Lieblingsautorin gefreut, dass sie auch an diesem Abend geehrt wurde. Trotz Stolz und leuchtender Freude über den Preis weiß Anke Stelling ihre Position als Verbrecher-Autorin balanciert zu betrachten. Nach dem verkaufszahlenbedingten Wechsel von Fischer nimmt sie sowohl den Jubel, als auch die Schattenseiten von unabhängigen Verlagen in Betracht, wie wir noch nachmittags am Messestand herausfanden:
Im Verbrecher Verlag ist das Lektorat super. Auch wenn es an Geld und manchmal Zeit fehlt: Den unabhängigen Verlagen ist es wirklich wichtig, echt gute Bücher zu machen. Das hat natürlich eine Schattenseite: Es geht nur über die Selbstausbeutung. Die Verlagsleute arbeiten lange Stunden und bezahlen sich nicht besonders gut. Es ist also nicht alles nur bejubelnswert. Bei Fischer funktioniert die Selbstausbeutung nicht so gut – und so ruft der Lektor dich eben auch nicht immer zurück.
Monika Rinck durften wir leider weder auf der Messe noch bei der Preisverleihung über den Weg laufen. Verständlich – der Messetrubel ist nicht für jeden was. Die Zeit beim Anstehen an Rolltreppen und Durchdrängeln durch überfüllte Gänge mag besser genutzt sein, zum Beispiel zum Schreiben von Texten, zum Erschüttern der Syntax. Wir haben also – mithilfe von Rincks Lyrikband Honigprotokolle – uns überlegt, was sie zu dem großen Literarturzirkus gesagt hätte.
Hört ihr das, so höhnen Honigjournalisten. Eine Halbwelt aus Preisen.
Ist das Luft oder Geld? Stumme Autoren, Herausgeberinnen, ja Lektoren,
In Kunstbuch und Bänder gebannt, in durchsichtige Cover gegossen.
Kein falsches Wort, aufstehn, auf der Hotlist sehn, wie eine Halbwelt
aus Preisen sich aufhellt, da! Ein Autorenfalter landet, zittert, explodiert.
Angelehnt an das Gedicht Himmelshärte von Monika Rinck.
[…] (Zitiert nach dem Beitrag von Annie Rutherford und Marisa Rohrbeck zur Hotlist-Feierstunde am 16.10. im Literaturhaus Frankfurt: „Himmelsgrüße von Marcel”.) […]