Bewegen sich gebloggte Literaturkritiken zwangsläufig im laienliterarischen Abseits? Und was zeichnet eine gute Literaturkritik überhaupt aus? Ein Bericht zur Podiumsdikussion Jetzt reden wir! Buch-Blogger: Die neuen Meinungsmacher der Literatur?, die am 24. Mai im Literarischen Zentrum stattfand.
Von Miriam Gräfenstein
Zu Gast auf dem Podium waren an diesem Abend Harun Maye, Literatur- und Medienwissenschaftler am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie in Weimar, und Stefan Mesch, seines Zeichens Blogger, Lektor, Literaturkritiker und freier Journalist – unter anderem bei Zeit Online und literaturkritik.de. Eröffnet wurde die Diskussion mit den Eingangsstatements der Diskutanten und fortgeführt mit Nachfragen von fünf Litlog-AutorInnen.
Stefan Mesch fragte unter anderem nach den Elementen, die eine Literaturkritik wertvoll machen und nach den Beweggründen, aus denen heraus Literaturkritik betrieben und konsumiert wird: »Kann ich Blogger und Feuilleton-Autor sein? Kritiker und Fan? […] Kann ich Sternchen verteilen und Listen bloggen und lange Texte schreiben? Jeweils andere Formen – für jeweils andere Leser?«
Harun Maye kritisierte die in Feuilletons sich seiner Meinung nach etablierende Mentalität, statt Literaturkritik Literaturbesprechung zu produzieren; im Fokus stehe oft nicht das Buch sondern das »Meet and Greet« mit dem jeweiligen Autor, in den Vordergrund rücke eine Persönlichkeitsdarstellung, welche Texte überforme: »Die Titelgeschichten handeln nicht mehr von den Konstruktionen der Literatur, sondern von Fame- und Fangeschichten. Der Journalist trifft den Autor, Künstler oder Schauspieler. Das ist schon der ganze Text.«
Literaturkritik als ReiseberichtSo manifestierten sich schon zu Beginn des Diskussionsabends die konträren Haltungen beider Diskutanten. Stefan Mesch verglich die Rolle der Literaturkritik mit dem informativen Bereich über Geschichte und Geographie eines Reiseberichtes; nicht nur das Schöne, das Literarische dürfe hierbei Beachtung finden, sondern auch gesellschaftliche Begleitumstände und das Selbstverständnis von Autor und Zeitgeist müssten thematisiert werden. Auch dürfe eine Literaturkritik keine bloße Inhaltsgabe sein, ergänzte Harun Maye – diese Tendenz bestehe sowohl in Blogs als auch den Feuilletons renommierter Zeitungen.
Die Frage nach dem Grund für seine mit dem Verlauf der Diskussion deutlicher werdende Abwehrhaltung gegen Laienkritik beantwortete Harun Maye damit, dass die Szene derjenigen, die professionellen Kulturjournalismus betreiben, selbst ein schlechtes Gewissen hinsichtlich der hervorgebrachten Qualitätsstandards habe. Jedoch stelle Laienkritik keine Konkurrenz für herkömmliche Kritik dar – das Zeitungssterben habe nichts mit Blogs zu tun. In letzten würde vielmehr die Besprechung von bestimmter Genreliteratur dominieren, welche zumeist nicht in etablierten Feuilletons zu finden sei. Zudem sei bei Laienkritik überwiegend der Wunsch lesbar, Literaturkritik nach den Schreibmustern der Feuilletons anerkannter Tabloide zu verfassen.
Wünschenswert, so der Medienwissenschaftler, wäre der Mut zu einer ganz anderen Literaturkritik, derer es die vielfältigsten Möglichkeiten gäbe; etwa einen bestehenden Artikel aus einem der bekannten Feuilletons hinsichtlich seiner Qualitäten und Grundaussagen Satz für Satz zu untersuchen oder das Leseerlebnis des zu kritisierenden Werkes zu imitieren.
