Im Debütroman Die Stunde zwischen Hund und Wolf der Lyrikerin Silke Scheuermann dreht es sich bei der Wiederbegegnung zweier Schwestern um Existentielles: Alkoholsucht, Liebe, Abhängigkeit. Die programmatische Leere der Figuren überträgt sich auf den Leser.
Von Rüdiger Brandis
Hunde im Dunkeln ähneln oft ihren Vorfahren, den Wölfen. Sie wirken bedrohlich und gefährlich. Silke Scheuermanns Roman Die Stunde zwischen Hund und Wolf bedient sich dieser Illusion, um die Extreme des menschlichen Daseins auszuloten. Leider bleibt die Intention nur Vorsatz, denn das bestechende Merkmal von Scheuermanns Roman ist neben vielen schönen Sätzen und Formulierungen ein erzählerisches Vakuum, das die Geschichte beherrscht.
Scheuermann erzählt aus der Ich-Perspektive einer jungen Frau heraus, die gerade aus Rom zurück nach Frankfurt am Main gezogen ist, sich jedoch noch nach der Stadt am Tiber sehnt. In Frankfurt trifft sie ihre ältere Schwester Ines wieder, die zögerlich versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie haben seit Jahren nichts mehr voneinander gehört. Kurz darauf meldet sich Ines Freund Kai mit dem Wunsch, ob Ines eine Weile bei ihr wohnen dürfe. Ein Grund wird nicht genannt.
Ich bin nichts, nicht als ein heller Umriss, an diesem Morgen, auf dem schmalen Korridor zwischen Becken und Glasfront des Schwimmbads, die x-fache Spiegelung eines vor Jahren beendeten Lebens, die schamlose Kopie eines ersten Satzes.
Mit diesem Satz startet der Roman und sofort sticht die lyrische Präzision in Auge und Ohr, mit der Scheuermann ihre Wörter platziert. Die Sprache ihrer Lyrik in ihren ersten Roman zu transferieren, gelingt ihr. Stilistische Schwäche kann man ihr demnach nicht vorwerfen. Doch diese Stärke im sprachlichen Ausdruck wirkt verloren angesichts der Inhaltslosigkeit des Erzählten. Die Leere des menschlichen Seins fungiert als Programm des Buches, und es erfüllt das Buch auf erschreckend effiziente Weise.
Dies zeigt sich von Beginn an. Von der Protagonistin erfährt der Leser herzlich wenig, außer ein paar Rückblenden in die gemeinsame Kindheit mit Ines und die Eifersucht auf ihre Schwester. Der Beginn des ersten Satzes »Ich bin nichts« weist bereits in die Zukunft. Trotz der Ich-Perspektive stellt sich nie eine wirkliche Nähe zur Erzählerin ein. Auch die Figurencharakterisierung von Ines zeichnet sich lediglich durch manische Ausbrüche während ihrer Trinkexzesse aus.
Dem Leser werden Fassaden vorgestellt, hinter denen sich ein Nichts auftut. Dass man zu den handelnden Figuren keine Nähe aufbauen kann, wird durch die Kürze des Romans noch verstärkt. Die Geschichte baut sich auf und bricht ab. Sie bietet keinen Abschluss, kein Ende; es selbst als offen zu bezeichnen, wäre zu viel gesagt. Die Geschichte hört einfach auf. Der Leser fragt sich zurecht, ob da nicht noch Raum für mehr gewesen wäre.
Und es kommt der Moment, da wird sie eine andere, da rastet ihr Gehirn aus, und es dominiert ein einziges, hässliches Gefühl, ich kann nie vorhersagen, was es ist, Wut, Aggressivität oder Selbstmitleid, denn es hat nichts mit allem, was vorher passierte, zu tun, es ist die totale Willkür, etwas Fremdes beginnt, an ihr herumzuzerren, ich nenne das die Stunde zwischen Hund und Wolf.
Man könnte die These aufstellen, Scheuermann setze nur konsequent die seelische Belastung der Leere ihrer Protagonistin in der Art und Weise des Erzählens um. Dies zu verneinen, wäre unbedacht. Doch dem Roman fehlt es an Dramaturgie, an Substantiellem, das zum Lesen motiviert.
Scheuermanns Figuren sind nichts als blutleere Konstrukte, die sich durch einen Raum schöner Wörter bewegen. Die Stunde zwischen Hund und Wolf kann leider nicht halten, was der Titel verspricht. Die Spannung, die in der Metamorphose vom zahmen zum wilden Tier liegt, springt nicht über.