Die Idee den Jedermann in einer Kirche zu spielen ist weder besonders neu noch besonders schlecht. So hat auch das Deutsche Theater Hugo von Hofmannsthals Theaterstück in sakralem Ambiente inszeniert und dafür mit der Kantorei St. Jacobi zusammengearbeitet. Hier in der Göttinger Innenstadtkirche wird viel gesungen und gelitten.
Von Sophia Karimi
Jedermann ist ein reicher Mann mit vielen Freunden und Freuden, nur die Beziehung zu Gott lässt zu wünschen übrig, er ist ungläubig und oberflächlich. So liebt er sein von Luxus und Spaß geprägtes Leben und ist nicht bereit dieses zu ändern, der verarmte Nachbar wird abgewiesen, der bittende Schuldner in den Kerker geschickt. Nur Unterhaltung möchte Jedermann, da helfen auch die Bitten der Mutter um Besserung nicht, seine Buhlschaft und Spaß stehen im Vordergrund, Lustgärten sollen gekauft und rauschende Feste gefeiert werden. Gott ist erzürnt und schickt den Tod, um Jedermann zu holen und zur Rechenschaft zu ziehen. Im Angesicht des Todes lässt ihm dieser eine Stunde, um jemanden zu finden, der diesen Weg mit ihm geht. Doch die Freunde und Lieben wollen nicht und flüchten einer nach dem anderen, selbst sein Reichtum kann und will nicht mit, Jedermann ist alleine. Nur die gebrechlichen und schwachen guten Taten Jedermanns und Schwester Glaube erscheinen und retten ihn vor Teufel und Einsamkeit.
Es ist klar, dass das »Spiel vom Sterben eines reichen Mannes«, uraufgeführt 1911 und angelehnt an Mysterienspiele des Mittelalters, nicht sein kann, was es nicht ist: ganz neu, ganz anders, nie gesehen. Doch unweigerlich imposant ist der wunderschöne Innenraum der Jacobi Kirche, kein besonderes Bühnenbild wird benötigt, der Raum und der Altar wirken für sich und so hält sich das Bühnenbild angenehm zurück. Die Kirche als Spielort kann beeindrucken, ohne dass man bereits viel gesehen hat.
Die Inszenierung kommt hingegen trotz teilweise schauspielerisch grandioser Leistung altbacken daher. Der singende Chor, die Freunde Jedermanns mit Fidel und Flöte, in Feierlaune und historischem Gewand, hinterlässt leider oft Eindrücke eines Historienmusicals, zumal die Qualität des Gesangs an manchen Passagen wenig überzeugt. Musikalisch beeindrucken kann hingegen das wunderschöne Orgelspiel- doch dass alte, schöne Kirchenräume und gutes Orgelspiel ergreifen und bewegen, reicht nicht aus. Zumal das Orgelspiel als Nachspiel wunderschön, während der Stücks jedoch wenig zu hören ist und nur für atmosphärische Klänge sorgen darf. Optisch plakativ werden die Figuren aufgemacht: Der Teufel hat einen Schwanz und Hörner, der Glaube ist ein blonder, langhaariger Engel und der Mammon sieht aus wie ein glitzernder, halbseidener Schlagerstar. Sehr klischeehaft ist dies teilweise und das liegt nicht an der Textvorlage, die solche Personifikationen vorgibt. Denn dieser Text Hofmannsthals ist so aktuell wie nie, leben wir doch alle angeblich in einer häufig zitierten und konsumorientierten Spaßgesellschaft. Der Text bedarf keiner Erneuerung oder Uminterpretation, ebenso wenig jedoch einer Reproduktion, die sich zu oft darauf beschränkt offensichtlich zu sein. Gespielt wird hier grandios und leidenschaftlich, besonders Florian Eppinger überzeugt absolut als Jedermann und sorgt dafür, dass man dann trotzdem ergriffen ist von der Geschichte um Gut und Böse, auch der Tod (Gerrit Neuhaus) und der sogar ein wenig diabolisch anmutende Gott (Lutz Gebhardt) sind großartig und sorgen dann doch für emotionale Anteilnahme. Schade, dass dieser Inszenierung trotz tollem Schauspiel und wunderbaren Raumvoraussetzungen einfach etwas fehlt. Dies hier reicht schlichtweg nicht aus.