Der in Zeiten der Demokratisierung von Kritik bestehende Unterschied zwischen professioneller und Laienkritik bestehe unter anderem in der strukturell-informativen Beschaffenheit der Publikationsmedien, so Stefan Mesch. Zeitungen verliehen aufgrund ihres Prestiges Artikeln einen höheren Status und damit ein Mehr an Korrekturmöglichkeit als ihn Buchblogs in der allgemeinen Wahrnehmung erreichten, es existiere auf »jeder Seite mehr Haben als Sollen«. Dem entgegen stehe, dass beim Bloggen der Dialog zwischen Kritiker und Leser wesentlich einfacher falle als im herkömmlichen Schreibbetrieb großer Zeitungen.
Ferner wies Harun Maye darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen Dilettantismus und Professionalität ein Relikt aus Goethezeiten sei – es handele sich hierbei um erfundene Kriterien, die literaturgeschichtlich relevant seien, heute allerdings kaum mehr als Unterscheidungsmerkmal hinreichen könnten. Zu konstatieren sei vielmehr, so beide Podiumsgäste, dass im Zweifelsfalle die Literaturkritik eines ausgebildeten Journalisten, da dieser im Zuge der Ausbildung seine Perspektiven erweitern und im fachlichen Austausch mit anderen fundieren könne, die eines „Hobbykritikers“ an Qualität übertreffe.
Personen und TexteDas bereits zu Beginn der Diskussion aufgeworfene Thema der Subjektivierung von Literaturkritik wurde in der Frage, welche Konsequenzen aus der Digitalisierung und der mit ihr möglich werdenden persönlichen Zuschneidung von Informationen hervorgehen, zum Ende erneut aufgegriffen. Stefan Mesch begreift diesen modernen Zugang zur Literatur als neuen Lebensstil, dessen Qualität durch die immanente Personalisierung allerdings nicht zwangsläufig sinke: sich im Rahmen von Kulturjournalismus aktiv in sozialen Netzwerken auszutauschen und über Kultur zu reden, wäre nicht zuletzt auch ob einer höheren Austauschdichte praktikabel. Zugleich sei die »anfänglich entpersonifizierende Konnektivität« des Web 2.0 laut Harun Maye nun gegenläufig, habe nichts mit dem spezifischen Medium Internet zu tun und spreche somit gegen die Existenz einer zwangsläufigen Verknüpfung zwischen Digitalisierung und Personalisierung. Vielmehr könnten angestrebte Selbstdarstellung und zunehmende Vernetzung Chancen für individuelle Formen des Kulturjournalismus und somit auch der Literaturkritik bieten. Womöglich, so Stefan Mesch, bestehe der Ausweg aus der Krise des Journalismus hin zu einer Weiterentwicklung letztendlich vor allem darin, fleißig und hungrig zu bleiben.
Die Diskussion setzte sich durch einen Bericht der Göttinger Buch-Bloggerin Buzzaldrins viral fort; mittlerweile sind zahlreiche Artikel zum Thema im Netz aufgetaucht, nachzulesen hier:
• Demokratisierung Literaturkritik. Fluch oder Segen? von Buzzaldrin
• Sonntagsleserin KW #21 – Mai 2014 von Buchpost
• Quo vadis, Literaturkritik? von Literatouren
• Das große Missverständnis auf Philea´s Blog
• Sind Blogger Dilettanten? von Literaturgeflüster
• Gleichmacher über Meinungsmacher von 54 books
• Literaturkritik und Literaturblogger – Profis versus Dilettanten? von Buchpost
• KW #22 – Mai/Juni 2014 von die Sonntagsleserin
• [Die Sonntagsleserin] KW #22 – Mai/Juni 2014 von Phantásienreisen
• Das Feuilleton, die Literaturblogs und Elke Heidenreichs Irrtum von Blogumschau
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[…] Hildesheim (mit u.a. Karla Paul, 2013) | PROSANOVA, Hildesheim (mit/als Kathrin Passig, 2014) | Literarisches Zentrum Göttingen (mit Harun Maye, 2014) | Berliner Volksbühne: Katersalon (mit u.a. Jörg Sundermeier, Jan Fischer, […]